MONOGRAPHIEEN

AUS DEE

GESCHICHTE DER CHEMIE,

HERAUSGEGEBEN

VON

Dr. GEORG W. A. KAHLBAÜM

0. ö. PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT BASEL.

„Historische Studieu gehören sehr wesentlich mit zur wissenschaftlichen Erüehung."

MACH, Prinzipien der Wärmelehre.

SIEBENTES HEFT.

LEIPZIG. JOHANN AMBROSIUS BARTH.

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JAKOB BERZELIUS.

SELBSTBIOGRAPHISCHE AUFZEICHNUNGEN.

HERAUSGEGEBEN

IM AUFTRAGE DER KÖNIGLICH SCHWEDISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

VON

H. G. SÖDERBAüM.

NACH DER WÖRTLICHEN ÜBERSETZUNG

vox

EMILIE WÖHLER

BEABBEITET VON

GEORG W. A. KAHLBAÜM.

AMEDEO AVOGADRO

UND DIE MOLEKULARTHEORIE.

VON

ICILIO GUARESCHI.

DEUTSCH VON

Dr. OTTO MERCKENS.

LEIPZIG.

JOHANN AMBROSIÜS BARTH.

1903

QD

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Druck von Metzger Je Wittig in Leipzig:

JAKOB BERZELIUS.

SELBSTBIOGRAPHISCHE AUFZEICHNUNGEN

HERAUSGEGEBEN

IM AUFTRAGE DER KÖNIGLICH SCHWEDISCHEN

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

VON

II. G. SÖDERBAUM.

NACH DFJS WÖRTLICHEN ÜBERSETZUNG

vox

EMILIE WÜHLER

BEARBEITFTT VOX

GEORG W. A. KAHLBAÜM.

Vorbemerkung.

Noch bevor die schwedische Ausgabe von Berzelius* selbstbiographischen Aufzeichnungen fertig gedruckt war^)^ wurden mir von Prof. Södeebaum die Aushängebogen zuge- sandt, mit der Anfrage, ob ich die Übersetzung übernehmen wollte. Damals, im Juni 1901, war ich dazu nicht in der Lage. Ein Jahr darauf etwa wendete sich Frl. Emilie Wohles mit der Bitte an mich, ob ich nicht für sie irgend welche Arbeit, mit der sie ihre freie Zeit ausfüllen könne, hätte. Mir fiel der Bebzelius ein, und da um die gleiche Zeit mir Prof. Güabeschi seinen Amedeo Avogadeo zusandte, mit dessen IJbersetzung gemeinsam der Berzelius ein Heft der „Monographieen" füllen konnte, verabredete ich mit Frl. WöHLEB eine gemeinschaftliche Bearbeitung in der Weise, daß jeder für sich selbständig übersetzen und dann die beiden fertigen Texte, gelegentlich einer persönlichen Zusammenkunft, wörtlich unter sich und mit dem Original verglichen werden sollten. Ein solcher Weg ist zwar umständlich, bietet aber bei weitem die meisten Garantien für sachlich und sprachlich richtige Übersetzung; und das allein ist maßgebend, Zeit- und Arbeitsaufwand kommen nicht in Betracht.

So wurde denn begonnen; leider aber mußte ich die Arbeit bald aufgeben. Der unsagbar unruhige Druck, der be- ständige Wechsel in den Typen, die Kleinheit der Lettern in dem einzig größeren schwedisch - deutschen Wörterbuch, das wir besitzen, dem von Otto Hoppe und ich bedurfte

') Jac. Berzelius. Själbiografiäka anteckningar. Utgifna af Kongl. SvenskaVetenskapsakademien genom H.G.Söderbaum. Stockholm, P. A. Norptedt & Söner 1901, XII und 246 S.

VIII

dessen sehr häufig, da ich weder Lust noch Zeit hatte, mein Gedächtnis mit schwedischen Vokabeln zu belasten tat meinen Augen so wehe, daß ich die Arbeit aufgeben mußte. So habe ich denn, außer ein paar Seiten im Beginn, nur zwei Stellen: Beezelius' Zusammentreffen mit Goethe in Karlsbad, S. 81 84, und das mit Hümphet Davt in London, S. 56 66 des schwedischen Textes, selbständig übersetzt; weil ich beide Stellen für Vorträge, den einen vor der historischen Sektion der Naturforscherversammlung in Karlsbad, den andern vor der chemischen Gesellschaft Basel, Freiburg i. B., Mül- hausen und Straßburg i. E., bei ihrer Sitzung in Basel, verwerten wollte.

Ende Oktober sandte Frl. Wöhlee ihr Manuskript ein. Schon beim ersten flüchtigen Durchsehen ließen sich aller- hand Mängel erkennen, und nachdem Herr Prof. Södeebaum noch die Güte hatte, es auch seinerseits durchzugehen, wollte ich mich an die Arbeit machen. Da nahm Krankheit mir auf Monde die Feder aus der Hand. Noch Eekonvaleszent, ging ich in Italien daran, die Übersetzung zunächst rein sprach- lich umzuarbeiten, dann wurde, heimgekehrt, in vier Korrek- turen der deutsche mit dem schwedischen Text verglichen und die nötigen Verbesserungen eingefügt, so daß um ein galantes Beispiel zu gebrauchen es der UrÜbersetzung ergangen ist wie dem Rosenwein im Bremer Ratskeller! Dies der Vorgang; er erkläre auch die Fassung des Titels.

Die Übersetzung war keine ganz leichte. Beezelius' altertümliche Schreibweise, wie auch Zustände und Verhält- nisse, die uns heut völlig fremd sind, erschwerten die Arbeit. So findet sich z. B. Seite 10 des Originals: „I Linköping de- lade nu äter gemensamt boningsrum med mina kusiner, som 4t mig medfört djäknekosten och som ätersägo mig med uttryck af glädje," .... Frl. Wöhlee hatte diesen Satz übersetzt: „In Linköping teilte ich jetzt wieder das gemeinsame Wohnzimmer mit meinen Vettern; dies hatte Gymnasiastenkost für mich zur Folge. Sie hatten einen heiteren Ausdruck als sie mich wiedersahen, . . .'' Auf deutsch würde das etwa heißen: „In Linköping teilte ich das Zimmer jetzt wieder mit meinen Vettern, die für mich Gymnasiastenkost mitgebracht hatten.

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Sie machten heitere Mienen als sie mich wiedersahen, •• . . , . „Djäknekosten" von djäkne oder djekne eigentlich Diakonus heißt „Gymnasiastenkost". Was bedeutet aber „Gymna- siastenkost mitbringen"? Ich habe das nicht verstanden und kombinierte, es müsse heißen: „djäknekostnader*' („kostnader", die Kosten, Unkosten), so daß der Schluß des Satzes etwa lauten würde: .,die für mich die Mittel zur Bestreitung der Kosten während des Aufenthalts am Gymnasium mitgebracht hatten." Das hat nach unserer heutigen Auffassung einen Sinn. Und dennoch wäre es falsch übersetzt gewesen. Es muß in der Tat „djäknekosten" heißen. Damals war es nämlich, wie mir Prof. SöDEBBAFM, den ich darum anfragte, schrieb, in Schweden allgemeine Sitte, daß die Eltarn ihren auf das Gymnasium oder auf die Universität gehenden Söhnen einen größeren Teil des Wechsels in natura mitgaben, so daß so ein Student- lein etwa einen Sack mit Kartoffeln wenn die damals in Schweden schon allgemeiner eingeführt waren, was ich, trotz Seite 6, nicht sicher weiß oder einen Sack mit gedörrten Bohnen, geräuchertem Speck oder dergl. als wertvolles Gepäck- stück mit sich führte; und das war auch „djäknekosten" „die Gymnasiastenkost", welche die Vettern dem Beezeliüs nach Linköping mitgebracht hatten.

Auch andere- Verhältnisse sind uns heut völlig fremd und daher unverständlich geworden, und bot richtiges Übersetzen aas diesem Grunde Schwierigkeiten. So z. B. die Ablehnung des Johann Afzeliüs, den Vorsitz bei der disputatio pro exercitu zu übernehmen: „da es sein Grundsatz sei, bei keinen anderen Arbeiten als den eigenen zu präsidieren" (Seite 23 der Übersetzung). Als BEEzELitrs von Afzeliüs abgewiesen wurde, wäre damit, hätte er einen anderen Professor um das Präsidium bitten müssen, außer Ekeberg, der ja ebenfalls Chemiker war auch die von ihm verfaßte Abhandlung für den Zweck wertlos gewesen, da diese stets in die Disziplin des präsidierenden Professors gehören mußte. Er hätte des- halb nicht nur um den Vorsitz, sondern auch um eine Disser- tation ersuchen müssen. Denn der Kandidat hatte damals keineswegs nötig, „seine" Abhandlung selbst zu verfassen, viel- mehr konnte er als solche die irgend eines Universitätslehrers

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benutzen, der dann eo ipso das Präsidium übernahm. Der Kandidat hatte nur nötig, die eingereichte Abhandlung öffent- lich zu verteidigen und die Druckkosten zu bestreiten. Dieser Weg wurde deshalb von den Professoren sehr gern gewählt, weil sie nicht nur die Präsidial-Kompetenzen bezogen, sondern auch ihre Arbeiten kostenfrei drucken lassen konnten. Deshalb heißt es von Johann Afzelius, „es war sein Grund- satz, bei keinen anderen Arbeiten als den eigenen zu präsi- dieren." —

Auch diesen Aufschluß verdanke ich Herrn Prof. Söderbaüm.

Diese Beispiele mögen nach der Richtung genügen.

Wie hoch ich die Kunst, gut zu übersetzen, einschätze, und für wie schwierig ich sie halte, darüber habe ich mich schon bei einer früheren Gelegenheit^) ausgelassen; ich darf darauf verweisen. Damals aber war die Aufgabe eine andere; es handelte sich im wesentlichen um die Übersetzung von Daltons Tagebüchern und von an ihn gerichteten Briefen. Die Eigenart, in der solche wissenschaftliche Tagebücher hin- geworfen zu werden pflegen, das Aphoristische, Notizenhafte zu wahren, den persönlichen Stil in den Briefen versuchen wieder- zugeben, das erschien da als eine Hauptbedingung. Jetzt dagegen lag ein wohl durchgeführtes, mehrfach überarbeitetes Manuskript vor, von dessen Übersetzung der Leser fordern darf, daß sie in flüssigem, lesbarem Deutsch abgefaßt ist. Das verbietet wörtliches Übersetzen und fordert freie Über- tragung. Der Übersetzer darf sich nicht scheuen, ganze Sätze umzugestalten, er hat die Pflicht, der deutschen Sprache fremde Bilder durch ihr geläufige zu ersetzen, kurz, er muß seine Aufgabe in dem Sinne zu lösen suchen, daß sich seine Arbeit wie eine deutsch geschriebene liest. Wie ich das verstanden haben möchte, mag auch ein Beispiel erläutern.

Seite 14 des schwedischen Originals heißt es: „och vi höUo oss tysta som muren." Das heißt wörtlich übersetzt: „und wir hielten uns still wie die Mauer." „Tysta som muren" ist eine häufig vorkommende schwedische Redensart; im Deut-

*) Monographieen, Heft 2, Die Entstehung der Dalton'schen Atom- theorie. Einleitung des Übersetzers.

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sehen aber ist „still wie die, resp. wie eine Mauer", so hatte Frl. WöHLER übersetzt, wir brauchen in solchen Fällen meist den unbestimmten Artikel, absolut kein Bild. Wir sagen fest wie eine Mauer, still wie das Grab, aber nicht, still wie eine Mauer. Für uns ist das passendste Bild in dem Falle wohl: „mäuschenstill", und der obige Satz lautet richtig übertragen: „und wir verhielten uns mäuschenstill". So unmöglich für uns das Bild „still wie eine Mauer", so unmöglich ist für die schwedische Sprache „tysta som musen", still wie eine Maus; obgleich das Bild an sich durchaus treffend ist. Man muß also, um richtig zu übertragen, falsch übersetzen, und ist dies, nach meiner Auffassung, nicht nur gestattet, sondern geradezu Pflicht V

Die von Prof. Södekbaijm besorgte schwedische Heraus- gabe der Aufzeichnungen ist eine überaus sorgfältige. Es liegen nämlich im ganzen drei verschiedene Redaktionen vor. Die erste, im Jahre 1823 der Kgl. Akademie eingereicht, um- faßt den Zeitraum von der Geburt bis zum Jahre 1822. Sie wurde später fortgesetzt bis zum Jahre 1840 und dieser Teil 1842 übergeben. Eine zweite eigenhändige Niederschrift mit Ergänzungen und Verbesserungen muß, da sie noch über Er- eignisse aus dem Jahre 1845 berichtet, um diese Zeit verfaßt sein; später hinzugefügte Randbemerkungen reichen sogar bis 1847. Das dritte Manuskript ist eine Abschrift und bringt Ergänzungen, von der Hand der hinterlassenen Gattin. Es dürfte in den siebenziger Jahren niedergeschrieben sein.

Alle diese drei Manuskripte sind von dem Herausgeber kollationiert und die verschiedenen Lesarten in zahlreichen Anmerkungen getreu mitgeteilt worden. Von einer Übersetzung dieser, für den schwedischen Leser interessanten und für den Berzeliusforscher zweifellos sehr wichtigen Varianten haben wir abgesehen; uns genügte, das Lebensbild wiederzugeben, wie es das schwedische Original auf den ersten 113 Seiten des Textes bringt. Von den Anmerkungen fiel infolgedessen auch ein großer Teil fort, und haben wir nur die von Prof. SöDEEBAUM hinzugefügten erklärenden Bemerkungen auch der deutschen Übersetzung beigegeben.

Der eigentlichen Lebensbeschreibung folgen dann im

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schwedischen Original noch 52 Seiten, die im besondern Beb- ZELius' Beziehungen zur Akademie und ihren einzelnen Ein- richtungen und besonderen Aufgaben gewidmet sind. Da wird von der Wahl der Mitglieder der Akademie, von ihrer Or- ganisation und Verfassung, ihren Festsitzungen und Jahres- berichten, dem neuen Maß- und Gewichtssystem, dem Reichs- museum mit seinen Unterabteilungen u. s. w. u. s. w, gehandelt, das alles sind Einzelheiten, für die bei deutschen Lesern ein Interesse, so ohne weiteres, doch kaum vorausgesetzt werden durfte; auch die Übersetzung dieses Teils ist daher unterblieben.

Vielleicht hätte man das 446 Namen umfassende, mit kurzen biographischen Notizen versehene Personalverzeichnis beigeben können; dasselbe erschien uns jedoch bei seinem 20 Druck- seiten betragenden Umfang für die gekürzte deutsche Ausgabe ein zu schwerer Ballast, so sehr wir auch die ungeheure Ar- beit, die in diesem Beiwerk steckt, bewundernd anerkennen.

Daß und warum Beezelius auf eine eingehende Be- sprechung seiner wissenschaftlichen Leistungen verzichtet hat, sagt er in seinem Vorwort selbst, und wir meinen, er hat damit das Rechte getroffen; nur seine Persönlichkeit, sein Lebensgang von der nicht immer sonnigen Jugend bis zu dem schwer erkämpften Erfolg eines glanzvollen Alters, tritt uns in den liebenswürdigen Schilderungen entgegen. Aber wir glauben, auch diese dürften in Deutschland, abgesehen von dem allgemein menschlichen, ein besonderes Interesse erwecken, ist er doch uns Deutschen gerade auch als Persönlichkeit, mit der er auf seine Schüler so eminent wirkte, nahe getreten, und diese Schüler waren keine geringeren als: C. G. Gmelin in Tübingen, Eilhabd Mitscherlich, Heinmch Rose, Gustav Rose, Gustav Magnus in Berlin, Wöhler in Göttingen, G. W. OsANN zuletzt in Würz bürg, der früh verstorbene Friedrich Engelhardt in Nürnberg und Kurt Alexander Winkler in Freiberg.

Marienbad i. Böhmen am 13. August 1903.

Georg W. A. Kahlbaum.

Vorwort.

Die Statuten der Königlichen Akademie der Wissen- schaften vom 20. Dezember 1820 schreiben vor, daß jedes Mitglied, sobald es gewählt worden ist, seine Biographie, und nach jedem Jahrzehnt deren Fortsetzung einreichen solle.

Ich erfülle hiermit diese Pflicht bis zum Ende des Jahres 1840.

Was ich hier mitteile, ist gewiß viel ausführlicher, als die Akademie eigentlich verlangt und der Umfang der für ihre Verhandlungen bestimmten Biographien zuläßt; ich konnte mir indes selbst nicht verhehlen, daß der Erfolg, den ich als Gelehrter zu erringen das Glück hatte, nachdem meine Lauf- bahn ihr Ende erreicht, für meine Lebensschicksale einiges Interesse erwecken werde.

Die zahlreichen, in ausländischen Publikationen über mich mitgeteilten biographischen Notizen, welche ich Gelegenheit hatte, bei Lebzeiten zu lesen, wie schmeichelhaft ihr Inhalt auch immer für mich sein mochte, haben doch eine ganze Menge von Unrichtigkeiten enthalten, die Berichtigung er- fordern. Ich habe angenommen, daß dies auch bei einhei- mischen Biographen vorkommen könne, die in Ermangelung anderer Angaben als der Daten vollzogener Beförderungen stets in die Notwendigkeit sich versetzt sehen werden, mein Lebensbild nach mündlichen und noch weniger sicheren An-

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gaben zu entwerfen. So habe ich durch etwas ausführliche Mitteilungen falschen Berichten zuvorkommen wollen.

Bei Gelehrten sind es meist nicht die bemerkenswerten Werke oder Ereignisse, sondern es ist die Richtigkeit dessen, was er gedacht, erforscht und mitgeteilt hat, was den Erfolg seines Lebens darstellt. Er selbst hat hierüber kein rechtes Urteil. Oft haben nicht einmal seine Zeitgenossen ein solches, die einmal, was von einer aufgeklärteren und unparteiischen Nachwelt gutgeheißen wird, verwerfen und ein andermal was sich später als ein Irrtum entpuppt, mit Beifall aufnehmen. Doch das treibende Samenkorn, das dem Gelehrten von der Natur in den Busen gepflanzt wird, keimt und wächst oft nur unter Bedingungen hervor, die so zarter Natur sind und von so unbedeutenden Umständen oft abhängen, daß kein Fremder ihrer gewahr wird. Das Bild dieser Verhältnisse ist es, das seine eigentliche Lebensgeschichte ausmacht.

Stockholm, im Jänner 1842.

Biographische Aufzeichnungen von Jac. Berzelins.

Mein Vater, Magister Samuel Bebzelius*), war Supremus Collega Scholae in Linköping, und meine Mutter hieß Elisa- BET DoROTEA Sjösteen, Tochter des Vice-Amtsrichters Jacob Sjösteen und Enkelin des bekannten Propstes Bagge in Gross Äby in Ostgotland. ^)

Ich wurde am 20. August 1779 in dem am Fuße des Ombergs in Ostgotland gelegenen Kirchspiel Väfversunda ge- boren, wo meine Elteni in dem Vaterhause meiner Mutter sich während der Ferien aufhielten. Ihr eigentlicher Wohnort war Linköping; hier starb mein Vater am 3. September 1783 an der Schwindsucht, und meine Mutter siedelte nach Väfver- sunda über. Sie hielt sich dort einige Jahre auf, bis der Pfarrer an der deutschen Gemeinde in Norrköping, Anders Ekmabck ihre Hand begehrte, die sie ihm, in Rücksicht auf die Erziehung ihrer beiden minderjährigen Kinder**), reichte. Im November 1785 zog sie nach Norrköping.

Ekmarck war ein Mann von musterhaftem Charakter, der mehr als gewöhnliche Kenntnisse und ein seltenes Erziehungs- talent besaß. Er war schon verheiratet gewesen^ und hatte zwei Söhne und drei Töchter; auch seinen Stiefkindern wurde

*) Mein Vater war der Sohn des Pfarrors Jons Berzelius in Rök nnd Ileda im Bistum Linköping, dieser der Enkel des Bauern Jons Häkansson, Pächter des Freigutes Bergsäter im Kirchspifl Motala. Jons Häkansson wurde 1612 geboren: sein Sohn Bengt, der studierte un<l Geistlicher wurde, bildete aus dem Namen dieses Gutes den Familiennamen Berselius, welchen einer seiner Söhne spSter in Berzelius umänderte.

**j Ich hatte eine Schwester, Flora Christina, später mit dem Pfarrer in Grebo und Verna, J. P. Normelli, verheiratet.

•) Siehe die Anmerkungen von Prof. Söderbaum, Seite 118 ff.

Kablbauni, MoDOgrapbiecn. VJI. 1

er ein guter Vater, und meine Mutter lebte ein paar Jahre in glücklicher Ehe mit ihm. Ekmaeck wurde dann zum Pfarrer in Ekeby und ßinna im Bistum Linköping berufen. Man wollte meiner Mutter, die einen neugeborenen Sohn ^) stillte und in diesem Zustand keine starke Nervenerschütterung vertragen konnte, eine freudige Überraschung mit der Mitteilung machen. Der Eindruck der ungeahnten Freude griff sie jedoch so stark an, daß sie in wenigen Tagen nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Eine ihrer Schwestern, Flora Sjösteen, übernahm die Führung des Haushaltes bei meinem Stiefvater und vertrat Mutterstelle bei seiner Kinderschar. Ekmaeck siedelte 1788 nach Ekeby über. Seine zahlreichen Geschäfte und die Für- sorge für zwei große Gemeinden, verhinderten ihn, wie bis- her den Unterricht seiner Kinder selbst zu leiten; er wurde Hauslehrern anvertraut, die, ihrer geringen Befähigung wegen, öfter gewechselt werden mußten. Ende 1790 endlich wurde Anders Haglund*) unser Lehrer, unter dessen dreijähriger Leitung ich mir alle sogenannten Schulkenntnisse erwarb. Ekmaeck nahm zu Zeiten selbst an dem Unterricht teil, er besaß ein ungewöhnliches Talent, seinen Schülern das Lernen angenehm zu machen, und wußte das Gelernte nicht nur dem Gedächtnis einzuprägen, sondern zum Gegenstand des eigenen Überlegens und Nachdenkens zu machen, auch er- munterte er sie durch kleine, aber lebhaft ersehnte Be- lohnungen, dafür, daß sie wohl aufgemerkt und verstanden hatten. Oft führte er uns durch die Felder und forderte uns auf, Blumen zu sammeln, lehrte uns sie einlegen und aufkleben. Da er selbst niemals Botanik studiert hatte und nur einige schwedische Namen der am häufigsten vorkommenden Wiesen- blumen kannte, gab er uns Palmbergs: „Pllanzenkranz*'*) in die Hände, um daraus unsere Weisheit fürder selbst weiter zu bilden. Unsere Freude war unbeschreiblich, wenn wir etwas von den Pflanzen, die wir gefunden hatten, wieder entdeckten.

*) Wurde später Geistlicher und ähderte seinen Namen in H agert um. Er starb 1889 als Propst und Pfarrer in Linderäs im Bistum Linköping.

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Jeden Tag, nach dem Mittagessen, wurde ein Kapitel in STüBMsNaturbetrachtungen^ gelesen, wobei der gelehrte Ekmarck €S verstand, aus dem eigenen Wissensvorrat Zusätze zu machen, mit denen es ihm gelang, unsere Neugierde zu reizen, so daß die Liebe zur Naturwissenschaft sich frühzeitig bei uns ent- wickelte. Wir besprachen die am betreflfenden Tage vorgelesene Naturbetrachtung besonders auf den Spaziergängen, die, wenn Jahreszeit und Witterung es erlaubten, Pfarrer Ekmarck täglich nach dem Lesen mit uns unternahm. Die Menge der Fragen, mit denen er oft von der kindlichen Wißbegierde überhäuft wurde, machten immer seine größte Freude aus, auch wenn sie, was nicht selten der Fall, ihm Kopfzerbrechen verursachten, da sein eigener Wissensvorrat nicht ausreichte, sie alle genügend zu beantworten. Er sagte damals zuweilen zu mir: „Jakob, du hast Talent, um in Linn£s oder Cae- TOüCHEs Fußtapfen zu treten, habe allzeit Gott vor Augen, 80 wirst du sicher das erstere tun." Diese Worte fielen keineswegs auf den Felsen, brachten aber die Wirkung, auf die der edle Mann rechnete, nicht hervor. Die kindliche Ge- dankenlosigkeit faßte sie als Prophezeiung auf, und der Ge- danke schlug in mir Wurzel, ich ginge etwas Großem ent- gegen, das auch wohl eintreffen könne, ohne daß ich gerade besonders darnach zu streben brauche.

Meine Tante, Flora Sjösteen, die Ekmarcks Hause vor- stand, heiratete im Jahre 1790 den Gutsbesitzer J. P. Bro- mandeb; mein Stiefvater, der nun eine Schar von sieben Kindern hatte, sah sich im folgenden Jahre genötigt, eine neue Ehe mit Maria Elisabet Wistrand, Witwe des Propstes Brünk- MAN, einzugehen, von dem sie eine Tochter mit in die Ehe brachte.

In der Besorgnis, daß sie mit so vielen, meist minder- jährigen Kindern früher oder später in den Witwenstand kommen könne, für deren Erziehung das kleine, von ihr mit ins Haus gebrachte Vermögen nicht ausreichen würde, ver- anlaßte sie zu bewirken, daß ich und meine Schwester das Haus verlassen mußten. Ich wurde von meinem Vormund und Onkel, Leutnant Magnus Sjösteen, der selbst sieben Kinder hatte, aufgenommen, und auch der Lehrer Haglund zog in

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das SjöSTEENSche Haus in Väfversunda, als meine Stiefbrüder in die Schule von Linköping kamen.

Meine Stellung hatte sich dadurch bedeutend verschlechtert. Von einem Hause, wo die strengste Ordnung und aufrichtige Gottesfurcht herrschten, und wo die Kinder sich wie leibliche Geschwister liebten, war ich in ein wohl auch gottesfürchtiges Haus versetzt worden, in dem sich aber die Hausfrau früh und oft mit starken Getränken berauschte und ihren eigenen Kindern nicht selten zu verstehen gab, daß mein unbedeuten- des Erbteil unmöglich die Pflege, die ich in ihrem Hause ge- nösse, ersetzen könne. Dies war auch buchstäblich wahr, aber mein guter Onkel machte keinen Unterschied zwischen mir und seinen eigenen Kindern und berechnete sich niemals ein größeres Guthaben als die nicht ganz 30 ßeichstaler, welche mein Erbteil abwarf. Meine Vettern und Basen sahen mich nicht als Bruder an und gaben mir nicht selten zu ver- stehen, daß ich nur durch Vergünstigung meines Onkels hier lebe. Als ich mich beklagte, verteidigte die Mutter ihr Benehmen, und in dem Maße, wie ich mich verlassen und unglücklich fühlte, wurde der Kinder Benehmen weniger rücksichtsvoll. Haglund blieb bis 1793 ihr und mein Lehrer. Dann kam ich in die unterste Klasse des Linköpinger Gymnasiums. Als Beweis, welchen Erfolg Haglünds eifrige Fürsorge für unseren Unterricht hatte, möge angeführt werden, daß ich dem jüngeren meiner Stiefbrüder, der gleiche Kenntnisse mit mir besaß, als wir vor zwei Jahren getrennt wurden, jetzt in der Schule um drei Jahreskurse voraus war, trotzdem man noch den Fehler begangen hatte, mich in eine, für meine Kennt- nisse viel zu niedere Gymnasialklasse aufzunehmen. Von dem, was im Auditorium minus gelehrt wurde, hatte ich schon allerhand eingeheimst und wußte in den meisten Fächern Be- scheid, so brauchte ich keine Zeit auf das Lernen zwischen den Schulstunden zu verwenden und gewöhnte mich daran, sie nicht zu Wiederholungen oder sonstigen Vorbereitungen zu benutzen. Dessenungeachtet erhielt ich bei jeder Versetzung einen höheren und immer höheren Platz in der Klasse, bis ich schließlich der sechste wurde; weiter habe ich es nicht gebracht.

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Während des Schulaufenthaltes wurden meine Vettern und ich ohne jede Beaufsichtigung einer älteren Person (wie es bei den meisten unserer Kameraden auch der Fall war) tiberlassen, wodurch sich meine bedrängte Lage in Bezug auf meine Vettern bedeutend verschlechterte. Ich mußte mich entschließen, diesen traurigen Verhältnissen dadurch zu ent- gehen, daß ich mein Auskommen auf eigene Hand, durch ünterrichtgeben, zu gewinnen suchte.

So meldete ich mich denn bei einem der Lektoren mit der Bitte, mich für ein Jahr zu einer Informatorstelle zu empfehlen, und ich erhielt eine solche. Johannis 1794 holte mein künf- tiger Prinzipal, Bokbe, mich auf sein Gut im Dorf Vrinneveds bei Norrköping ab. Das Haus, in das ich jetzt kam, war eigentlich ein Bauernhaus, obschon der Besitzer Herr ge- nannt wurde. Seine Frau war durch den Mißbrauch starker Getränke fast blödsinnig. Von meinen beiden Schülern war der eine in meinem Alter, der andere ein Jahr älter. Die Küche war am Alltag das Eßzimmer und der allgemeine Versammlungsplatz der Familie. Die Schüler erklärten, daß sie nichts anderes, als ihren Katechismus zu studieren, be- absichtigten, den sie schon vorher einigermaßen gelernt hatten; folglich wurde ich hauptsächlich Schreiblehrer, und da es halberwacbsene Burschen waren, konnte der Vater ihre Hilfe, auf die er gerechnet hatte, bei der Landwirtschaft selten ent- behren. Ich hatte also viel freie Zeit. In dem fast ^4 Meile entfernten Norrköping fand ich meinen ersten, geliebten Lehrer wieder, der jetzt Geistlicher war und sich Hagert (vgl. S. 2.) nannte, und der fortan wie ein älterer Freund mit mir umging. Er hatte sich vorgenommen, Insekten zu sammeln, und da er meine Liebhaberei, Pflanzen zu sammeln, kannte, weckte er in mir jetzt die Begierde, auch die Insekten kennen zu lernen.

Ich durfte ihn auf etlichen Exkursionen begleiten und war bald ein eifriger Insektensammler. Er lieh mir LinnSs Fauna svecica. aus der ich Verzeichnisse von Insekten ab- schrieb, deren Namen ich, soweit sie ihm bekannt waren, von ihm erlernte, auch gelang es mir, verschiedene unter ihnen zu bestimmen.

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Bis jetzt war es mein fester Vorsatz gewesen, wie mein Vater, Großvater und Urgroßvater, Geistlicher zu werden, was auch, ihren wiederholten Äußerungen nach, meiner Mutter Wunsch war. Doch jetzt trieb ich mit Eifer Botanik und Entomologie, die nach meiner damaligen Auffassung für einen Geistlichen unnütze Wissenschaften waren. Nach einiger Über- legung faßte ich daher den Entschluß, Arzneikunde zu studieren, wobei mir, wie ich glaubte, diese Kenntnisse von Nutzen sein könnten.

Ich brachte den Sommer, Herbst und eine Zeit des Winters in Boebes Hause zu. Im Sommer nahm ich an den Arbeiten, Heu, Getreide und Hackfrüchte einzuernten, teil, und in der Winterszeit machte ich das meiste Holz, das im Hause verbraucht wurde, klein. Dies war eine niedrige Arbeit, weil das Holz, das in der waldlosen Gegend nicht gekauft werden konnte, unerlaubterweise in der Gemeindefiur ge- nommen werden mußte. Mein Zimmer wäre gewiß nicht ge- heizt worden, hätte es nicht zugleich im Winter als Stapelplatz für die Kartoffeln gedient, die in Säcken aufgestellt, einen großen Teil des Raumes für sich beanspruchten. Aber das Zimmer wurde auch nur gerade so viel erwärmt, daß diese Früchte nicht erfrieren konnten. Inzwischen arbeitete ich an einer Übersetzung von Virgil's Änelde; diese diente mir später als Beweis, daß ich meine Studien während meiner Abwesen- heit vom Gymnasium fortgesetzt hatte.

In BoRREs Haus war ich stets mit Freundlichkeit behandelt worden. Reichliche Bewegung und eine gleich- mäßig gute und fröhliche Laune, frei von allen Kümmer- nissen, verursachten eine ganz unerwartete Entwicklung meines früher schwachen und kränklichen Körpers. Ich ver- ließ das freundliche BoRREsche Haus Anfang Februar 1795, um meine Studien im Gymnasium fortzusetzen. Von Honorar war nie die Rede gewesen, ich hatte inzwischen weder Geld gehabt noch gebraucht; bei meiner Abreise erhielt ich aber doch vier Reichstaler Honorar und ein Paar wollene Strümpfe, die ich, wie man wußte, sehr nötig hatte. Eigentlich war das ganze nur ein mißglückter Versuch gewesen, doch hatte es der Zufall gewollt, daß ich hier erkennen lernte, was den Haupt-

gegenständ meiner künftigen Studien ausmachen sollte, und von diesem Augenblicke an, wo ich ein bestimmtes Ziel vor Augen halte, erwachte auch das Bestreben, es durch Arbeit zu erreichen.

In Linköping teilte ich das Zimmer jetzt wieder mit meinen Vettern, welche Gymnasiastenkost für mich mit- gebracht hatten; sie machten heitere Mienen, als sie mich wiedersahen, doch fielen wir bald wieder in das alte Verhältnis zurück, und ich überzeugte mich von der Notwendigkeit, von nun an mein Durchkommen auf eigene Hand suchen zu müssen.

Am Linköpinger Gymnasium war damals ein neuer Lehrer der Naturgeschichte, C. F. Hornstedt, angestellt worden, der gerade von einer naturhistorischen Reise nach Westindien zurückgekehrt war. Auf den botanischen Exkursionen, die er im Frühling machte, entdeckte er bald, daß mein Eifer den meiner Kameraden überstieg. Ich durfte mit ihm nach Hause gehen und wurde dort in der Bestimmung der PHanzen und Insekten unterwiesen. Er war eigentlich mehr Zoologe als Botaniker, weshalb er mich auch zum Sammeln von Insekten ermunterte. Er verpflichtete mich, es ihm jedesmal zu zeigen, wenn ich etwas gefunden, was ich vorher noch nicht gesehen hatte. HoRNSTEDT hatte den Gedanken gefaßt, teils die Linköpinger Gegend selbst zu durchsuchen, teils von seinen Schülern durch- suchen zu lassen, um eine Sammlung der dort vorkommenden naturhistorischen Gegenstände zusammenzubringen, die er für Unterrichtszwecke aufzustellen beabsichtigte und die zu einer geplanten Flora und Fauna lincopensis dienen sollte, in der er zur Aufmunterung seiner Schüler die Namen derer anführen wollte, denen es zuerst gelungen war, seltenere Gegenstände aufzufinden. Er lehrte mich Vögel schießen und sie aus- stopfen, versah mich mit einer Büchse, sowie mit Jagduten- silien, kleinere Vögel zu erlegen, und war mir anfangs behilf- lich, jeden Vogel, den ich geschossen hatte, mit Hilfe von LiNNfis Fauna, aus der ich den ganzen Artikel aves abschrieb, zu bestimmen.

Durch diese Aufmunterung gehörte ich bald Wald und Feld mehr als Stadt und Schule an. Zum Glück waren nur die Morgen- und Abendstunden für das Vögel- und Insekten-

sammeln ergiebig, ich würde sonst die Mehrzahl der Unterrichts- stunden sicher versäumt haben, besonders da ich wußte, daß ich meinen Kameraden in den meisten Fächern überlegen war, obgleich ich wenig oder nichts hinzugelernt hatte, seit ich in das Gymnasium aufgenommen worden war. Am Ende des Semesters wurde ich von der Witwe Elgeeus in der Stadt Lin- köping als Hauslehrer angenommen; sie vertraute mir den Unterricht zweier Söhne an, und ich hielt mich während der Zeit, die ich nocli im Gymnasium zubrachte, in ihrem Hause auf. Meine häufigen Morgen- und Abendexkursionen kosteten mich viele Unterrichtsstunden, trotzdem behandelte mich meine gütige Herrin, deren Vermahnungen nicht so viel ausrichteten, wie sie mit Recht erwarten zu können glaubte, mit mütter- lichem Wohlwollen. Da sie aber fand, daß ich das Gewehr nicht mit gehöriger Sorgfalt handhabte, welches, ihrem aus- drückhchen Verbot entgegen, bisweilen geladen nach Hause gebracht wurde, so daß einer ihrer Söhne nahe daran war, ein Opfer meiner Unvorsichtigkeit in dieser Beziehung zu werden, beklagte sie sich bei dem Lehrer Hesselgeen, damals rector gymnasii, der mich ins Verhör nahm. Anstatt aber zu tadeln, was in meinem Benehmen eigentlich tadelnswert war, rügte er, daß ich mich mit solchem Eifer des naturhistorischen Studiums befleißige, dessen Nutzlosigkeit er sich viele Mühe gab zu beweisen; er verlangte dann, daß ich aufhören möge, meine Zeit auf eine so zwecklose Weise zu vertrödeln. Wiewohl ich nicht die Absicht hatte, diesem Rat zu folgen, so verstand ich doch, woher die Veranlassung zu diesem Ver- weise kam und bemühte mich ernstlich, von nun an mit dem Gewehr vorsichtig zu sein und die Stunden mit meinen Schülern pünktlicher einzuhalten.

Doch eines Tages während des Semesters begegnete ich, mit dem Gewehr über der Schulter und von einem Kameraden,*) der oft mein Gefährte auf der Vogel- und Insektenjagd war und auch ein Gewehr trug, begleitet, dem damaligen gymnasii rector Haelingson. In der Zuversicht, daß die täglichen Schulstunden schon längst geschlossen seien, versuchten wir es

*) J. F. Na t hell, später Assessor und Regimeutsarzt bei der Infanterie in Nord-Schonen.

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gar nicht, ihm auszuweichen, und er machte seinerseits keine Bemerkung über unser Jagdkostüm. Wir wußten nicht, daß die Benutzung des Gewehres für die Schuljugend verboten war, zudem führteu wir es mit Wissen des Lehrers Hobnstedt und waren von ihm zweckentsprechend unterwiesen. Zu unserm Glück war das Wetter am anderen Morgen so schön, daß wir schon um 4 Uhr wiederum draußen im Feld waren. Bei unserer Rückkehr standen ein paar Kameraden Wache, die uns mahnten, nicht hinauf in das Gymnasium zu gehen.' Der Rektor hatte nach dem Morgengebet einen Konsiliumbeschluß vorgelesen, des Inhaltes, daß ich und mein Kamerad wegen un- erlaubten Gebrauches der Schießwaflfe mit der Rute gezüchtigt werden sollten. Das Erforderliche war dazu herbeigeholt wor- den, und wir wurden aufgerufen, uns der Strafe zu unierziehen. Schwerlich hätten wir ihr entgehen können, wenn wir zugegen gewesen wären; sie wurde nun, wie man erklärte, bis zum folgen- den Morgen verschoben. Diese für einen Gymnasiasten als größte Schande betrachtete Strafe wurde selten oder nie voll- zogen und führte es stets mit sich, daß der Bestrafte sich von der Schule entfernte. Mein Schrecken war gewaltig, ich wendete mich an Hornstedt, der sehr entrüstet war und einsah, daß er mit Absicht nicht zu dem Konsilium geladen worden sei; er sagte mir, daß ich mich nicht eher im Gymnasium wieder einfinden solle, bis er mir weiteren Bescheid hätte zukommen lassen, meldete dem Bischof die Angelegenheit und ließ mir später sagen, daß die Gefahr vorüber sei und daß ich mich am nächsten Morgen beim Morgengebet einfinden möchte. Am Schluß desselben las der Rektor das Statut der Schulordnung in Bezug auf den Gebrauch von Schießwaffen vor mit dem Zusatz: das Konsilium fände es auf die Darstellung hin, die der Lehrer bist, naturalis gegeben habe, angezeigt, bei den jungen Leuten, die für einen naturhistorischen Zweck, und unter Verantwortung dieses Lehrers, sich der Schießwaffen bedienten, eine Ausnahme zu machen.

Ich habe mir nicht klar machen können, was hinter dieser absonderlichen Strenge steckte, junge Leute, bei denen im übrigen nichts zu erinnern war, ohne vorhergehende Warnung einer beschimpfenden Strafe aussetzen zu wollen,

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wegen eines Vergehens, das der größte Teil der Schüler sich schon zu schulden hatte kommen lassen; und das weiter von ihnen fortgesetzt wurde (weil nichts gewöhnlicher war, als auf die Birkhuhn- und Hasenjagd zu gehen). Hoenstedt war davon überzeugt, daß der Schlag gegen ihn gerichtet war. Er hatte sich öfters unserer Fortschritte unter seinen Mit- lehrern gerühmt, die ihn im übrigen als einen Eindringling betrachteten, der gogen ihren Rat an dem Gymnasium an- gestellt und ohne priesterliche Interessen war; hierdurch wurde seine Stellung bald so, daß er fortzukommen und eine Stelle als Arzt zu finden suchte; sein Platz blieb unbesetzt. Er sah uns deshalb als auserkorene Opfer an, die zeigen sollten, welcher geringe Wert seinem guten Zeugnis beigelegt werde. Als ich neun Jahre später vom König zum Assessor ernannt wurde, schrieb mir Haelingson, der ein Mann von großem Geist war und seinen Irrtum einsah, einen Gratulationsbrief, in dem er mich bat, ihm die Züchtigung, die während der Gymnasialzeit für mich geplant war, zu vergeben. Er schützte vor, daß dies in der guten Absicht, mich für den geistlichen Stand wieder- zugewinnen, geschehen sei.

Im Winter 1795 hatte ich mit einem Teil öaeirer Kameraden ein literarisches Kränzchen, zu dem wir immer Mittwoch Nachmittags zusammenkamen, uns die inzwischen ver- faßten Arbeiten vorzulesen. Wir hatten verschiedene Dichter- genies unter uns, aus denen aber später nichts wurde. Ich war ein besonders fleißiger Prosaiker, doch in dem, was ich schrieb, konnte man den Stil des Verfassers, den ich zuletzt gelesen hatte, leicht wieder erkennen. Eines Tages besuchte uns Bischof LiNDBLOM in unserer brüderlichen Versammlung. Da nicht gerade alles, was die jungen angehenden Schriftsteller verfaßt hatten, Talent verriet, fürchteten wir den Besuch, die Tür wurde eihgst verriegelt, und wir verhielten uns mäuschenstill. Nachdem er ein paarmal geklopft hatte, befahl er mit er- hobener Stimme einem der ältesten und verständigsten von unseren Kameraden, die Tür für den Bischof, der uns einen Besuch machen wolle, zu öffnen. Er verschaffte sich Gehor- sam, trat mit freundlich lächelnder Miene herein, nahm unter uns Platz und verlangte das zu hören, was wir als den

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bestgelungenen unter unseren Versuchen betrachteten; er lobte, was er gut fand und berichtigte freundlich, was ihm weniger gut gedacht oder ausgedrückt schien. Schließlich sagte er: „Heute in acht Tagen, und von da an immer, finden Ihre Versammlungen bei mir statt. Ich werde Ihnen schöngeistige Schriften in der Muttersprache vorlegen lassen, aus denen Stücke in Ihren Versammlungen gelesen werden sollen, um Ihren Geschmack zu bilden.'' Von dieser Zeit an hielten wir unsere Zusammenkünfte in seinem Hause. Er kam oft zu uns herein und wählte selbst die Stücke, die vorgetragen werden sollten. Meine Übersetzung von Virgils Anelde, die ich während meines Aufenthalts in Vrinneved verfaßt hatte, nahm er mit sich und brachte sie am anderen Tage mit der Bemerkung wieder, daß er sie durchgesehen und gebilligt habe.

Dieses Kränzchen hörte indes bald wieder auf, da wir kurz darauf die Universität bezogen.

Bei dieser Übersiedlung bereitete Haelingson mir eine neue Demütigung. Die Ordnung, in der mein Name unter den Abiturienten folgen mußte, war geändert worden; ich wurde übergangen und als vorletzter vorgerufen. Das Zeugnis, mit dem ich zur Universität entlassen wurde, lautete, daß ich ein junger Mann von guten Naturanlagen, aber schlechten Sitten und von zweifelhaften Hoffnungen sei. Man legte mir ferner zur Last, daß ich nicht weniger als 63 Stunden im Semester versäumt hatte. Nachdem dies verlesen war, erhob jedoch der edle Bischof Lindblom dagegen lauten Widerspruch, indem er öffentlich sagte: „Du hast Unterrichtsstunden ver- säumt, aber ich weiß, daß Du die Zeit nicht schlecht angewandt hast. Fahre fort. Dich mit den Wissenschaften, die Du vor- zugsweise liebst, eingehend zu beschäftigen, und Deine Be- mühungen werden nicht unbelohnt bleiben."^)

Hierdurch wurde mein sinkender Mut wieder gehoben; da ich aber in dem lateinischen testimonium, das beim Rektor ein gelöst wurde, das nachteilige Urteil wieder ausgesprochen fand, verlangte ich Aufklärung, wodurch ich Anlaß dazu gegeben hätte. Rektor war damals Ragvald Nicolai, Lektor der orientalischen Sprachen, ein liebenswürdiger und guter, aber schwacher Mann. Ich bat ihn in Rücksicht auf die große

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Anzahl von puncta absentiae, die mir zur Last gelegt wurden, sich daran zu erinnern, daß er mir die Erlaubnis gegeben habe, bei den hebräischen Stunden*) nicht zugegen zu sein, weil ich, als künftiger Arzt, die hebräische Sprache nicht nötig habe. Er antwortete sehr freundlich; daß er erst jetzt sich des gegebenen Versprechens erinnere, daß er aber, in Bezug auf das Zeugnis, als Rektor sich im übrigen für ver- pflichtet halte, Harlingsons Forderung nachzukommen, weil dieser moralium lector sei.

Ende September 1796 kam ich in Upsala an, nachdem ich die Sommermonate im Hause des Rittmeisters Enandee zugebracht hatte, der mit einer meiner Tanten verheiratet war; ich gab ihren Söhnen in dieser Zeit täglich einige Stunden. Was jetzt noch von meinem väterlichen Erbe übrig war, wurde gebraucht und reichte bis zum Schluß des Frühjahrs- semesters 1797.

Als ich in die ostgotische Landsmannschaft aufgenommen wurde, war Dr. Liljeblad Kurator. Mein schlechtes Zeugnis gab Anlaß zu einer langen und ernsten, aber freundlichen und väterlichen Ermahnung. Auf meine Erklärung erwiderte er, wenn es mir gelänge, durch mein Betragen das Zeugnis zu widerlegen, wolle er mir von Herzen gerne nützlich sein. Es gelang, und er hielt sein Wort.

Nachdem ich das Studentenexamen gemacht hatte, meldete ich mich sofort, um als Student der Medizin in dieser Fakultät eingeschrieben^) zu werden. Ich bemühte mich jetzt, Französisch, Deutsch und Englisch zu lernen, als notwendige Voraussetzung für das Erteilen von Privatstunden, auf die ich angewiesen war, da ich mich, so lange kein Stipendium zu ver- geben war, ohne dieselben auf der Universität nicht hätte halten können. Zwar gab es in der ostgotischen Landsmannschaft mehrere solche, aber es war keines frei oder wurde es vor- aussichtlich nicht vor P/j Jahren. Dr. Liljeblad verschaffte mir eine Stelle als Privatlehrer bei Rittmeister von Yhlen auf Eggeby in Ost-Husby, einem Kirchspiel in Vikboland.

*) Diese fanden morgens zwischen 6 und 7 Uhr statt; ich hatte prosucht, dadurch mehr Zeit für meine Morgeuexkursionen zu gewinnen.

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Nachdem ich das Landsmannschaftsexamen abgelegt hatte, wobei ich zu meiner großen Betrübnis fand, daß ich mehr, als ich vermutete, von dem vergessen, was ich bei meiner ersten Aufnahme im Gymnasium gut gekonnt hatte, verließ ich im Juni 1797 Upsala, zwar ohne Schulden zu hinterlassen, aber mit einer ganz besonders knappen Reisekasse. Das angeborene Talent, immer zu denken: „Kommt Zeit, kommt Rat," das oft gewiß recht günstig wirkt, aber auch nicht selten zu leicht- sinnigen Wagstücken verleitet, machte mir Mut, die Reise ohne Sorge anzutreten. In Orebro angekommen, fand ich es ganz unmöglich, mit dem Rest der Kasse nach Väfversunda zu kommen, wo ich beabsichtigte, mich einige Tage aufzuhalten. Geld mußte beschafft werden, wenn ich nicht unterwegs stecken- bleiben wollte. Ich war hier aber nicht bekannt. Ein Aben- teurer wollte ich weder sein, noch zu sein scheinen, und konnte doch keinen annehmbaren Ausweg erdenken. Von Natur schüchtern und aus Unerfahrenheit verzagt, befand ich mich in einer so mißlichen Lage, daß sie sich meinem Gemüt tief einprägte. Nach langem Warten hatte ich ein Fuhrwerk und Pferd bekommen, wagte aber nicht eher abzureisen, als bis ich aus der Verlegenheit, aus der ich doch keinen vernünftigen Ausweg sah, gekommen wäre. Schließlich kam ein Reisender, der schnell weiter wollte und doch vor zwei Stunden kein Pferd hätte bekommen können. Der schlug mir vor, mein Ge- päck mit auf sein Fuhrwerk zu laden und das für mich gemietete Pferd gemeinschaftlich zu benutzen. Es zeigte sich, daß wir zum großen Teil den gleichen Weg hatten, und da ich natür- lich nur den halben Preis für den Wagen zu zahlen brauchte, er mir außerdem seinen Mundvorrat anbot, reichte meine Reise- kasse jetzt vollkommen aus.

Ich wollte an diesem, an sich unbedeutenden Ereignis nicht vorübergehen, weil es künftighin meine Aufmerksam- keit darauf lenkte, zu beachten, wie auf unserer Lebensbahn Schickungen, die wir weder voraussehen noch selbst hervor- rufen können, größeren Anteil an unserem Glück, als unsere Berechnungen haben; und es erweckte meinen Dank gegen die höchste Vorsehung, daß mir auch später immer, wenn es Not tat, die rechten Mittel an die Hand gegeben wurden. Denn man

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ist nicht selbst seines Glückes Schmied, wie es im Sprichwort heißt. Schickungen vereiteln oft die wohlbegründetsten Be- rechnungen, soweit solche dem Menschen möglich sind, auch bei dem Denkenden und Klugen, und säen Unglück auf seinen Weg, während in der Hand von vielen, die weniger voraus- denken, alles gut geht, und vielleicht habe ich zu der letzteren Klasse gehört.*)

Bei VON Yhlen wurde ich mehr als Familienmitglied, denn als Lehrer behandelt. Ich hatte hauptsächlich zwei Schüler zu unterrichten, Cheistian und Broe Justin von Yhlen (beide jetzt Hauptleute bei dem Leibgrenadierregiment), und obschon die gleichmäßige Geduld, die Kindererziehung er- fordert, mir fehlte, suchte ich das mangelnde Talent durch beharrlichen Fleiß zu ersetzen, und es gelang mir dabei durch das docendo discimus wiederzugewinnen, was ich an Schul- kenntnissen verloren hatte, und sie durch neue zu vermehren. Meine Zeit war zwischen ernster Arbeit und angenehmen Zerstreuungen in den Mußestunden bei der liebenswürdigen Familie geteilt.

Gegen Ende des Sommers 1798 wurde ich von Dr. Liljeblad brieflich nach Upsala gerufen. Die medizinische Stelle des Strandbergischen Stipendiums war frei geworden und sollte zu Anfang des Herbstsemesters wieder besetzt werden. Ich verließ dann von Yhlens Haus, überhäuft von der Güte der Familie und fand mich mit dem größeren Teil des ersparten Hauslehrerhonorars auf den Ruf ein.

Als Mitbewerber um die Stipendiatenstelle hatte ich einen älteren Kameraden Andees Gustaf Töenqvist, der zugleich mein redlicher, treuer Freund war. Er besaß gründliche Kennt- nisse, hatte in der Gymnasialklasse einen höheren Platz als ich eingenommen, konnte sich durch verständiges Wirtschaften auf

*) Ich kann in Bezug auf das eben Angeführte mich auf meinen treuen Kameraden Nathell berufen, der das Linköpinger Gymnasium ein Jahr früher als er beabsichtigt hatte, verließ, um an der Universität die gemeinsamen Studien mit mir fortzusetzen, dem aber widrige Schick- sale beharrlich begegneten, an denen er nicht schuld war, so daß er erst unter meiner Leitung als Professor seine eigentlichen medizinischen Studien beginnen konnte.

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der Universität halten, die wir zu gleicher Zeit bezogen hatten, und halte seine Zeit gut benutzt. Aber jetzt war er auf dem- selben Punkt wie ich; derjenige von uns, welcher das Stipen- dium nicht erhielt, mußte die Universität wieder verlassen und einen Ausweg suchen, um sich über Wasser zu halten. Keiner von uns war für das Schmerzliche, dem andern den Weg zu versperren, unempfindlich. Das Stipendiatenexamen war zu kurz, um von dem größeren Verdienst auf der einen oder anderen Seite einen Begriff zu geben; in diesem Falle würde es sicher mein Schicksal gewesen sein, nachzustehen. Als der Stipendiat ernannt wurde, fiel für das Konsistorium der Umstand ausschlaggebend ins Gewicht, daß ich mich in der medizinischen Fakultät, gleich nachdem ich die Universität bezog, hatte einschreiben lassen, während mein Mitbewerber, der bedächtiger und infolgedessen unentschlossener war, dies erat, nachdem das Stipendium für frei erklärt worden war, getan hatte. Ich wurde also angenommen.*)

Das Stipendium betrug 66 Reichstaler 32 Schillinge rgds.**) im Jahre, dieses und der neunte Teil einer Revenue in Väf- versunda Sörgärd mein mütterliches Erbe das 11 Reichs- taler 16 Schillinge, in gleicher Münze, ausmachte, war jetzt alles, worauf ich meines Wissens rechnen konnte, und meine Lebensweise mußte danach eingerichtet werden. Im Herbst- semester 1798 absolvierte ich das medizinisch-philosophische Examen ^ und wurde, non sine laude approbatus. Von Chemie hatte ich damals so wenig begriffen, daß der Professor der Chemie nach einem langen und sarkastischen Tentamen er- klärte, daß er mich durchfallen lassen werde, wenn ich von

*) Törnqvist fuhr einige Zeit fort, durch Privatstunden seinen Unteihalt zu suchen, um seine Studien fortsetzen zu können, er wurde Doktor der Philosophie in Greifswald und nahm die Stelle als Hauslehrer beim Grafen v. Engeström, der damals auf seinem Besitztum Janko- witza in Preußisch Polen lebte, an. Nachdem v. Engeström nach Stockholm übergesiedelt war, wurde Törnqvist vom König der Wasa- orden verliehen; er war in dem beschwerlichen Beruf, anderer Leute Kinder außerhalb seines Vaterlandes zu unterrichten, grau geworden, ohne genug zu verdienen, um damit im Alter ein sicheres Auskommen zu haben.

**) 1 Reichstaler banco = l'/j Rtlr. riksgäld. 48 Schillinge = 1 Rtlr.

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den anderen Professoren, besonders dem der Physik^ keine guten Zeugnisse erhalten würde. Glücklicherweise war es gerade dieser letztere , der das bißchen Lob in mein Zeug- nis flocht.

Mein ältester Stiefbruder, Laes Keistofeb Ekmakck, hatte sich schon ein paar Jahre auf der Universität auf- gehalten. Sein Lebenswandel war musterhaft durch Fleiß und ungewöhnliche Fortschritte. Mit aller brüderlichen An- hänglichkeit unterzog er sich meiner Leitung, ohne die es mir sicher nicht geglückt wäre, schon in dem kurzen Herbstsemester die Prüfung vor der philosophischen Fakultät abzulegen. Er beschäftigte sich mit elektrischen Untersuchungen mit solchem Erfolg, daß die Akademie der Wissenschaften einen besonders schönen Versuch in ihre Verhandlungen aufgenommen hatte, als Beweis für die SYMMEESche Theorie von zwei Elektrizitätsarten, der es damals noch nicht völlig gelungen war, sich geltend zu machen.^*') Nachdem das Examen bestanden war, forderte er mich auf, an diesen Studien teilzunehmen, was er vorher mit Absicht vermieden hatte, um mir keine Zeit zu rauben. Schon als ich mich zuerst daran beteiligte, wurde ich von einer früher nicht gekannten Empfindung erfaßt; ich wurde unwiderstehlich von dieser Art, die Wissenschaft zu betreiben, gepackt. Ich mußte die Versuche, die ich ihn machen sah, für mich wieder- holen, und da ich keine Instrumente kaufen konnte, mußte ich mit seiner Hilfe provisorische Instrumente ausdenken, die ich selbst machen konnte.

Ekmaeck hatte noch nicht Chemie studiert, aber be- schlossen es nachzuholen, jetzt kamen wir überein, dieses Studium gemeinschaftlich zu beginnen. Gietanners „Anfangs- gründe der antiphlogistischen Chemie" waren für einen billigen Preis im Buchhandel zu haben und wurden aus diesem Grunde gewählt. Der Kampf zwischen der phlogistischen und der Sauer- stoff-Theorie war zu jener Zeit noch nicht beendigt, obschon alles den Sieg^^) der letzteren vorzubereiten schien. Gietanners Buch war geschickt abgefaßt und erregte die jungen Köpfe dadurch, daß es zugleich eine Art von Parteischrift gegen das Phlogiston war^^. Unser Studium war leicht. Zu Anfang des Frühjahrsemesters war jedes Faktum, das unser Verfasser

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aufzählte, uns wohlbekannt Das wissenschaftliche Studium der Chemie war damals leicht genug, denn die antiphlogistische Theorie verwarf anfänglich alles, was sie nicht hinreichend erklären konnte, und was sie erklärte, hielt sie nicht selten ftlr einfacher als es war.

Wir hatten indes noch nicht ein einziges von den merk- würdigen Phänomenen, von denen wir gelesen hatten, gesehen. Mit den freudigsten Hoffnungen, daß meine Neugierde auf diesem Wege befriedigt werden würde, meldete ich mich bei dem Professor der Chemie, um im Frühjabrsemester an den Labo- ratoriumsübungen teilzunehmen. Mit einem Ausdruck von Verwunderung und Verdruß fragte er, ob ich den Unterschied zwischen Laboratorium und Küche kenne. Ich gab zu, daß ich keinen Begriff von der Beschaffenheit eines Laboratoriums habe, teilte ihm aber mit, daß ich mich fleißig bemüht hätte, die Gegenstände, mit denen man sich dort beschäftigt, kennen zu lernen. Nachdem er mich eine Weile regungslos angesehen hatte, nahm er ein paar dicke Oktavbände (Hagens Apotheker- kunst) ^^ von seinem Bücherbort, gab sie mir in die Hand und sagte: „Lesen Sie die erst!" Es kam mir vor, als sei es seine Absicht gewesen, mich abzuschrecken.

Ich griff mein Pensum mit Eifer an, fand aber in dem einen Teil nur eine Materia medica und naturhistorische Einzel- heiten und in dem anderen chemische Gegenstände, die mir zum größten Teil bekannt waren. Das übrige, sowie auch die pharmazeutische Nomenklatur, war in ein paar Wochen gelernt. Ich beeilte mich, das Buch zurückzugeben, ehe die Laboratoriumsarbeiten ihren Anfang nehmen würden. Was ich sehen wollte, war, wie ein Gas bereitet und aufgesammelt wird, ich wollte das Verbrennen von Phosphor, Eisen, Kohle in Sauerstoff u. s. w. beobachten, dies war es, was meine Neu- gierde so lebhaft erregte.

Endlich kam der langersehnte Tag, an dem ich zu labo- rieren anfing. Man verteilte die Operationen; auf mein Los fiel: Bereitung von Colcothar vitrioli. ^^) Man gab mir einen Tiegel und etliche Stücke Eisenvitriol und wies mir eine Feuerstelle an, auf welcher das Verbrennen vorgenommen werden sollte. In wenigen Stunden war alles getan, ich lieferte mein Präparat ab

Kahl bäum, Monographleen. VII. 2

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und verlangte mehr zu machen, es war aher mit einer Operation auf einmal genug; acht Tage später sollte ich eine andere Arbeit vornehmen. Die Woche war lang. Jetzt erhielt ich Cremor tartari, um es zu kohlensaurem Kali zu verbrennen. Man gab mir den abgesprengten flachen Teil einer Retorte, um das Salz darin zu verbrennen, mit der Anweisung, achtzugeben, daß das Glas nicht springe. Die Operation ging glücklich von statten, doch beim Abkühlen riß das Glas. Ich wurde verwarnt, mich künftig weniger ungeschickt zu benehmen. Am nächsten La- borationstag sollte die verbrannte Masse aufgelöst und filtrirt werden. Aber am nächsten Tage hatte ich mir meine Opera- tionen selbst ausgedacht, fragte niemand um Rat und fuhr damit fürderhiij so fort.

Für die Laboranten war ein gemeinschaftlicher Kredit in einem Kolonialwarengeschäft und einer Apotheke eröffnet wor- den; die Waren wurden von dem Abwart, auf ein beifolgendes Requisitionsbuch hin, geholt. Hier mangelte es mir also nicht an Material; die Gefäße wurden von dem Laboratorium ge- liefert. So arm es auch daran war, genügte es mir doch. Für ein gutes Wort und ein kleines Trinkgeld ließ der Diener mich zu jeder Zeit, zu welcher ich kam, durch eine Tür aus dem Hintergarten in das Laboratorium, und so brachte ich jeden Nachmittag einige Stunden dort zu. Afzeliüs, der nach einiger Zeit dies entdeckte, erklärte, daß er Schleichwege nicht leiden könne, daß er aber mit Vergnügen sehen werde, wenn ich durch den richtigen Eingang käme, der für mich nie ver- schlossen sein sollte. Er behandelte mich seitdem mit außer- ordentlichem Wohlwollen und Vertrauen.

Mein Wunsch, Sauerstoffgas und einige Versuche damit zu sehen, erfüllte sich lange nicht. Auf mein dringendes Verlangen, daß sie im Laboratorium gemacht werden möchten, wurde dies schließlich bewilligt und, als eine schwere Operation, einem älteren Laboranten, der auch niemals einen Versuch damit gesehen hatte, anvertraut. Aber da die Versuche dann an ein paar Arbeitstagen mißglückten, gab ich bald alle Hoff- nung auf.

Im folgenden Semester hatte ich ein Studentenzimmer mit einem kleinen dunkeln Kämmerchen und einem Herd ge-

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mietet. Hier richtete ich jetzt mein Laboratorium ein und konnte, wenn ich zu Hause war, zu jeder beliebigen Zeit nach meinen Filtern und der mit Sand gefüllten Bratpfanne, die mir als Sandkapelle diente, sehen. Hier destillierte ich Säuren, und als ich eines Tages rauchende Salpetersäure be- reitete und bemerkte, daß etwas gasförmiges fortging, sammelte ich das Gas über Wasser in die leeren Flaschen, die ich zur Hand hatte, auf, um zu versuchen, ob ich herausfinden könne, was für ein Gas dies sei. Ich ahnte Sauerstoffgas und habe selten einen Moment von so reiner und innerlicher Freude ge- habt, als den, da der eingeführte glimmende Span sich darin entzündete und mit außergewöhnlicher Helle mein fensterloses Laboratorium erleuchtete. Am nächsten Arbeitstag hatte ich mehrere Flaschen mit Sauerstoffgas bei mir im Laboratorium, in denen Haarnadeln zur allgemeinen Belustigung verbrannt wurden.

Die spezielle Aufsicht über die Laboratoriumsarbeiten führte der liebenswürdige und vortreffliche Adjunkt der Chemie A. G. Ekebeeg. Er hörte so schwer, daß es nicht leicht war, sich beim Fragen verständlich zu machen, wes- halb ich mich nur im äußersten Notfall an ihn wandte, wo- bei ich dann stets die freundliche Mahnung erhielt, ihn öfter in Anspruch zu nehmen. Ich fand aber Gefallen daran, so viel als möglich selbst herauszubringen, was unklar erschien, und empfand keine geringe Befriedigung, wenn es mir gelang. Ekebebo war überdies so von den Kameraden überlaufen, die selten das, was sie machen sollten, richtig verstanden hatten, daß er wohl der Schonung bedurfte. Eine Mitwirkung des Professors beim Unterricht fand nicht statt, höchstens machte er bei einem flüchtigen Besuch bei dem einen oder dem andern eine witzige, aber schneidende Bemerkung. Zwei Jahre lang nahm ich an den allgemeinen Laborierübungen teil, zuletzt jedoch meist nur, um im Laboratorium auszuführen, was ich in meinem Zimmer nicht machen konnte.

Ich fing an, die Vorlesungen des Professors der Chemie zu hören, er trug Mineralogie, und zwar so langsam vor, daß ich jedes ausgesprochene Wort bequem nachschreiben konnte; Mineralogie gehörte indes nicht zu meinem Kursus, den ich

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während der drei Stipeiidienjahre vollenden mußte, und ich hörte deshalb bald damit auf. Ekebeegs Vorlesungen wurden privatim und nur gegen besonderes Honorar gelesen; da meine Mittel für meinen nötigen Lebensunterhalt knapp ausreichen wollten, mußte ich das entbehren, was ich nicht bezahlen konnte.

Mit Anfang des Frühjahrsemesters 1799 begann ich mit Geoeg Wahlenbeeg (dem später berühmten Professor der Botanik) auch Anatomie zu studieren. Damit wir Osteologie lernten, nahm Dr. Liljeblad die im Museum Societ. Litt, auf- bewahrte ZiEEVOGELSche Sammlung ^^ von präparierten Knochen, mit einem dazu gehörigen erläuternden Verzeichnis, auf sein Zimmer. Dann wurde mit dem Studium der Myologie bei den Sektionen in der Anatomie der Anfang gemacht. Während der Abwesenheit des neuangestellten Prosektors leitete der aus- gezeichnete Professor der Anatomie, Ad. Mueeay, persönlich die Arbeiten im Seziersaal. Die Aufmerksamkeit, welche er unserem Fleiß und unseren Fortschritten zuwandte, spornte zu einem gründlichen Studium und äußerster Sorgfalt bei den Sezierübungen an. Die Anatomie erheischte großen Fleiß und war jetzt das Hauptstudium. Die chemischen Arbeiten machten meine Erholung in den täglichen Mußestunden aus. Daneben hörte ich Mijeeats und J. G. Aceels Vorlesungen, notierte während der Stunden mit einer Art von Schnellschrift das Hauptsächlichste derselben und schrieb es frühmorgens ins Reine; dadurch konnte ich die vorhergehende Stunde jeden Tag aus dem Gedächtnis wiederholen, und auf diese Art ging das Studieren sehr leicht. Nach Aceels baldigem Tod über- nahm Pee Aezelius (später königl. erster Archiater von Ap- ZELius) den medizinischen Unterricht in einer Weise, die sein Andenken allen seinen Schülern teuer machte. ^^

Obschon es mir gelang, mit den knappen Mitteln, die ich aufzuwenden hatte, mich von Ende September bis Ende Juni durchzuschlagen, so war es mir doch unmöglich, mich in den Sommermonaten auch in Upsala aufzuhalten. Ich hatte einen Onkel, Daniel Beezelius, der Apotheker in Jönköping war, diesen bat ich um die Erlaubnis, in seine Apotheke ein- treten zu dürfen. Dabei hoffte ich verschiedene pharmazeutische

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Erfahrungen sammeln zu können. Er schlug mir aber meine Bitte ab. Nun folgte ich einer Einladung meiner Tante, Frau Flora Bboma^'deb, mit ihrer FamiHe den Sommer in Bromma bei Motala zuzubringen. Bbomandes war ein sehr fleißiger Mann, der seine Laufbahn als Führer einer Ochsendrift von Smäland nach Stockholm begonnen hatte. Hier gelang es ihm später Vermögen zu erwerben. Er war jetzt Gutsbesitzer und Kapitalist, der sein Vermögen beständig dadurch vermehrte, daß er kleinen Leuten kleine Darlehen auf hohe Zinsen lieh. Bald begann er, mich für einen Müßig- gänger zu halten, was nicht nach seinem Geschmack war. Er brachte mich deshalb nach ein paar Wochen nach Vad- stena, wo ich bei seiner Mutter, einer liebenswürdigen, aber sehr bejahrten Dame wohnen, und bei dem Apotheker Wessel, der fälschlich für einen geschickten Chemiker galt, arbeiten sollte. In seiner Pharmazie war wenig auszurichten, indessen hielt sich hier ein Itahener auf, der Glas blies und Baro- meter machte, ein gutmütiger Greis, Namens Josxja Vaccano. Bei dem ließ ich mich nieder und lernte Glas vor der Lampe blasen sowie Barometer und Thermometer machen. Zwischen den Unterrichtsstunden, die ich bei ihm hatte, übte ich mich in der Kunst fleißig zu Hause. . Nach einem Monat kehrte ich nach Bromma zurück, Beomandee brachte mich dann nach Medevi und stellte mich dem dortigen Brunnenarzt, ersten Leibarzt Sven Hedin mit der Bitte vor, daß er mich als seinen Assistenten behalten möge. Dies glückte für den Augenblick zwar nicht, aber Hkdix nahm mich als Armenarzt bei dem Medevibrunnen für den folgenden und für den Sommer 1800 an. Ich war von Dank gegen Bbomaxder erfüllt, der auf diese Weise mir zwei höchst wichtige Dienste geleistet hatte. Bei meiner Rückkehr sagte mir jedoch meine gute Tante im Ver- trauen, daß Bbomaxdeb mich nur hatte los werden wollen und schlug mir vor, den Rest des Sommers zu einem Besuch in Ekeby, Väfversunda und anderen Plätzen zu benutzen, wozu sie mir das Reisegeld gab. Mein letzter Besuch vor der Rück- reise nach üpsala wurde wieder in Bromma gemacht. Bei der Abreise zeigte sich Bro^axdees Stimmung gegen mich, er durchsuchte mein Gepäck, um nachzusehen, ob es etwas ihm

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Entwendetes enthielte, und trug wirklich einen alten Koffer fort, den er mit der Erklärung ausleerte, daß er ihm gehöre. Er gab ihn nicht eher zurück, als bis sein eigener daneben ge- stellt wurde. Zu Beomandebs Entschuldigung möge angeführt werden, daß die Ähnlichkeit zwischen beiden allerdings er- staunlich war. Diese höchst lächerliche Szene spielte sich übrigens ganz freundschaftlich ab, obgleich die übrige Familie darüber doch recht verstimmt wurde.

Bei meinem Besuch in Väfversunda hatte ich mit meiner Tante, Witwe Jacobina Enandeb, den Verkauf meines Neuntels von Sörgärden verabredet, sie besaß ^/g davon. Die Summe war so berechnet, daß die Pacht 6 Procent, auf meinen Teil 11 Rtlr. 16 Schi., betragen sollte. Dies war zwar nicht viel, aber immer doch eine Stütze. Ich war noch nicht mündig und konnte den Verkauf nicht abschließen, doch wurde mir von der ausgemachten Kaufsumme abgerechnet, was ich für die Rückreise und die nötigsten Ausgaben ungefähr zu be- dürfen glaubte, bis das Stipendium am Schluß des Semesters fällig wurde. Dadurch besaß ich für jetzt eine kleine Summe, und bei Empfang der Stipendiengelder erhielt ich sodann die frohe Nachricht, daß sie künftig in Bankomünze*) ausgezahlt würden, was das Mißliche meiner Verhältnisse wesentlich minderte.

Das akademische Studienjahr wurde zur Vorbereitung auf das medizinische Kandidatenexamen benutzt, und mit der be- sonderen Erlaubnis, bei der Stipendienvorladung abwesend zu sein, traf ich am 7. Juni 1800 in Medevi ein, um das Amt als Armenarzt zu übernehmen, ich hatte dabei während der Kur- zeit Wohnung nebst Kost frei und ein gewisses geringes Hono- rar von jeder zum Bauernstand gerechneten Person, welche die Heilquelle gebrauchte. Es stieg indes selten höher als auf 18 oder' 20 Rtlr. rgds. Dagegen lag es mir ob, alle Bauern und diejenigen Kranken, die in das Kurspital aufge- nommen werden mußten, ohne sonstiges Honorar zu behandeln.

Bei dieser Gelegenheit kochte ich Wasser aus den ver-

*) Banko- Münze ist Vs ™&1 mehr wie Riksgälds-Müuze. (1 Rtlr. banco = l^/j Rtlr. rgda.)

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schiedenen Quellen ein, um später in Upsala den Rückstand zu analysieren und stellte Gasuntersuchungen sofort in der dortigen Apotheke an. Ich wurde inzwischen von dem ßrunnen- arzt in Loka, Dr. J. L. Aschan, aufgefordert, nach dem Schluß der Saison mit ihm an der Quelle bei Loka zusammenzutreffen, wo gleichartige Versuche mit dem Wasser, wie mit dem be- rühmten Loka- Schlamm in die Hand genommen werden sollten.

Die eigentliche analytische Untersuchung wurde nach meiner Rückkehr in Upsala ausgeführt. Es war mein erster analytischer Versuch. Bergmaxs Analyse ^^) diente mir als Leitfaden. Wenn ich meine Lehrer fragte, erhielt ich allerdings immer Antwort, sie gaben mir aber nie eine Anleitung, ein Beweis, daß ich entweder nicht zu fragen verstand oder die Ant- wort nicht recht begriff. Die Beschreibung dieses analytischen Versuchs, die mit Ekmabcks Hilfe ins Lateinische, wie es Vorschrift war, übersetzt wurde, sollte nun meine Disputation pro exercitio werden. Ich hielt es für ganz gegeben, daß der Professor der Chemie es als ein Vergnügen betrachten werde, wenn ich denselben unter seinem Präsidium verteidigte; er schlug jedoch meine Bitte aus dem Grunde ab, weil er nicht dafür verantworthch sein könne, daß ich die Analysen richtig gemacht habe, und daß es sein Grundsatz sei, bei keinen anderen Arbeiten als den eigenen zu präsidieren. Ich solle mich an den Adjunkt wenden. Dieser erwiderte sehr richtig, daß seine Taubheit es ihm unmöglich mache, jemals den Vor- sitz zu führen.

Da es wichtig für mich war, diese Prüfung bald hinter mir zu haben, damit ich Ende des Semesters das medizi- nische Kandidatenexamen ablegen konnte, bat ich andere Professoren, beides, die Dissertation an- und den Vorsitz zu übernehmen, dies erregte jedoch Aufsehen, und deshalb wurde Ekebebg überredet, zu präsidieren.^"} Für diese nutzlose Cere- monie war die größere Hälfte meines Anteils an dem Kauf- preis für das veräußerte Landgut erforderlich, obgleich Eke- bebg sich weigerte, für eine Disputation, von der er, wie er im Scherz sagte, kein einziges Wort verstanden habe, Präsi- dentenhonorar anzunehmen. Als ich dann unmittelbar darauf das pharmazeutische Examen bei Johan Afzelius machen

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wollte, erwiderte er, daß er es mir mit Vergnügen ab- nehmen werde, sobald ich das medizinische Kandidatenexamen absolviert hätte. Die gewöhnliche Praxis war sonst, daß das pharmazeutische Examen vorhergehen mußte und das Zeugnis darüber der medizinischen Fakultät vorgelegt wurde.

Als ich mich bei Ad. Mueray, der damals Dekan der Fakultät war, zum Examen meldete, fragte er nach meinem Zeugnis über das pharmazeutische Examen. Ich berichtete, welche Antwort ich von dem Professor der Chemie erhalten hatte. MüßBAY erwiderte, daß die Fakultät keinen Grund habe, von dem uralten Brauche abzugehen, versprach aber, daß es mir frei stehen solle, das Examen am letzten Tage des Semesters zu machen, wenn nur das verlangte Prestandum vorher absolviert sei.

Ich bat ArzELiüS jetzt flehentlich wegen des Examens, ließ mich bei ihm über meine ökonomische Lage aus, zeigte, daß meine drei Stipendienjahre mit dem nächsten Frühjahr- semester, wo ich das Licentiatenexamen machen mußte, ab- gelaufen seien, und daß mir dann alle Mittel fehlten, mich auf der Universität weiter zu halten. Er war nicht zu bewegen und zeigte mir seine Instruktion, nach der er jeden Studenten der Medizin, ehe er zum Doktor promoviert werde, in der Pharmazie examinieren müsse. Er gab mir ein schriftliches Zeugnis des Inhaltes: daß ich mehr als hinreichende Kennt- nisse besäße, um dieses Examen zu machen, er sich aber unbeeinträchtigt seines Rechtes erfreuen und das Examen auf die Zeit, welche ihm die geeignetste scheine, festsetzen wolle, ehe die Frage über die Promotion aufgeworfen würde. Er fügte übrigens hinzu, daß er nicht verstehe, aus welchem Grunde die Fakultät sich so ungefällig zeige. Dies weckte in mir die Überzeugung, daß diese mir ein Unrecht zufüge. In etwas gereizter Stimmung ging ich zu dem Dekan und präsentierte das Zeugnis. Er gab es freundlich mit der Be- merkung zurück, daß ich auf dieses Zeugnis hin kein Examen in der Fakultät machen könne. Einigermaßen erregt fragte ich ihn darauf, wie denn ein Student, dem die Mittel knapp bemessen seien, es anfangen solle, die Probe seines Wissens abzulegen, wenn die Professoren sich darum stritten, wer von

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ihnen zuerst examinieren solle, und ihn unterdessen sein Geld verzehren ließen. Darauf entschlüpfte Mureat die Bemerkung, daß JoHAN ArzEurs ein Krakeeler sei. Hierüber aufgebracht, erklärte ich, daß ich nicht beabsichtige, von Professor Mubray mich noch länger zum Narren halten zu lassen, der unlängst eine größere Anzahl von Studenten der Medizin veranlaßt hätte, sich nach Lund zu wenden, wo ihnen Gerechtigkeit widerfahren sei, ich sähe mich jetzt genötigt, den nämlichen Ausweg zu wählen.

MüBBAY hörte mich mit mehr als gewohnter Langmut an und äußerte, als ich schwieg, mit freundlicher Würde: „Sie sind das Opfer einer niedrigen Intrigue geworden, über die ich Sie jetzt noch nicht aufklären kann oder darf, es sollte mir aufrichtig leid tun, wenn Sie üpsala verließen. Ich liebe Sie als einen fleißigen und aufmerksamen Schüler, berauben Sie mich nicht der Freude, Sie zu examinieren und lassen Sie mir die Befriedigung, mich an den Fortschritten, die Sie unter meiner Leitung gemacht haben, zu erfreuen u. s. w." Die Art, wie der würdige Lehrer sich bemühte, meiner Unhöflich- keit zu begegnen, erschütterte mich bis ins Innerste, sie schlug meine Keckheit zu Boden, warf meinen Plan, üpsala zu verlassen, über den Haufen und weckte ein tiefes Gefühl von Verehrung für den von mir beleidigten Lehrer.

Kaum war ich zu Haus in meinem Zimmer, als ich den persönlichen Besuch des Professors der Chemie erhielt. Ich merkte nicht, daß nur Neugierde, recht bald zu er- fahren, welche Wirkung sein Schreiben hervorgebracht hatte, ihn zu mir trieb , und hielt es für den Ausdruck von innerlichem Interesse für mich, was mir im höchsten Grade schmeichelhaft war. Er riet mir, bei meinem Vorsatz, nach Lund zu reisen, zu bleiben. Am folgenden Tag verlangte ich mein Testimonium academicum und erhielt es auch. Mein gescheiterer Stiefbruder Ekmabck machte mich aber darauf aufmerksam, wie unverständig dieser Schritt sein werde, und ich blieb zurück, entschlossen, am Anfang des Frühjahrs- semesters das Examen zu erzwingen, was jedoch vergeblich war. MuBEAT war verletzt und verhehlte es nicht, er be- handelte mich kühl und mit abstoßender Gleichgültigkeit.

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Um meiner sorgenvollen Lage ein Ende zu machen, be* absichtigte ich, dem Consistorium academicum das Verhalten zu melden. Da brach Afzelius sein Schweigen, er gab zu erkennen, daß seinem Verhalten ein Prozeß zwischen ihm und der Fakultät vor dem Universitätskanzler ^^) zu Grunde liege, dessen langverzögerte Entscheidung dadurch beschleunigt wer- den solle, daß ich und die anderen, die beabsichtigten, das medizinische Kandidatenexamen im laufenden Semester zu machen, eine von ihm selbst verfaßte Klageschrift einreichen sollten. Dagegen versprach er, uns am Ende des Semesters, wie der Prozeß auch immer entschieden werde, zu examinieren. Die Klageschrift wurde von mir, J. I. Eksteöm und H. Ahl- STEDT unterschrieben. Afzelius erreichte seine Absicht, in der medizinischen Fakultät vorläufig als ihr Mitglied zu exa- minieren, prüfte uns aber auf seinem Zimmer. Er gab mir ein langes schwedisches Zeugnis, welches er laudatur in op- tima forma zu sein erklärte, ohne daß er indes diesen ge- bräuchlichen Ausdruck im Zeugnis angewandt hätte. Man kann die Bemerkung machen, daß es ein besonderes Mißge- schick für mich war, sowohl auf dem Gymnasium als auch auf der Universität eine Art Opfer von Zerwürfnissen der Lehrer untereinander zu werden.

Am Schluß des Semesters hielt Mueeay den Examinanden ein Repetitorium, an dem teilzunehmen er mich nicht auf- forderte. Die Kameraden wünschten aber, daß ich mit dabei sein solle, und ich folgte ihrem Rat. Mureay tat, als bemerkte er mich nicht und richtete vor dem letzten Tage, wo ich etwas beantworten durfte, was die anderen unbeantwortet ließen, keine Frage an mich. Am Examenstisch, wo er unser Richter war, waren jedoch alle Zeichen von Parteilichkeit verschwun- den, und er gab uns allen ein gleich ehrenvolles Zeugnis. 2'')

In diesem Frühjahrsemester war Voltas Entdeckung der elektrischen Säule bekannt worden. J. Afzelius hatte in Stockholm bei J. G. Gähn Versuche damit anstellen sehen und brachte für derartige Versuche Apparate mit nach Hause, die Gähn für ihn hatte anfertigen lassen; mit diesen stellte er in meiner Gegenwart einige Versuche an. In kurzem hatte auch ich mir eine Säule von 60 Paar glatt geschliffener Kupfermünzen

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uud danach gegossener Zinkplatten angeschafft; meine Glas- blasekunst kam mir bei der Konstruktion der Versuchsappa- rate sehr gut zu statten. Als ich nach Medevi ging, nahm ich meine elektrische Säule mit, um ihre physiologischen und medizinischen Wirkungen zu erforschen. Von den zahlreichen Versuchen in Bezug auf ihren medizinischen Gebrauch gelang nur ein einziger; nämlich die Wiederherstellung des Gefühles und der Beweglichkeit in der Hand eines Soldaten, der den Dienst und die Dienstwohnung hätte verlassen müssen, falls er nicht geheilt w^orden wäre. Die Beschreibung dieses Ver- suches machte meine Disputation pro gradu medico aus.

Ich setzte einiges Mißtrauen in die Richtigkeit meiner Torjährigen Analyse über das Medeviwasser und kochte jetzt eine weit größere Portion als das erste Mal ein, in der Absicht, die Analyse zu wiederholen. Es zeigte sich dann, daß das Wasser Chlorcalcium und Chlormagnesium enthielt. Diese Analyse wurde jedoch nur halb fertig, weil meine Auf Wärterin einen Teil derselben verdarb.

Mein Stipendium ging im Juni 1801 zu Ende. Der erste Leibarzt Hedin verschaffte mir ein chirurgisches Stipen- dium im Coli, medicum, mit dessen Hilfe, durch eine kleine Anleihe unterstützt, ich das Herbstsemester dieses Jahres in üpsala zubringen konnte, um das Licentiatenexamen zu machen.

Bei den Arbeiten für dieses Examen stellte ich zu Hause in meinem Zimmer einige chemische Versuche an, die ersten, die ich zur Erforschung unbekannter Verhältnisse zu unter- nehmen wagte. Sie betrafen die chemischen Eigenschaften des neuentdeckten Stickstoffoxyduls, sodann den Verlauf der Bildung des Salpeteräthers nach Blacks Methode und die Neben- produkte, die dabei neben dem Äther 2') gebildet werden. Ich teilte J. Afzelius eine Abhandlung darüber mit, der sie an das Collegium medicum schickte; von diesem erhielt ich einen verbindlichen Brief mit der Benachrichtigung, daß sie bei der Akademie der Wissenschaften eingereicht worden sei.

Da ich keine Abschrift von meinem Bericht über diese Ver- suche, den ich nur meinem Lehrer zu lesen gegeben hatte, besaß, erkundigte ich mich drei Jahre später bei dem Sekretär

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der Akademie der Wissenschaften, Professor SjöstM, nach meinem Manuskript; er gab es mit dem Bescheid zurück, daß die Akademie diese Versuche nicht in ihre Verhandlungen aufnehmen könne, weil sie die neue chemische Nomenklatur nicht billige. ^^) Diese Versuche wurden später in den Abhand- lungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie gedruckt, II. 41.

Ich hatte jetzt meine Studien in Upsala beendet 2^) und brachte den übrigen Teil des Winters und Frühlings in Stock- holm zu, um an der Entbindungsanstalt und dem Seraphimer- Lazaret einen klinischen Kursus durchzumachen.

Am 1. Mai 1802 verteidigte ich in Upsala unter dem Präsidium des Professors der Medizin, Pee Afzelius, meine Doktordissertation 2*) und las am folgenden Tage meine lectiones praecursoriae vor; hiermit waren alle Pflichten für die Er» Werbung des medizinischen Doktorgrades erfüllt.

Einige Tage nach meiner Rückkehr nach Stockholm er- hielt ich, auf Veranlassung des ersten Leibarztes Hedin, von dem königl. Collegium medicum die Vollmacht, als Adjunkt der Medizin und Pharmazie, ohne Gehalt, in das chirurgische Institut in Stockholm einzutreten.

Der als naturhistorischer Reisende bekannte Anders Spaeeman war damals Professor. Seine Vorlesungen, die in seinem Wohnzimmer gehalten wurden, waren wenig besucht und von geringem oder gar keinem W^ert.

Anstatt mich nach Medevi mitzunehmen, trug Hedin mir auf, sein Amt als Hofarzt auf Drottningholm zu versehen. **) Dort hatte er mir ein besonderes Zimmer für meine chemischen Versuche eingeräumt, in dem ich so viel Zeit, als meine Tätigkeit als Arzt nur gestattete, zubrachte. Ein ansteckendes bösartiges Fieber warf mich Ende Mai aufs Krankenlager. Da ich dort der einzige Arzt war, und da die ärztliche Be- handlung versehen werden mußte, bat ich meinen in Upsala zurückgebliebenen Kameraden J. I. Eksteöm (später Leib- arzt VON Eksteöm) brieflich, sowohl meine Pflege als die der anderen Krauken schleunigst zu übernehmen. Ich befand mich lange in einem Zustand, dessen Ausgang unsicher war, und habe es gewiß seiner verständigen Pflege zu danken, daß meine Laufbahn nicht schon hier abgeschlossen wurde. Erst

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Mitte Juli konnte ich mein Amt wieder antreten. Bei Hedins Rückkehr ging ich nach Stockholm, wo der Bergwerksbesitzer W. VON HisiNGEB mir ein paar Stuben in seinem Haus auf Ladugärdsland anbot. Hisisger beschäftigte sich viel mit hydroelektrischen Versuchen, und wir unternahmen es, gemein- schaftlich die Gesetze ausfindig zu machen, nach welchen die chemischen Wirkungen der Säule hervorgebracht werden. Diese Untersuchung nahm uns bis Ende des Jahres in An- spruch. Ich verfaßte dann einen Bericht über dieselbe, der 1803 im Februarheft von Gehlens Journal der Chemie*^ auf- genommen wurde. Diese Abhandlung enthält die Grundlage derjenigen Gesetze, auf welchen die elektrochemische Theorie sich später aufbaute. Die unbekannten Namen der Verfasser er- weckten keine besondere Aufmerksamkeit. Als aber 4^/, Jahre später HcMPHBT Davy durch Anwendung dieser Gesetze mit den glänzendsten Entdeckungen, ^^ welche die Wissenschaft aufzuweisen hat, hervortrat, ließ der Neid uns Gerechtigkeit widerfahren. *)

Schon bei dem Aufenthalt auf Drottningholm hatten zwei Personen, eine jede für sich, mir ein gemeinschaftliches Unternehmen vorgeschlagen. Es waren, ein wissenschaftlich gebildeter, junger Chemiker aus Abo, Gustaf Magnus Schwabtz, und der Doktor der Chirurgie L. G. Webneb.

Schwabtz schlug vor, daß wir gemeinschaftlich chemische Vorlesungen einrichten möchten, er wollte versuchen, eine Subskription auf dieselbe zu veranstalten. Ich weigerte mich anfangs; Schwabtz erklärte jedoch, daß er die chemischen und

*} Davy hatte sich nicht merken lassen, daß unsere Resultate ihm bekannt waren, er hatte aber einen Versuch, der in unserer Abhandlung beschrieben wird, citiert, um ihn zu tadeln.") Als ich im Jahre 1819 die französische Auflage meiner Arbeit über die elektrochemische Theorie und die chemischen Proportionen der Akademie der Wissenschaften in Paris vorlegte und von dem Präsidenten Yanquelin mir Artigkeiten darüber gesagt wurden, äußerte er: „Wir betrachten es als eine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß wenn uns Ihre und Herrn Hisingers Arbeit über die che- mischen Wirkungen der elektrischen SSule bekannt gewesen wäre, als Davy den großen Preis von uns erhielt, wir ihn zwischen Ihnen beiden und ihm (d. h. Davy) geteilt hätten." Ich lege diesem Umstand keine Bedeutung bei und glaube, daß das Greschehene das richtigste war.

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physikalischen Apparate gekauft habe, mit denen im vorigen Winter ähnliche Vorlesungen von Samuel Bergman gehalten worden seien. Ich hatte sie von Zuhörern rühmen hören, ScHWARTz erklärte sie für einträglich und versprach, daß auf mich keinerlei Unkosten entfallen sollten.

So nahm ich den Vorschlag an. Schwaetz hatte sich die Erlaubnis verschafft, diese Vorlesungen im Zimmer des Ge- heimen Ausschusses im Riddarhaus zu halten. Die Spekulation mißglückte, nicht mehr als 10 Personen waren auf der Sub- skriptionsliste verzeichnet, als wir anfingen, und mehr wurden es nicht. Wir teilten Freibillets aus, um ein größeres Publikum herbeizulocken. Schon nach der ersten Stunde wurde die Er- laubnis, das Zimmer des Geheimen Ausschusses zu benutzen, zurückgezogen, weil man Schaden für die dort aufgehängten Landmarschallsporträts befürchtete, doch erwirkte das Direk- torium vom Riddarhaus für uns die Erlaubnis, den königl. Speise- saal im Opernhaus zu benutzen. Wir hielten die Vorlesungen abwechselnd, nur einmal in der Woche, und ich machte alle Vorbereitungen, weil ich dies gerecht und lehrreich fand. Bald erklärte jedoch Schwaetz, daß die Subskriptionsgelder ver- braucht seien und die Vorbereitungen für die Versuche aus unserer eigenen Tasche bezahlt werden müßten; nicht lange darauf wurden seine Instrumente Schulden halber mit Beschlag belegt. Er hatte sie nämlich nicht bezahlt, erklärte sich, nach mehreren verlängerten Zahlungsterminen für nicht mündig und verwies auf seine Mutter, die seine Vormünderin war; sie wohnte in Helsingfors. Dies erbitterte den Gläubiger und machte ihn hartnäckiger. Obgleich unsere Vorlesungen mir viel Arbeit machten und gar keinen Gewinn brachten, wollte ich doch nicht, daß sie ein so erbärmliches Ende nehmen sollten. Schwaetz wohnte bei seinem Schwager, einem vermögenden Mann; ich riet ihm, wegen der geringen Summe, die nicht mehr als 300 Reichstaler betrug, sich an diesen zu wenden, nachdem ich vorher dem Gläubiger, Großhändler Beegman, vergeblich angeboten hatte, Bürgschaft zu leisten. Schwaetz erwiderte indes, sein Schwager fände es richtig, daß der andere Kompagnon auch etwas täte, und es sei seine, d. h. meine Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß die Beschlagnahme

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aufgehoben werde; wenn ich das nicht tun wolle, müsse wohl die ganze Einrichtung verauktioniert werden. Ich fühlte, daß unter diesem erbärmlichen Ausgang unseres gemeinschaftlichen Unternehmens meine Ehre schwer leiden würde und ging mit einem so kummervollen Gesichtsausdruck fort, daß es die Aufmerksamkeit eines Freundes, dem ich begegnete, derart erregte, daß er mich daraufhin ansprach. Dieser Freund war der Brunnenarzt in Loka (später Bergrat) Dr. J. L. Aschak. Elr hörte von meinem Mißgeschick und sagte: „Wenn Dir mit so wenig geholfen ist, hoffe ich, Dich bald wieder froh zu sehen." Er gab mir sofort 300 Reichstaler mit der Anweisung, sie zurückzubezahlen, wann ich könne. Mit leichtem Schritt und großem Dank, den ich Aschan schuldete, suchte ich den Exe- kutor auf, löste den Schuldzettel ein und bekam den Schlüssel zu dem versiegelten Zimmer, mit der Erlaubnis, das Siegel zu brechen. Ich rechnete auf die Dankbarkeit meines Kom- pagnons für die so wunderbar schnelle Hilfe, doch täuschte ich mich, er antwortete mir, er freue sich, daß ich die Forderung seines Schwagers richtig gefunden habe. Unsere Vorlesungen konnten nun fortgesetzt werden und wurden im Mai geschlossen. Wir teilten die Instrumente nach dem Werte, der dafür angesetzt war, als Schwaetz den Kauf ausgemacht hatte. Nach einiger Zeit wurde mir Schwaetz' Anteil auf eine äußerst delikate Weise von seinem Bruder bezahlt, mit der Versicherung, daß sein Schwager und seine Schwester von der ganzen Angelegenheit nicht das Geringste gewußt hätten, bis alles schon vorüber gewesen sei, und daß gerade sie zu der jetzt geschehenen Zahlung brieflich Anlaß gegeben hätten. Ich konnte an Hisinger einige der kostbarsten In- strumente veräußern, die auf mein Teil fielen und war auf diese Weise bald imstande, meine Schuld an meinen edelmütigen Freund Aschan abzutragen.

Bei meinem anderen Kompagniegeschäft mit dem viel weniger gewandten, aber in noch schlechteren Geld Verhält- nissen steckenden L. G. Werner, erging es mir noch schlimmer. Dieser hatte eine Anstalt für künstliche Mineral- wässer in einem, ihm gehörenden Garten eingerichtet.*^) Um sie empfehlenswerter zu machen, hatte er sich eine königliche

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Order verschafft, welche den Generaldirektor C. F. v. Schulzen- heim: und den früheren Leibarzt, D. Rüng, zu Direktoren der Anstalt ernannte. Wenig zufrieden mit der Verantwortlichkeit gegenüber dem Publikum, wendeten diese sich mit dem Vor- schlag an mich, daß ich Werners Kompagnon in der An- stalt werden möge, wozu ich, auf liberale Bedingungen hin, von demselben aufgefordert wurde. Sie verschwiegen mir nicht, daß Werner als Geschäftsmann nicht im besten Ansehen stände, sie wollten indes, falls Zwistigkeiten auftreten, suchen, mir den Rücken frei zu halten. Ich nahm das Angebot zu Anfang des Sommers 1803 an. Werner überließ mir ein paar Zimmer in seinem Hause, und ich mußte nolens volens schon im April hineinziehen. Da er mir zu gleicher Zeit das Amt als Brunnenarzt übertrug, so ließ ich eine kleine Schrift über den Gebrauch künstlicher Mineralwässer im Druck erscheinen, die für einen billigen Preis den Kurgästen zugänglich war.^'') Die Anstalt wurde viel besucht, und ein paar Jahre ging alles recht gut. Ein Zimmer wurde als Auditorium eingerichtet und die Schüler des chirurgischen Institutes, an dem ich Assistent war, sowie auch Studenten der Pharmazie auf- gefordert, den Vorlesungen beizuwohnen. Das Wissen meiner Zuhörer war geringer als ich vorausgesetzt hatte, und die Vorlesungen brachten dadurch nicht den von mir erwarteten Nutzen; sie erregten aber die Aufmerksamkeit des Collegii medici und Generaldirektor v. Schulzenheim, der seit meiner Amtstätigkeit im Seraphimer-Lazaret*) mein besonderer Gönner

*) Als ich mich bei dem berühmten, aber damals sehr altersschwachen Generaldirektor Olof afAcrel zur Amtsverwaltung im Lasaret, nach damaliger Vorschrift mit einer schriftlichen Eingabe, meldete, benutzte ich die, von der schwedischen Akademie angewandte Schreibweise. Der Alte betrachtete meine Eingabe. „Wer war," fragte er, „Euer Vater?" Er war Geistlicher und Schullehrer. „Ein schlechter Schullehrer, der seinen Sohn nicht schreiben lehren konnte. Ihr tretet nicht eher das Amt im Lazaret an, bis Ihr schreiben gelernt habt." Er reichte mir das Blatt zurück und gab mir einen Wink, mich zu entfernen. Ich machte Schulzenheim meine Aufwartung, welcher der eigentliche Chefchirurg war, seit der alte Acrel in das Greisenalter getreten war, und fragte ihn, was in dem Fall zu machen sei. Er hieß mich, am folgenden Morgen im Lazaret anwesend sein. Hier stellte er mich Acrel vor und sagte,

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war, venibredete jetzt mit dem Collegium medicum den Plan, mir eine größere Wirksamkeit zu verschaffen. Der Ämter- kauf war noch nicht ganz abgeschafft, und bie kamen im Collegium medicum überein, daß man versuchen solle, einen solchen zwischen mir und Professor Spaekman zuwege zu bringen. Da ich keine Mittel dazu besaß, sollte Spakkjian in den ersten vier Jahren das Honorar einkassieren. Diese Bedingung war für mich nicht drückend, weil ich so wie so mehr unterrichtete als der Professor und dazu ohne Gehalt arbeitete. Das Gehalt betrug überdies nur 166 Rtlr. 32 Schi. im Jahre, und man setzte voraus, daß der Angestellte daneben von einem anderen Einkommen leben könne. Spabbman ließ von einem Juristen die Verpflichtungen aufsetzen, die von mir kopiert und unterschrieben wurden. Er sollte nur unter der Bedingung aus dem Amte scheiden, falls S. M. geruhte, mich zu seinem Nachfolger zu ernennen. Der König gab Spabbman jedoch einen unbedingten Abschied, und die Stelle wurde für unbesetzt erklärt, damit sie auf gewöhnlichem We;,'e ausgeschrieben werde. Mein Name erschien so auf der Liste der Vorgeschlagenen, und ich erhielt als Adjunkt den Auftrag, die Professur interimistisch zu verwalten. In dieser Zeit machte indes König Gustav Adolf eine Reise ins Ausland und hielt sich fast zwei Jahre in Deutschland auf,'^) währenddessen konnte die Sache nicht abgemacht werden. Darauf ersuchte ich die stellvertretende Regierung, da ich ganz ohne Gehalt war, das halbe Gehalt oder 83 Rtlr. 16 Schi, im Jahr zu tragen, es wurde aber aus dem Grunde abgeschlagen, weil mein Patent als Adjunkt es direkt ausspreche, daß ich Adjunkt ohne Gehalt sein solle. Da der König erst nach zwei Jahren zurückkehrte, wäre es mein Los gewesen, noch vier Jahre ohne jedes Gehalt zu dienen, falls ich, wie ich hoffte, dann für diese Stelle ausersehen würde. Ich gab es daher Spabbman anheim, ob er nicht unter diesen Verhältnissen, die keiner von uns hatte voraussehen können, auf das Gehalt für ein oder zwei Jahre verzichten wolle. Er erwiderte jedoch, daß er in

daß ich mit diesem Tage mein Amt angetreten habe. Von der Eingabe war keine Rede mehr.

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Kahlbaum, Monographicen. VII.

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dieser Sache schon viel zu kurz gekommen sei, um das Ge- ringste abzulassen. Als ich dann äußerte, daß es mir bei näherem Überlegen ratsamer für mich schiene, von dem Vor- schlag zurückzutreten und mir ein anderes Amt zu suchen, in dem ich eher Gehalt zu erwarten hätte, antwortete er: „Sie haben Ihren Kontrakt so unvorsichtig abgefaßt, daß Ihre Verptiichtung, mir vier Jahre das Gehalt zu überlassen, auch Geltung hat, Sie mögen im Amte sein oder nicht." Mir stieg wirklich, wie man zu sagen pflegt, das Blut zu Kopfe, weil Spaeeman selbst den Kontrakt hatte aufsetzen lassen und ich, in der Zuversicht, mit einem ehrlichen Manne zu tun zu haben, es nicht so genau genommen hatte. Glück- licherweise war ich im Besitz des Originals. Ein Jurist, den ich um Rat fragte, erklärte, daß sein Inhalt schwerlich in der Weise ausgelegt werden könne, gab mir aber den Rat, auf gesetzlichem Wege im voraus Protest einzulegen; ich be- folgte ihn auch und machte Spaeeman davon Mitteilung, der übrigens seine Rede wahrscheinlich nicht ernst gemeint hatte.

Einer meiner Mitbewerber, Dr. Konead Qüensel, Lehrer der Chemie an der Kriegsakademie zu Karlberg, der aber eigentlich mehr Zoologe als Chemiker war, erhielt 1805 die Professur; der König ernannte mich jedoch zum Assessor, einer ähnlichen Stelle, wie die der Assessoren im Collegium medicum. Dies war zwar eine ebenso schmeichelhafte wie ganz unver- mutete Aufmunterung, doch kam ich dadurch dem Ziel, nach dem ich strebte, durchaus nicht näher.

QuENSEL schien auch nicht auf den errungenen Erfolg vorbereitet gewesen zu sein und bat mich daher, noch ein halbes Jahr in der Amtsverwaltung fortzufahren, was ich mit Freuden tat.

Währenddessen war ich Johannis 1804 zum Doktor der Medizin promoviert worden. Die Fakultät, die lange zuvor Eksteöm einen Wink gegeben hatte, für die Beantwortung der Doktorfragen bereit zu sein, berief mich jetzt offiziell dazu. Der Dekan benachrichtigte mich aber in einem Privatbrief, daß es von mir abhänge, mich mit Eksteöm darüber zu ver- ständigen, welcher von uns beiden sich dieser Ceremonie unterziehen wolle. Es wurde mir nicht schwer, meinen Ent-

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Schluß zu fassen, viel schwerer war es, Ekstböm zu bewegen, eine auf so zweideutige Weise angebotene Ehrung anzunehmen. Er ging indes doch darauf ein, als ich ihm erklärte, daß ich im entgegengesetzten Fall nicht persönlich bei der Promotion zugegen sein würde.

Im Kompagniegeschäft mit Webneb gab es mancherlei Arbeit, mitunter rechte Hetzerei, aber schlechterdings keinen Verdienst. Ich war in seinem Hause einlogiert und hatte dort Kost für einen ausgemachten Preis, er war gewiß sehr gering, aber die Verköstigung fiel so spärlich aus, daß Webneb sie niemals mit seiner Familie und mir teilte. Bei der schmalen Kost und der vielen Arbeit magerte ich derart ab und wurde so bleich, daß meine näheren Freunde besorgt wurden und davon sprachen, ob ich nicht etwa an einer chro- nischen Krankheit litte, die mein Leben bedrohe. Aber ich befand mich durchaus wohl und war gewohnt, mich für ganz glücklich zu halten, wenn ich nur sicher ein Dach über meinem Haupte und Kost für meinen Magen hatte, wenn sie auch nicht reichlich und besonders wohlschmeckend war. Webneb machte niemals einen Jahresabschluß, oder aber er teilte ihn mir wenigstens niemals mit, und ich war zu wenig Geschäftsmann, als daß ich daran gedacht hätte, einen solchen von ihm zu verlangen.

Der Weg auf dem ich mich auszubilden suchte und wohin meine Neigung mich trieb, Lehrer und Gelehrter zu werden, schien mir nun versperrt zu sein, weil Professor Quensel nur ein paar Jahre älter als ich war. Ich mußte also durch Aus- übung des ärztlichen Berufes mir zu verschafi'en suchen, was ich von Kleidern, Büchern, von Instrumenten und Materialien für meine chemischen Versuche bedurfte. Durch meine Stellung als Brunnenarzt waren viele Kurgäste veranlaßt, noch immer meinen Rat einzuholen, dies waren jedoch lediglich solche, die ihren Arzt nicht bezahlen konnten. Vom Bezahlen des Brunnen- arzthonorars waren außerdem diejenigen, welche die Anstalt besuchten, frei. Meine ärztliche Praxis war mithin ein Zeit- aufwand ohne jeden pekuniären Erfolg, der mich auf eine un- liebsame Weise oft von einem angestellten Versuch fortriß; er ging verloren, weil ich ihn nicht persönlich überwachen

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konnte. Dies war aber auch das Einzige, was ich als ein eigentliches Mißgeschick empfand. Um indes auf eine Ein- nahme rechnen zu können, suchte ich eine Armenarztstelle mit 66 Rtlr. 32 Schi. Gehalt ^^ zu bekommen, und ich erhielt sie. Diese Praxis konnte täglich zu bestimmter Zeit aus- geübt werden und paßte mir deshalb besser.

In dieser Zeit glückte es mir, in Gemeinschaft mit HisiNGER eine chemische Entdeckung zu machen, welche die Aufmerksamkeit der ausländischen Chemiker einigermaßen auf uns lenkte. Scheele hatte angegeben, daß der sogenannte Bastnäs Schwerspat die Säure, die er entdeckt und Schwerspat- säure ^^) genannt hatte, nicLt enthielte. "Wir nahmen uns vor, zu erforschen, inwieweit dessen großes spezifisches Gewicht nicht von der Yttererde herrühre, zumal Hisingee fand, daß dessen Auflösung in Säuren süß schmecke. Dabei fanden wir einen Körper darin, der mehrere Eigenschaften der Yttererde besaßt aber hinsichtlich anderer sich von ibr unterschied; wir glaubten, daß dies einer fremden Beimischung zuzuschreiben sei, und wendeten vergeblich lange Zeit alle erdenklichen Mittel an, um dieselbe abzuscheiden.

Dann führten wir eine vergleichende Untersuchung zwischen ihren Eigenschaften und Salzen mit denen der Yttererde durch, und dies brachte uns zu der Überzeugung, daß der Körper neu und bisher unbekannt. Da es sich fand, daß er zwei Oxydationsstufen und zwei Serien von eigenen Salzen bildete, von denen die eine gefärbt, die andere farblos war, hielten wir ihn für das Oxyd eines Metalles, das wir Cerium nannten, je- doch gelang es uns nicht, ihn mit Kohle in metallischer Form herzustellen. Ich setzte einen Bericht darüber auf, übersetzte ihn ins Deutsche und schickte ihn an Gehlen in Berlin, damit er ihn in seinem Journal aufnähme. Ich hielt es für meine Schuldigkeit, Professor Johan Afzelius von unserem glücklichen Fund zu unterrichten und ihm eine Probe des neuen Oxydes zu senden. Er antwortete mir nach etlichen Wochen, daß er es gemeinsam mit Ekbberg untersucht und gefunden habe, daß es ein Gemenge von Yttererde, Beryllerde und Manganoxyd sei. Mein Schrecken, einen solchen Irrtum begangen zu haben, war im ersten Augenblick

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unbeschreiblich, besonders da die Abhandlung wahrscheinlich schon in Gehlens Händen war, derselbe währte aber nicht lange, da ich mich noch vor Tagesschluß von der Richtig- keit unsererer Versuche überzeugt hatte. Der neue Körper war in kaustischem Alkali unlöslich, wodurch das Nichtvor- handensein von BerjUerde nachgewiesen wai*, auch brachte er mit Alkali und Salpeter keine der Reaktionen hervor, die auch die geringste Spur von Mangan anzeigte. Als ich Ap- ZELiüs brieflich bat, mich die Mittel wissen zu lassen, deren man sich in Upsala bediene, um Berj'lloxyd und Mangan- oxyd abzuscheiden, erhielt ich zur Antwort, daß man eine solche Folgerung aus dem spezifischem Gewicht gezogen habe, wodurch man uns von einer übereilten Veröffentlichung ab- halten wollte.

GehIiEx antwortete bald, er teilte mit, daß uns Klap- BOTH mit der Entdeckung zuvorgekommen sei, der in dem nämlichen Mineral eine neue Erde, die er Ochroiterde nenne, gefunden habe. Er sandte uns einen Abzug von Klaproths Abhandlung, die in das im Druck befindliche Heft von Gehlens Journal gehörte, und versprach, daß unsere Abhandlung im folgenden Heft aufgenommen werden sollte.'*) Klapboth teilte also die Ehre der Entdeckung mit uns. doch hatten wir den Triumph, die Beschaffenheit des neuen Körpers richtiger als dieser größte analytische Chemiker Europas erforscht zu haben. Denn in dieser Zeit wurde ein bestimmter Unter- schied zwischen einer Blrde und einem Metalloxyd gemacht.

Als die Kunde hiervon nach Paris kam, hielten mehrere Schweden sich dort auf. ßergrat Lindbom, Hammer werks- direktor Swedesstj eksä und der Chemiker Samuel Bebgman, letzterer arbeitete in Vacqüellns Laboratorium. Ihr Eifer, die Priorität ihrer Landsleute zu verfechten, veranlaßte eine Notiz von Vauquelin in den Annales de Chimie,'*) in der die Entdeckung mitgeteilt, und der Verdacht ziemlich deutlich ausgesprochen wurde, daß Klapboth bei der Publikation seiner Arbeit möglicherweise von der unseren gewußt habe.

Klapboth, der ein etwas barscher Mann gewesen sein soll, schleuderte in einem sehr nachdrücklichen Briefe sofort den Bannstrahl gegen mich, und erklärte, daß er die Ochroiterde

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seit 1784, wo er sie Valentin Rose gezeigt habe, kenne. Er verlangte zu wissen, durch welchen von meinen Korrespondenten in Paris eine so unverschämte Unwahrheit ausgesprengt sei. Ich antwortete ihm in den höflichsten Ausdrücken, daß ich ein Neuling in der Wissenschaft sei, keinen Korrespondenten in Paris, und erst durch seinen Brief von der Angelegenheit Kenntnis erhalten habe. So verhielt es sich in der Tat. Dies war das Einzige, was ich mit diesem großen Chemiker je zu tun hatte. Ich schickte ihm von Zeit zu Zeit neue schwedische Mineralien, die von mir analysiert worden waren, erhielt aber nie eine Antwort. Klapeoth prüfte und billigte unsere Mitteilungen über die Eigenschaften der Ceroxyde, tadelte jedoch, daß wir den Namen unrichtigerweise von Ceres ^^ herleiteten, er änderte ihn deshalb in Cererium ab; ein Name, der eine Zeitlang von den Deutschen an- genommen wurde. Hisinger ließ unsere Abhandlung über Cerium^^ auf schwedisch besonders drucken. Da wir beide, teils gemeinsam, teils ein jeder für sich, fleißig arbeiteten, und, ich weiß gerade nicht warum, nie die Rede davon war, unsere Arbeiten der Akademie der Wissenschaften einzureichen, schlug er den Ausweg ein, sie in einer periodischen Schrift: „Abbandlungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie" auf schwedisch zu veröffentlichen, deren erster Band im Jahre 1806 auf seine Kosten herauskam.*)

Ich hatte bis jetzt in Stockholm ungefähr dasselbe Leben wie in Upsala geführt, beständig mit meinen Obliegenheiten oder chemischen Arbeiten beschäftigt und ohne anderen Um- gang als den einiger üuiversitätsfreunde.**) In Werners

*) Diese Abhandlungen wurden später fortgesetzt, die Kosten des zweiten und dritten Bandes bestritten wir gemeinschaftlich, der vierte Band wurde von dem auf dem Titelblatt angeführten Gelehrten, der fünfte und sechste Band von mir allein bezahlt. Die Opfer dabei waren jedoch recht groß und überstiegen meine Mittel.

**) Diese waren fast ausschließlich: Genseric Brandel (später Bchwediacher Gesandter in Berlin), Gustaf Brandel (später Major), C. Hochschild (später Freiherr und schwedischer Gesandter in Kopenhagen und im Haag), Dr. Pontin (später Mediziualrat v. Pontin), J. I. Ek- ström (später Leibarzt Ihrer K. H. der Prinzessin Sofia Albertina, V. Ekatröm), N. v. Wetter st edt (später Kanzleirat). Hinzugefügt 1841.

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Hanse fand ich keinen Verkehr. Er war bei den Mahlzeiten nicht zu Hause und lebte beständig mit Vereinsbrüdern aus- wärts. £r bebandelte mich mit Freundschaft und Achtung und wollte mich in den Kreis seiner Genossen einführen. Daher ließ ich mich in eine oder zwei dieser Gilden auf- nehmen. Aber ich erkannte klar, daß ich einem anderen Kreise angehören müsse, und schloß mich deshalb diesem nie an. Inzwischen machte ich auf eigene Hand die eine oder andere für mich interessante Bekanntschaft, unter denen ich vor allen Herrn Erik Ljungbekg anführen möchte, einen jungen Mann, der damals Besitzer einer Zuckerfabrik war. Er führte mich in seiner verehrungswürdigen Eltern Haus ein, und bald wurde ich von diesen wie ihr zweiter Sohn behandelt. Viele Jahre hindurch blieb das so. bis Ljungbeeg, der Vater, hochbetagt starb und die Familie aufs Land zog. In diesem Hause, wie in den feinen und gebildeten Kreisen der Philipsen, Moll, Morsixg, Skoge u.a., in die ich eingeführt wurde, fand ich die Behaglichkeit des Familienlebens wieder, die mir fast ganz verloren gegangen war. Im LjuNGBEBG'schen Hause war für mich stets ein Platz am Tische offen, und jeder Abend wurde in ihrem Kreise zugebracht. Von dieser Zeit an hatte das Leben ein früher nie geahntes Behagen für mich, und waren diese Jahre die frohesten und angenehmsten in meinem ganzen Leben. Ich bekam wieder eine gesunde Farbe, setzte Fleisch an und konnte mit vermehrter Kraft, ohne alle Sorgen, meine Arbeit verrichten.

Werners Leben außer dem Hause verschlang alles, was seine industriellen Unternehmungen einbrachten, obgleich die Sparsamkeit seiner Familie in der Haushaltung an Ärmlichkeit grenzte. Von Teilung irgend eines Einkommens war nie die Rede. Und als ich einmal versuchen wollte, hierüber aufge- klärt zu werden und verlangte, mich an dem Bücherabschluß zu beteiligen, faßte er dies als ein beleidigendes Mißtrauen auf und gab mir zu verstehen, daß mein Anteil am Gewinn kaum auf das knappeste für die Bezahlung von Miete und Kost ausreichen werde. Ich ließ mich damit abspeisen. Unter- dessen nahm er neue Anleihen auf seinen Privatnamen auf, und als dies nicht länger ging, verstand er es so einzurichten.

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daß er eine größere Anleihe auf meine, wirklich nicht allzu sichere, Privatbürgschaft hin, machte. Als auch dies Geld verbraucht war, nutzte er das Wohlwollen, das die Familie Ljüngberg für mich hatte aus, und verleitete sie zur Her- gabe einer neuen Summe, um eine Essigfabrik in einem damals unbenutzten Lokal, das ihm gehörte, zu errichten. Das Vertrauen, das der alte Ljungbeeg in mich setzte, veranlaßte ihn, seine bekannte sonstige Vorsicht beiseite zu lassen. Werner hatte wirklich Essig in Bouteillen gemacht, der vortrefflich ausfiel und als Probe diente, wie er ge- mticht werden mußte; doch weder er noch ich hatten eine Essigbrauerei gesehen, und was schlimmer war, mir fehlte jedes Talent zu industrieller Verwertung der Wissenschaft, ein Mangel, der mir während meines ganzen Lebens blieb und für mich viele Verluste mitbrachte.

In unserer Fabrik bildete sich die Essigsäure langsam und wurde nicht stark. Sie ließ sich jedoch nach und nach verkaufen; was aber auf diese Weise einkam, war für einen neuen Vorrat immer nicht ausreichend. Li dieser fatalen Lage kam Werner auf den abenteuerlichen Plan, durch die Anlage einer Anstalt für künstliche Mineralwässer in Peters- burg seinen schlechten Verhältnissen wieder aufzuhelfen. Dies wurde mit großer Heimlichkeit betrieben, damit ich vor dem Augenblick der Abreise nichts davon zu wissen bekäme. Ich erfuhr es jedoch einige Tage zuvor, und da es mir ein Ver- such absichtlichen Betruges zu sein schien, verlangte ich, daß unsere Geschäfte vor der Reise abgewickelt würden. Dies geschah halb im Zorn; Werner, der im Augenblick der Not das mündliche Übereinkommen nicht anerkannte, welches unserer Abmachung zu Grunde lag, machte den Kontrakt und die Abrechnung auf einmal, und ich wurde für meinen vier- jährigen Aufenthalt in seinem Hause mit einer Schuld von 500 Reichstalern in seinen Büchern belastet. Meine Freunde trösteten mich damit, daß ich leichten Kaufs davongekommen sei, obwohl ich so einfältig gewesen war, ohne schriftliches Übereinkommen, auf guten Glauben hin, mich zu binden. Werner kam bald wieder aus Rußland zurück, weil er nichts ausrichten konnte; er machte Bankrott, und ich mußte die

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Verpflichtung übernehmen, den Rückstand der Anleihe, für die ich Bürge war, zu bezahlen und jetzt als Schuldner zahlungsfähige Bürgen für dieselbe herbeiz uschaflfen. Das Kompagniegeschäft wurde aufgelöst, und ich, der ich ein festes jährliches Einkommen von nur 66 Rtlr. 32 Scb. hatte, schuldete nun der Diskontobank etwas mehr als 1000 Rtlr. banko. Aus der Eonkursmasse kamen nach einigen Jahren 8Y2 Prozent heraus. Zehn Jahre lang mußte ich der Bank alles abliefern, was ich, außer dem Bedarf für den Lebens- unterhalt, zusammenscharren konnte. Dies machte mich aber nicht mutlos, und ich dachte jetzt wie immer: Kommt Zeit, kommt Rat.

Eine Gesellschaft in Orebro hatte in der Umgebung dieser Stadt einen Gesundbrunnen, der Adolf bergsbrunnen genannt, mit Bauten und Spaziergängen versehen. Sie forderte mich im Herbst 1805 auf, eine Analyse dieses noch nicht unter- suchten Wassers zu machen. Ich kam der Auflforderung nach. Bei dieser Gelegenheit ersuchte mau mich, von einer anderen, einige Meilen davon gelegenen Heilquelle Kenntnis zu nehmen, die dort am Orte Pullequelle genannt wurde. Man erzählte, daß sie sich zwar früher eines selir großen Rufes erfreut habe, vermutete jedoch, daß die Untersuchung fortan jede Konkurrenz mit dem Adolfbergsbrunnen aus- schließen würde. Die Quelle lag in einer öden Waldgegend am Rand eines großen sumpfigen Moors, und war selbst für Fußgänger kaum zugänglich. Sie zeigte das höchst eigen- tümliche Phänomen, daß vom Grund beständig Luftblasen auf- stiegen,*) die ich in einer mitgebrachten Flasche auffing. Ich nahm auch von dem Wasser zur Untersuchung und ließ es in Adolfberg zu einem tjocknen Rückstand einkochen. Die Analyse des Rückstandes machte ich in Stockholm. Die libe- rale Vergütung, welche die Gesellschaft mir für meine Be- mühungen gewährte, gab mir Gelegenheit, auf der Heimreise

•) Von diesen aufsteigenden Blasen war der richtige Name der Quelle Porla käUa hergeleitet. Sie ist jetzt Schwedens berühmteste Heil- quelle, und ich habe einige Ursache, die von mir bei dieser Gelegenheit gemachte Untersuchung, als den Grund der Aufmerksamkeit, die mau ihr widmete, anzusehen.

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einen Umweg zu machen. Ich besuchte Falun und hatte dort Gelegenheit, die später für mich so wichtige Bekannt- schaft des unvergeßhchen Johan Gottlieb Gähn zu machen und ferner Gefle, sowie die Eisenwerke und die Gruben in Dannemora.

Die Analysen der beiden Mineralwasser waren von ge- wissem Interesse. Der Gehalt an kohlensaurem Kali und kohlensaurem Manganoxydul in beiden und die bedeutende Menge von Stickstoffgas mit wenig Kohlensäuregas vermischt, die sich in der Porlaquelle entwickelten, waren für die Kenntnis des Mineralwassers etwas ganz Neues. Aus diesem Grunde reichte ich den Befund meiner Analysen der Akademie der Wissenschaften ein und teilte Gehlen in Berlin, mit dem ich seit ein paar Jahren in regelmäßiger Korrespondenz stand, brieflich mit, was ich darin für neu ansah. Er begehrte die Abhandlung unverzüglich in seinem Journal aufzunehmen, weil Landeiani in Italien eine Entwicklung von Stickstoff aus Quell- wasser ^^) auch soeben beobachtet hatte. Ich wollte sie indes nicht bekannt machen, ehe die Akademie der Wissenschaften mit dem Druck fertig war. Als Gehlen nach einigen Monaten mich wiederholt mahnte und ich den Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Sjöst£n, nach ihrem Schicksal fragte, gab er mir zur Antwort, daß die Akademie sie für ihre Ab- handlungen nicht recht passend finde, sondern dem Verfasser den Rat gebe, sich an die Redaktion der Zeitschrift „Der Arzt und Naturforscher'' ^^ zu wenden, und daß die Äußerung, Beeg- MANS Bestimmung des Kohlensäuregehaltes im kohlensauren Kalk sei nicht richtig gewesen,**^) jedenfalls gestrichen werden müsse. Ich fühlte mich hierdurch beleidigt, zog die Abhand- lung zurück und beschloß, der Akademie keine Arbeit mehr einzureichen. Dies veranlaßte die Fortsetzung der Abhand- lungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie, wobei es mich herzlich freute, daß sie die gleichzeitig veröffentlichten Abhandlungen der Akademie an Umfang übertrafen.

Durch den Tod meines Promotionsgenossen Dr. Zethelius wurde das Sekretariat im Collegium medicum frei, und ich meldete mich als Kandidat; indes erhielt es der Mitbewerber, Professor L. M. Philipsen, der eine Zeitlang Professor der

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Anatomie an der Akademie der freien Künste gewesen war,

sein Amt aber schon lange aufgegeben hatte. Bei der Wahl unter den Bewerbern war die Anzahl der Stimmen gleich, doch die Stimme des Vorsitzenden Salomok, die dabei ent- scheidend wurde, fiel auf Philipsen, und er wurde sofort zur Verwaltung des Amtes berufen. Die Hälfte des Kollegiums, welche mich als Sekretär zu haben wünschte, riet mir, eine Klage beim König einzureichen, was ich auch tat. Der Konig war jedoch wieder in Deutschland, und die Entscheidung der Sache verzögerte sich. Philipsens Bruder, mit dem ich befreundet war, bot mir auf eine besonders delikate Weise einen Geldersatz an, wenn ich meine Klage zurücknehmen wolle; ich lehnte es aus dem Grunde ab, daß wenn mein Anspruch bevorzugt zu werden, keinen Grund habe, er mich umsonst bezahlt haben würde. Ein höherer Beamter versuchte es, mit einem Hinweis auf die Folgen für meine Zukunft, mich durch Drohungen dahin zu bringen, ich antwortete indes seinem Bevollmächtigten, daß ich mit vollem Vertrauen meine Zukunft in die Hände des Königs lege.

Noch vor der Rückkehr des Königs starb Professor QuENSEL, auf einem Spaziergang im Karlberger Garten im Sommer 1806, ganz plötzhch an einem Blutsturz, und ich wurde sofort zu seinem Nachfolger als Lektor der Chemie auf Karlberg mit einem Gehalt von 100 Rtlr. ernannt. Da ich es nun als gewiß betrachtete, daß mir niemand die Professur streitig macheu könne, nahm ich meine Klage in Bezug auf das Sekretariat zurück und wurde dann im Januar 1 807 mit einem Gehalt von 166 Rtlr. 32 Seh. zum Professor an der chirurgischen Schule in Stockholm ernannt; da ich die SteUe als Armenarzt beibehalten konnte, hatte ich mein leidliches Auskommen.

Während ich dieser Professur nach Spabrmans Tode interimistisch vorstand, hatte das Collegium medicum ein eigenes Haus auf Riddarholm bekommen, und auf meinen Vorschlag hin ließ es ein Lokal für die Einrichtung eines Unterrichtslaboratoriums anweisen; dies gab es früher nicht**) Es war gerade mit Quexsels Tode fertig geworden, und ich richtete dann ähnliche pharmazeutische und chemische Übungen wie in Upsala ein. Das Collegium medicum nahm

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den Hofarzt Dr. Pontin an meiner Stelle als Adjunkt an. Auf meine Bitte, wirkte das Collegium medicum bei dem König eine jährliche staatliche Beisteuer von 200 Reichstalern zu In- strumenten und Materialien für die Laboratoriumsarbeiten aus. Dr. Pontin war mir bei diesen Arbeiten mit besonderem Eifer behilflich, bis seine Praxis als Arzt nach einigen Jahren den größten Teil seiner Zeit in Anspruch zu nehmen anfing. Wir hatten eine gemeinsame Wohnung, in der ich die Küche als Laboratorium einrichtete, und auch er verschiedene eigene Untersuchungen anstellte.

Die anfänglich noch recht wenig vorgeschrittenen Schüler ersahen aus dem, was ich bei ßepetitorien und Examen als unerläßlich forderte, bald, daß sie nicht vorwärts kommen könnten, wenn sie sich nicht größeren Eifers befleißigten, und zu meiner großen Befriedigung merkte ich bald die gute Wirkung dieser Maßregeln.

Im Sommer 1807 hatte ich Gelegenheit, eine Reise nach dem südlichen Schweden und nach Kopenhagen kostenfrei zu machen.

Ein jüngerer Universitätsfreund, Hr. Jakob Adleebeth, war nach einer überstandenen Krankheit hochgradig hypochon- drisch geworden. Sein Vater, der hervorragende Dichter und Staatsmann (später Freiherr) Adleebeth, bat mich, dem Er- krankten auf einer Sommerreise Gesellschaft zu leisten, was ich mit Freuden annahm. Eeik Ljungberg begleitete uns. In Kopenhagen machte ich die Bekanntschaft des berühmten Oeested und knüpfte mit ihm ein Freundschaftsband, das mit den Jahren sich mehr und mehr festigte. Wir besuchten alle Städte in Schonen und Blekingen und eine Menge von Plätzen, an denen sich Sehenswürdigkeiten der Natur oder der Kunst fanden. Nach 2^2 Monaten hatte ich die große Befriedigung, den an Körper und Geist vollkommen hergestellten Sohn dem bekümmerten Vater wieder zuzuführen.

Ich verfaßte damals Lehrbücher in der Muttersprache für den Unterricht in der Chemie und ihre Anwendung für medi- zinische Zwecke. Der Mangel an derartigen Leitfäden machte sich an der Universität weniger fühlbar, da man dort allgemein die deutschen benutzte, aber auf der chirurgischen Schule in

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Stockholm konnte man auf die Kenntnis einer fremden, leben- den Sprache nicht rechnen. Ich hatte daher schon als Adjunkt an gefangen, daran zu arbeiten, diesem Mangel abzuhelfen.

Als ich in üpsala Physiologie studierte, bedauerte ich stets^ daß zur Zeit Albrecht Hällees die Chemie noch nicht so weit vorgeschritten war, daß sie diesen außergewöhnlichen Forscher bei seinen Untersuchungen auf den richtigen Weg hätte leiten können. Es schien mir klar zu sein, daß ein Chemiker mit physiologischen Kenntnissen in dieser Wissenschaft sehr viel leisten könne, und ich beschloß daher, mich solchen Unter- suchungen zuzuwenden. Ich begann deshalb eine chemische Physiologie auszuarbeiten, der ich, um die Forderungen der- jenigen Physiologen, die zugleich Anatomen waren, nicht zu hoch zu spannen, den Titel: „Vorlesungen über Tierchemie" gab. Der erste Band kam 1806 heraus.

Es zeigte sich aber bald, daß weder richtige Daten noch Ansichten den schon vorhandenen Arbeiten über Tierchemie entlehnt werden konnten. Ich mußte also eine Menge ana- lytischer Untersuchungen über TierstoflPe vornehmen, wie über das Blut, die Galle, die Flüssigkeiten und Häutchen der Augen, die Knochen, das Mark, die Häute im allgemeinen und die Sehnen, das Fett in den Knochen und der Diploe, das Fleisch und dessen Flüssigkeiten u. s. w.; die Herausgabe des folgenden Teils verzögerte sich infolgedessen bis 1808. Die Analysen wurden in diesem späteren Teil aufgenommen, ebenso wie mehrere andere, die erst nach der Veröffentlichung der Tier- chemie fertig wurden, in den Abhandlungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie erschienen.

Das Studium dieser Arbeit war indes nur für solche Schüler geeignet, die schon gute chemische Kenntnisse be- saßen und anatomische Studien gemacht hatten.

Ich mußte auch ein Lehrbuch über die eigentlichen Grundlagen der Chemie verfassen, von dem der erste Band gleichfalls 1808 herauskam.

Als ich dieses ausarbeitete, wurde meine Aufmerksamkeit durch die RiCHTEEschen Untersuchungen über die gegenseitige Zerlegung der neutralen Salze unter Beibehaltung der vollen Neutralität*^ in hohem Maße gefesselt, und es setzte mich in

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Erstaunen, daß man diese Frage in der antiphlogistischen Chemie so lange hatte beiseite liegen lassen. Es schien mir sonnenklar, daß das von ihm aufgestellte Naturgesetz richtig sein mußte, wenn auch mehrere Chemiker gegen die Richtigkeit seiner analytischen Resultate, auf welche dasselbe nachweislich gegründet war, Einspruch erhoben. Ich setzte meine Ansicht im Lehrbuch auseinander (S. 399) und beschloß dabei, durch richtige Analysen die Berechtigung meiner Überzeugung faktisch darzulegen. Dies wurde der Grund zu der Richtung meiner wissenschaftlichen Arbeiten während des größten Teils meiner tätigsten Lebensjahre, d. h. zu meinen Arbeiten über die chemischen Proportionen.

Meine ersten Versuche in dieser Richtung schlugen nicht gut aus. Ich hatte noch keine Erfahrung, weder eine wie große Genauigkeit der Resultate erfordert wurde, noch auf welchem Wege eine solche durch Wiegen gewonnen werden könne; dabei fehlten mir Instrumente und Geräte für feinere Versuche. In Schweden gab es nur einen einzigen Platintiegel, der Hi- siNGER gehörte; er stellte ihn mir freundschaftlich zur Ver- fügung, doch war er für meine Wage zu schwer. Ich erkannte außerdem häufig die Schwierigkeit nicht, eine unlösliche, gefällte Verbindung auf ihren richtigen Sättigungspunkt zu bringen. Ich mußte meine Analysen mehrfach nach ver- schiedenen Methoden wiederholen, um diejenige Methode zu finden, welche am sichersten zum richtigen Resultate führte, kurz: ich mußte durch meine eigenen Irrtümer auf die Wege geführt werden, die jetzt so allgemein bekannt sind, daß jeder sie sofort anwendet, und mußte bei dem Grundsatz bleiben, meine Analysen so zu wählen, daß der Ausschlag so wenig wie möglich auf geschicktes Manipulieren bei der Ausführung beruhte. Auch als ich versuchte, das erwähnte Gesetz für die Berechnung meiner Resultate anzuwenden, erhielt ich anfangs lauter Abweichungen, unterbrach meine Versuche zeitweise in Verzweiflung über die Unmöglichkeit, mein Ziel zu erreichen, fing sie mit neuerwachter Hoffnung wieder an, die wieder getäuscht wurde, bis schließlich ein Lichtstrahl sich zeigte.

Ich fand, daß gewisse Analysen bei der Berechnung unter sich tibereinstimmten, als sie aber zusammengestellt wurden

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erhielt ich zwei Serien, die voneinander deutlich abwichen, so daß die einfachen Glieder aus der einen, nicht zu denen der anderen stimmten. Als ich nach der Ursache forschte, stellte es sich heraus, daß sie in ein paar Grundzahlen lag, welche aus Analysen abgeleitet waren, die ich als so vollkommen ausgeführt betrachtet hatte, daß ich mich nicht für fähig hielt, sie mit gleicher Präzision fertig zu bringen, wenn ich versuchen wollte, sie zu kontrollieren. Dies waren Valentin Roses Analysen von schwefelsaurem Bar}t und schwefelsaurem Natron, und Buch- holz' von Kochsalz und Chlorsilber.*^ Es wurde jetzt not- wendig, die Zusammensetzung von schwefelsaurem Barjt und von Chlorsilber mit aller erdenklichen Genauigkeit zu bestimmen. Nachdem dies geschehen war, hatte ich endlich die Freude, alle meine Analysen mit den RiCHXEßschen Gesetzen überein- stimmend zu finden, doch hatte dies eine zwei Jahre lange, rastlose Arbeit erfordert. Unterdessen war die Entdeckung Davys, daß Alkalien und Erden oxydierte Metalle seien; und die von mir und Pontin gemachte Beobachtung, daß Ammoniak in Verbindung mit Quecksilber von der elektrischen Säule zu einem metallischen Körper**) reduziert werden könne, be- kannt worden; weiter waren Wollastons Untersuchungen über saures und neutrales, weinsaures und oxalsaures Kali, erschienen, die sich auf Daltons Grundzüge der Lehre von den Atomen der Elemente gründeten. Alle diese hatten an- gefangen, die Aufmerksamkeit der Chemiker auf solche Gegen- stände, als der Forschung würdige, zu lenken, und sie flochten sich allmählich auch in den Plan meiner Untersuchung, der sich jetzt mehr und mehr erweiterte, ein.**)

Meine Vermögenslage hatte sich indes bedeutend gebessert. Die Akademie der Wissenschaften hatte beschlossen, eine Zeit- schrift unter dem Titel: Ökonomische Annalen, herauszugeben, und beauftragte ihr Mitglied, Rittmeister Adleespaeke (den später so bekannten Grafen Geobg Adlekspaebe, mit der Re- daktion derselben; früher war er durch seine Veröffentlichung: „Lektüre über verschiedene Themata" *•) rühmlich bekannt ge- worden. Er hatte auch den pekuniären Teil der Annalen auf eigene Rechnung übernommen, und bat mich, sein Mit- arbeiter mit einem für die damalige Zeit ziemlich bedeutenden

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Honorar für jeden von mir abgelieferten Artikel Original, oder Übersetzung, zu werden. Dieses Journal nahm 1808 seinen Anfang und da Adleespaeee sich an den poHtischen Ereig- nissen dieser Jahre bald tätig beteiligte, so besorgte ich die fortlaufende Herausgabe der Annalen^^) allein, die 1809 auf- hören mußte, weil sie Adleespaeee große Verluste brachte. Doch ehe diese Erwerbsquelle versiegte , eröffnete sich mir eine andere. Der Krieg erforderte einen starken Aufwand an Ärzten, die Schüler der chirurgischen Schule wurden ab- kommandiert und neue von allen Seiten herbeigeschafft, um besonderen und intensiven, dabei rein praktischen Unter- richt zu bekommen, sc daß sie bald wieder durch neue er- setzt werden konnten. Die Professoren erhielten dabei Feld- löhnung, und dies ging bis zum Ende des Krieges fort; dann wurden ihre früheren kleinen Gehalte durch den Keichstag, der im Jahre 1809 nach der Revolution zusammengetreten war, nominell verdoppelt; in Wirklichkeit wurden sie viermal größer dadurch, daß der hinzugekommene Gehalt in Getreide bestand, welches anfangs nach einem niedrigen Marktpreis, aber dann jedes Jahr nach dem wirklichen, der in kurzem bedeutend stieg, berechnet wurde. Diese Gehaltsaufbesserung stand mit einem von David von Schulzenheim entworfenen Plan im Zu- sammenhang, daß auf der Grundlage der in Stockholm befind- lichen chirurgischen Schule eine vollständigere medizinische ünterrichtsanstalt errichtet werden solle, an welcher, nach dem Muster der besseren ausländischen Anstalten, die Übungen in der Anwendung der ärztlichen Kunst gleich während der Studien- zeit stattfinden könnten. Die Richtigkeit dieser Ansicht wurde von den Reichsständen anerkannt, und sie bewilligten große Summen für ihre Verwirklichung. Mehrere Professuren wurden eingerichtet. Der meinem Lehrstuhl zugehöiende Unterricht in theoretischer und praktischer Medizin, sowie in der materia pharmaceutica, wurde zwischen drei neue Professoren geteilt, Chemie und Pharmazie blieben für mich übrig. Jedoch ver- ringerte dies meine Geschäfte nicht, weil die nämliche Stunden- zahl, die früher für alle Lehrfächer bestimmt war, jetzt für das eine Fach aufgewendet wurde. Die Stände bewilligten Gelder zum Kauf eines neuen ünterrichtslokals, so nahe wie möglich

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beim Seraphimerlazarett und zur Einrichtung eines Gamisons- lazaretts in dessen Nachbarschaft. Als dies alles organisiert war, erhielt die neue Anstalt den Namen: Karolinisches medicochirurgisches Institut,*^ Nur ein einziger geringfügiger Umstand unterblieb, um dieser Schule ihren Wirkungskreis zu schaffen, der, daß sie ihren Schülern größere Berechtigungen als die bisherigen geben konnte, welche den nun aufgehobenen unvollkommenen chirurgischen Unterrichtsanstalten entsprochen hatten. Leider aber konnte das nicht durchgesetzt werden.*^

Ich befand mich jetzt in einer solchen Lage, daß ich die Armenarztstelle aufgeben konnte und gewann hierdurch viel Zeit für wissenschaftliche Arbeit. Ein Unglücksfall war nahe daran, ihr für immer Abbruch zu tun. Um der Natur des Ammoniaks auf die Spur zu kommen, hatte ich Knallgold angewandt und, da der Versuch zu keinem Resultate führte, beschlossen, aus diesem gefährlichen Präparat das Gold wieder zu gewinnen; nun hatte ich gefunden, daß dies mit ver- dünnter Salzsäure und Zink ohne alle Gefahr geschehen könne. Als ich aber den ganzen Rückstand (von mindestens ein paar Dukaten)*") auf einmal reduzieren wollte, wandte ich eine zu wenig verdünnte Salzsäure an. Dabei explodierte die Masse mit einem fürchterlichen Knall; die Säure schlug mir mit solcher - Geschwindigkeit ins Gesicht, daß ich die Augen nicht mehr schützen konnte und Splitter des zer- schlagenen Glases mir in meine linke Hand drangen. Zu meinem Glück war Pontin, der noch mit mir zusammen wohnte, zu Hause, und ich hatte es seiner schnellen, umsichtigen und liebevollen Fürsorge zu danken, daß ich, nach monatelangem Verweilen im dunklen Zimmer, wieder sehen konnte, obschon mit einer noch jahrelang dauernden Trübung im rechten Auge. Die zerrissene Hand heilte auch, mit den darinsteckenden Glassplittern, die von Zeit zu Zeit eiterten und kleine purpur- farbige Narben zurückließen. Die Zeit, welche verfloß, bis entschieden werden konnte, inwieweit ich mein Sehvermögen verlieren oder nur unvollkommen wiedererlangen würde, war in Wahrheit eine entmutigende Prüfungszeit.

Die Akademie der Wissenschaften ernannte mich 1 808 zu ihrem Mitglied; 1810 war ich von Februar bis August Präsi-

Eahlbaam, Monognphieen. VIL 4

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dent derselben. Als ich das Präsidium niederlegte, trug ich eine Abhandlung über die Fortschritte der Tierchemie vor.

Als die Kunde von dem plötzlichen Tode des Kronprinzen Kael August auf der Qviinger Heide im Jahre 1810 in Stockholm eintraf, erhielten Pontin, der damals Leibarzt der Königin war, und ich den Befehl, sofort dorthin zu reisen, um die Sektion vorzunehmen. Bei unserer Ankunft war sie schon von Professoren aus Lund,^^) auf Aufforderung des Leibarztes Rossi hin, der in der Eigenschaft eines Arztes im Gefolge des Prinzen reiste, gemacht worden. Ich entging hierdurch der heiklen Untersuchung des Magen- und Gedärmeinhaltes. Schon vor dem Tode des Prinzen hatte sich nämlich das all- gemeine Gerücht verbreitet, daß gewisse, mit seiner Wahl als Thronfolger unzufriedene Leute sich vorgenommen hätten, ihn zu vergiften. Der Inhalt des Magens wurde wohl bei der Sektion gesammelt, aber später weder verwahrt noch versiegelt, und war folglich nicht mehr vorhanden. Dieses Versäumnis diente jedoch dem Volke als Beweis, daß man hiermit dem Nach- weis des positiven Vorhandenseins von Gift vorbeugen wollte und trug in bedeutendem Maße zu dem bedauerlichen Aufruhr bei, der darauf in Stockholm ausbrach, und dem Graf Axel V. Feksen unschuldig zum Opfer fiel. Allerdings erregte es meine Verwunderung, daß ältere Männer, Mitglieder einer me- dizinischen Fakultät, bei einer so wichtigen Gelegenheit nicht alle Vorsichtsmaßregeln beobachtet haben sollten, welche bei der Untersuchung der Leiche plötzlich Verstorbener die Gesetze im allgemeinen vorschreiben. Für den Augenblick schenkte ich dem aber keine große Aufmerksamkeit, weil die Umstände, welche dem Tode des Prinzen vorausgingen, auf das Deutlichste bewiesen, daß hier keine Vergiftung stattgefunden habe. Ich erstattete sofort mit der Post einen Privatbericht hierüber an den Präsidenten des Sanitätskollegiums D. v. Schülzenheim ; der offizielle Bericht war von Pontin in allgemeinen Aus- drücken abgefaßt worden.

Unser Auftrag war verfehlt, und wir benutzten die Nähe der dänischen Hauptstadt, um derselben einen kurzen Besuch abzustatten. Als wir Ende Juli nach Stockholm zurückkehrten, waren alle Gemüter in Aufregung über die Unruhen, welche

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dort am 20. Juni'") beim Eintreffen der Königlichen Leiche stattgefunden hatten. Ich erhielt sofort eine Aufforderung, mich bei dem Oberstatthalter einzufinden;^^ er warf mir vor, daß mein Schreiben an den ersten Archiater v. Schülzex- HEiM, zu dem was geschehen sei, wesentlich beigetragen, weil dieser die unverzeihliche Unvorsichtigkeit begangen habe, es überall mitzuteilen. Ich erklärte, ich könne nicht begreifen, wie ein wahrheitsgetreuer Bericht über die Ausführung des erhaltenen Auftrags daran teil haben könne. Er erwiderte, ich hätte mir in dem Brief entschlüpfen lassen, daß der begründete Verdacht einer Vergiftung vorliege. Meine Ant- wort war, daß ich entgegengesetzter Meinung sei, nachdem ich die Umstände bei dem Tode des Prinzen kennen gelernt hätte. „Ich habe Ihren Brief in der Tasche," sagte er, „Sie sind leicht zu widerlegen." Ich bat darum. Im Brief fanden sich die Worte unbegründeter Verdacht. Er entschuldigte sich damit, daß mehrere, die den Brief bei Schclzenheim gelesen, ihm die Versicherung gegeben hätten, das Wort begründete sei angewandt worden. Als ich mit Pontin König Karl XIU. untertänig um eine Audienz ersuchte, um einen mündlichen Bericht von dem Ausgang unseres Auftrags zu erstatten, er- hielten wir, nach fünfstündigem Warten, den Bescheid, daß S. M. in die Ministerialsitzung gegangen sei.

Eine Gesellschaft, die den Namen: „Opinionsklubben" angenommen hatte, forderte uns auf, Mitglieder zu werden, um uns über die Ereignisse bei dem Tode des Prinzen aus- zuforschen. Als wir erklärten, daß dem Gerücht von einer Vergiftung jeder plausible Grund fehle, kehrte man uns den Kücken, und wir verabschiedeten uns auf Nimmerwiedersehen. Sowohl der Teil der Bevölkerung, welcher die gleiche Über- zeugung, wie die bei den Unruhen Mitwirkenden hegte, wie auch jener Teil der Machthaber, der nicht beizeiten eingrei- fende Maßregeln angewendet hatte, um sie zu verhüten, waren gleich unzufrieden, als wir unsere Überzeugung aussprachen.

1811 betraute man mich, in meiner Eigenschaft als Professor der Pharmazie und bei dem gleichen Gehalt, mit Sitz und Stimme im CoUegium medicum, so oft es die übrigen Geschäfte erlaubten. Dabei blieb es auch, als das Kollegium

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sich bald darauf auflöste und das Sanitätskollegium sieb organisierte. Im nämlichen Jahre wurde ich, mit einem jähr- lichen Gehalt von 400 Reichstalern, zum Mitglied eines Komitees, das die Aufgabe hatte, Versuche über die Gewinnung von Salpeter anzustellen, bestellt, dessen Präsident Edelcrantz, und Sekretär Hr. G. M. Schwartz waren; letzterer hatte den Auftrag, die Arbeiten auszuführen. Die Tätigkeit dieses Komitees dauerte bis 1818. Dann wurde das Lokal wegen des Baues des Garnisonslazarettes gebraucht. Damit wurden die fortlaufenden Versuche abgebrochen, und diese kostspielige- Anstalt, die auf so gutem Wege schien, brauchbare Resultate zu erzielen, wurde ohne allen Nutzen aufgelöst. Da Professor Jons Svanberg, der, einige Jahre nach Sjöst^ns Absetzung,^ Sekretär der Akademie der Wissenschaften^*) gewesen war, im nämlichen Jahre als Professor der Mathematik nach Upsala übersiedelte, meldete ich mich als Bewerber um das frei- gewordene Sekretariat, bekam aber als Mitbewerber den Pro- fessor bergianus*) ülof Swartz, dessen anerkannte Verdienste als Botaniker ihm einen berechtigten Vorzug gaben. Dabei erhielt ich indes, auf den Vorschlag des abgehenden Sekretärs, einen jährlichen persönlichen Zuschuß von 200 Reichstaler, mit der Verpflichtung, der Akademie der Wissenschaften meine Versuche zur Veröffentlichung zu übergeben. So kam es, daß ich meine bisher der Akademie gegenüber geübte Zurück- haltung aufgeben mußte. Als Beweis meines aufrichtigen Wunsches, mich der Akademie dankbar zu erweisen, reichte ich zwei Abhandlungen ein, die in kleinen Abteilungen nach und nach in den nächstfolgenden Jahrgängen gedruckt wurden. Als ich von neuem einreichte, was inzwischen fertig ge- worden war, verbat es sich Swartz und verlaugte, daß ich für die Verhandlungen der Akademie nur kurze Auszüge liefern solle. Dies stimmte mit meinen Ansichten über die Beschaffenheit der Abhandlungen einer Akademie nun wieder nicht überein, die keine Novellensammlung, sondern der Platz sind, eingehende Untersuchungen, die nicht für das große Publi- kum, sondern für wirkliche Gelehrte bestimmt sind, niederzu-

*) Bergius, der Stifter dieser Professur.

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legen. Da es mir nicht gelang, meine Anschauung bei Swaetz zur Geltung zu bringen, so wurde es eine Notwendigkeit, die Veröffentlichung in den Abhandlungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie fortzusetzen, obschon diese bedeutende Opfer erheischte. Um aber meinen Verpflichtungen der Akademie gegenüber nachzukommen, teilte ich dann und wann einen Auszug aus einer meiner Abhandlungen, die einen solchen zuließ, ftlr die Verhandlungen mit, z. B. die Versuche über Schwefelkohlenstoff, die Entdeckung des Selens u. a.

Meine chemischen Arbeiten lieferten in dieser Zeit keinen Stoff zu kleineren, voneinander unabhängigen Aufsätzen, sie waren eine zusammenhängende Kette von Versuchen, die in einer Folge sich aufeinander bezogen und keinen Auszug ver- trugen, weil sie eine Zusammenstellung von Beweisen für Sätze ausmachten, die sich einer aus den andern entwickelten. Allmählich kam ich mit verschiedenen ausländischen Ge- lehrten in Korrespondenz, unter denen besonders Beethollet und Davy genannt werden mögen. Ersterer lud mich ein, nach Paris zu kommen und bei ihm zu wohnen; mir fehlten aber die Mittel, eine Reise zu unternehmen. Graf Gcstap LöwENjHELM, der zufälligerweise von dieser Einladung erfuhr, zeigte den Brief dem eben angekommenen Kronprinzen Kabl JoHAN (Beknadotte), der sofort versprach, die Kosten meiner Reise zu bestreiten. Vorher waren aber noch verschiedene Vorbereitungen, und vor allem die Herausgabe des zweiten Bandes meines Lehrbuches der Chemie, das sich jetzt im Druck befand, zu erledigen.

Als ich endlich im Frühjahr 1812 damit fertig war, hatte Schweden Krieg mit Frankreich. Bebthollet schickte mir jedoch eine ministerielle Ordre, die ich vorzeigen sollte, um die Grenze des französischen Gebietes, welche damals Hamburg war, frei passieren zu können. Mein Weg ging über Orebro, wo der König und der Kronprinz sich beim Reichstag aufhielten. Der Kronprinz äußerte den Wunsch, daß ich unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht nach Frankreich reisen möge. Ich bat um die Erlaubnis, England zu besuchen und erhielt sie. Am letzten Juni landete ich morgens in Harwich und kam am nämlichen Tage um 8 Uhr abends in London

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an. Dort suchte ich den schwedischen Pfarrer G, Beunmabk auf, der mich mit väterlicher Fürsorge aufnahm; ich bedurfte dieser um so mehr, als ich, mit Ausnahme von Kopenhagen, vorher niemals den ausländischen Boden betreten hatte; und da ich nicht vorbereitet war, nach England zu reisen, so fehlte mir die nötige Fertigkeit, mich in der englischen Sprache auszudrücken. Es ging auch anfangs sehr langsam damit.

Davy war damals der berühmteste Chemiker in Europa. Seine persönliche Bekanntschaft zu machen, war der Haupt- zweck meiner Keise nach England. Kurz vor meiner Ankunft hatte er eine vermögende Witwe ^^) geheiratet, war ihm der Titel eines Baronet*) verliehen und hatte er sein Haus auf dem größten Fuße eingerichtet. Sein neuer Stand war wohl der G-rund, daß er seinen schwedischen Korrespondenten nur geringe Beachtung schenkte. Ich gab meine Karte ein paarmal bei seinem französischen Haushofmeister ab, ohne einen Be- weis zu erhalten, daß er irgend welche Notiz davon genommen habe. Als ich meine Karte zum dritten Male abgab, erhielt ich den Bescheid, daß Sir Humphey am nächsten Tage um 10 Uhr vormittags zu Hause anzutreffen sein werde. Er war indes auch dann abwesend, und ich wurde angewiesen, ihn in der Royal Institution ^^ aufzusuchen. Ich ging auch hin, wurde von dem Portier augemeldet und dann angewiesen, in einer Rumpelkammer zu warten. Nach etwa 20 Minuten trat Davy ein, wies mir einen Platz zum Sitzen an und setzte sich selbst möglichst weit ab von mir. Seine Konversation war artig, aber 80, als ob wir einander gänzlich fremd wären. Ich überreichte ihm das Diplom der Akademie der Wissenschaften, er nahm es mit kalter Würde in Empfang und sagte, daß er mich zum Mitglied der Royal Society vorgeschlagen habe. Wie ich später erfuhr, war dies gar nicht der Fall gewesen. Er forderte mich auf, ihn in das Laboratorium zu begleiten, wo er den Besuch des portugiesischen Ministers Grafen Fünchal er- wartete, der dem Anstellen eines für die Theorie der Schwefel- säurebildung sehr wichtigen neuen Versuches beiwohnen wollte (die Bildung des kristallisierenden Körpers, der entsteht, wenn

*) Berzelius schreibt fälschlich Knight.

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schweflige Säure und feuchte salpetrige Säure in Gasform zu- sammenkommen).^^) Er stellte mich dem Minister vor, der mir einige freundliche Begrüßungsworte in gebrochenem Schwe- disch sagte. Elr war nämlich in seiner Jugend ein paar Jahre chargä d'affaires in Stockholm gewesen und hieß damals Herr DE SorzA. Ich habe später viel Freude an der Bekanntschaft dieses ausgezeichneten Gelehrten, sowohl in London, wie auch mehrere Jahre nachher in Paris, gehabt. Während der Ver- such angestellt wurde, tauschte man verschiedene chemische Ideen aus, auf Sir Hümphbys Seite anfangs mit einer gewissen zurückhaltenden Würde. Dabei kamen wir auf seine damals neu aufgestellte Lehre vom Chlor zu sprechen ; ich nahm mir die Freiheit, in Bezug auf dieselbe zu äußern, sie sei noch nicht so durchgeführt, daß man annehmen könne, sie werde den Vor- zug vor den älteren Ansichten erhalten. Er erwiderte, er wisse nicht, welchen Einwurf man gegen sie erheben könne. Ich fragte, ob seiner Ansicht nach die basischen Salze der Salzsäure, z. B. mit Bleioxyd und Kupferoxyd, nach ihr ebenso konsequent wie nach den alten Ansichten*^) erklärt werden könnten. Er fixierte mich einen Moment mit nachdenklicher Miene und ant- wortete dann: ,,Ich bin noch nicht dazu gekommen, an diese zu denken, hoffe aber, daß auch sie auf eine befriedigende Weise erklärt werden können.'' Bei einem Alltagsmenschen hätte man wohl einiges Mißvergnügen über meinen Einwurf erwarten können. Datt indes vergaß seine vornehme Rolle und wurde ein interessanter, ja zuletzt ganz vertraulicher Kamerad. Ich brachte hier ein paar lehrreiche Stunden zu, nach deren Verlauf Davy mir riet, sofort ein öffentliches Fuhrwerk zu benutzen und nach Greenwich zu fahren, wo die Mitglieder der Royal Society um 2 Ühr auf der Sternwarte zum Mittagsmahl zusammen- kämen. Er schrieb einige Zeilen, um mich bei dem royal astronomer Pond einzuführen, der mich vorstellen sollte. Dann lud er mich ein, mit ihm (Davy) am folgenden Tage zu früh- stücken, zu dinieren und die italienische Oper zu besuchen. Ich befolgte Davys Rat und befand mich nach einer Stunde in Greenwich. Pond stellte mich der gesamten Ge- sellschaft vor und machte mich besonders mit James Watt, WoLLASTON, Smithson Tennant, Thomas Yoüng u. a. bekannt.

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die sich alle Mühe gaben, dieses Zusammensein angenehm und lehrreich für mich zu machen. ^^) Beim Mittagsmahl, das in einem Gasthaus in Black-heath^*^) stattfand, wurde ich zwischen die beiden Sekretäre Wollaston und Young gesetzt. Als ich mich auf einmal in der Gesellschaft von Männern befand, deren wissenschaftliche Verdienste ich schon lange zuvor bewundert hatte und welche in einer wissenschaftlichen Epoche, die bis jetzt Englands glänzendste ausmachte, die ausgezeichnetsten waren, hatte ich eine höchst eigentümliche Empfindung von Befriedigung und Begeisterung. Vis-ä-vis hatte ich Sir Joseph Banks und Sir William Heeschel, die meisten der übrigen Tischgäste waren mir durch irgend eine mehr oder weniger ausgezeichnete Arbeit dem Namen nach bekannt. Dieser Tag ist einer der unvergeßlichsten meines Lebens. Als ich heim- kam, fand ich ein Billet von Davy auf meinem Tische; er dankte mir mit den verbindlichsten Worten dafür, daß ich seine Aufmerksamkeit auf die basischen salzsauren Salze ge- lenkt habe, deren Theorie er jetzt nach der Lehre vom Chlor als eines einfachen Körpers auch klargelegt hätte und schloß damit, kis brother of science an sein Versprechen zu erinnern, den folgenden Tag zum Teil in seinem Hause zu verbringen.

Am nächsten Tage bei Davy angelangt, wurde ich von dem französischen Haushofmeister in ein drawing-room geführt, in dem der Frühstückstisch gedeckt war; ich wurde dort eine Weile allein gelassen, um die ungeheure Menge von kost- baren Luxusartikeln zu bewundern, die hier, fast möchte man sagen, aufgespeichert waren und den unvorteilhaften Eindruck machten, als ob hier ein Emporkömmling den rechten Mittel- weg nicht habe finden können.

Jetzt öffnete der Haushofmeister die Türe, und nach einigen Augenblicken trat Sir Hümphry ein; es dauerte aber nicht lange, bis er wieder aus seiner Rolle fiel und der über alle Beschreibung interessante Chemiker Davy wurde. Lady Davy machte uns einen kurzen, artigen Besuch beim Frühstück, ohne indes daran teilzunehmen.

Wir teilten uns später in einem mehrstündigen Gespräch die Resultate unserer beiderseitigen Arbeiten mit. Als ich auf meinen Versuch über die beiden, bisher fast unbekannten

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Säuren des Antimons zu sprechen kam, holte Davy eine Arbeit hervor, die er unter dem Titel: Elements of Chemical Philo- sophy, gerade im Druck erscheinen ließ und las vor, was er darin über die Antimonoxyde sagte. Ich bemerkte dagegen, daß das Antimonoxyd, dem ich den Namen antimonichte Säure ge- geben hatte, weder schmelzbar noch zu verflüchtigen sei und fährte als Beispiel der scheinbaren Flüchtigkeit der antimo- nichten Säure die des Zinkoxydes an. Er las dann seiner- seits vor, was er über das Zinkoxyd, das von ihm auch als schmelzbar und flüchtig beschrieben wurde, angeführt hatte. Nach einer Weile einigten wir uns doch dahin, daß dies un- richtig sei. Davt machte sein Buch zu und versprach mir, wenn die Arbeit in den nächsten Tagen herausgekommen sein werde, ein Exemplar zu schicken, mit dem ausdrücklichen Wunsche, daß ich anmerken, wenn etwas Fehlerhaftes darin vorkomme und ihm die Resultate einiger der von mir be- sprochenen Versuche schriftlich mitteilen möge.

Ich hatte alle Ursache, von dem in Davys Gesellschaft verbrachten Tag sehr befriedigt zu sein. Ich lenite in ihm ein Genie mit ungewöhnlich weitem Gesichtskreis und Klar- heit in den Ansichten kennen, kühn und unabhängig von vor- gefaßten Meinungen und Annahmen, vor keiner Schwierigkeit zurückschreckend, wo es galt, neue Bahnen zu brechen, das sich aber noch nicht Mühe genug gegeben hatte, alle Einzel- heiten der Wissenschaft zu studieren. In Bezug auf das letztere fühlte ich mich ihm eben so sehr überlegen, wie er es mir im übrigen war, und deshalb schätzte ich ihn sehr hoch. Seine erstaunenswerten Entdeckungen, auf tiefsinnige Gedanken gegründet und mit einer eisernen Ausdauer ausgeführt, hatten ihn jetzt auf den höchsten Ehrenplatz der Wissenschaft ge- stellt, den ihm keiner streitig machte. Das durch seine Heirat gewonnene Vermögen und der wohlverdiente Ehrentitel, den der König ihm bei dieser Gelegenheit verliehen hatte, eröffnete seinem nach Ehren geizendem Sinne ein anderes Feld, wo die Ehrbegierde zur Eitelkeit wird; er wollte vornehm werden und merkte nicht, daß, um auf diesem Felde zu glänzen, man darin aufgewachsen sein, den Brauch dieser Klassen kennen, und ihre Gewandtheit in den Umgangsformen besitzen muß.

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Der Gelehrte wird in diesen Kreisen hochgeschätzt, wird aber zum Spott, wenn man merkt, daß er sich nach ihnen zu bilden sucht und es ihm nicht gelingt.

Dies war nun das Schicksal des großen britischen Chemi- kers. Er hatte soeben die Professur an der Royal Institution für immer aufgegeben, in welcher er die Bewunderung des ge- bildeten Publikums errungen hatte, und suchte in den Salons andere Lorbeeren, die zu pflücken ihm noch nicht geglückt war, und wo man von seiner eigentlichen Größe viel abzog. Auch später tat er sehr wenig, um sie zu wahren. Seine Freunde beklagten, seine Bekannten verspotteten diese Eitelkeit. Sein Scharfblick ließ ihn bald seine wirkliche Lage erkennen. Das machte, daß er sich in seinem Vaterlande nicht mehr wohl fühlte und durch fortwährenden Besuch fremder Länder ein Leben voller Zerstreuungen führte, das ihm beständige Triumphe bereitet hätte, wenn er ihm eine höhere Richtung gegeben haben würde. In diese verkehrte Bahn war Davy nicht lange vor meiner Ankunft in London geraten. Er war noch berauscht von der Begeisterung des Erfolges. Darauf beruhte die ausnehmende If'reundlichkeit, mit der er jetzte mein Ausstellungen aufnahm und mich zu neuen aufmunterte, wovon andere Freunde, die seine Stimmung unter gewöhnlichen Verhältnissen wohl kannten, doch ernstlich abrieten.

Davy reiste nach ein paar Tagen mit seiner Frau von London ab, und kehrte, so lange ich mich dort aufhielt, nicht zurück.

Ich machte außerdem viele Bekanntschaften in England, die für mich von Wert waren. Mit Wollaston, Smithson Tennant, Alexander Marcet stand ich später in beständigem Briefwechsel, so lange sie lebten. Besonders mit Maecet wurde er sehr lebhaft.

In seinem Laboratorium führte ich, mit ihm gemeinschaft- lich, eine Untersuchung über die Zusammensetzung, Nat\ir und Eigenschaften des Schwefelkohlenstoffes aus, konnte sie jedoch nicht vor meiner Rückkehr beendigen.*'^)

Hierdurch wurde ich mit der Art und Weise der Engländer, Untersuchungen auszuführen, bekannt. Von den großen Mitteln, die ihnen zu Gebote standen, wußte ich nichts, dagegen war

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ihre Methode, zu präzisen analytischen Resultaten zu gelangen, der meinen nicht gewachsen. Ich lernte beides, den Gebrauch und die Notwendigkeit einer Menge von Instnimenten kennen, welche anzuschaflfen Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen Freigebigkeit mir Gelegenheit gab. Mabcet nahm mich in seine chemischen Vorlesungen, in Guys Hospital, ^^ mit; ich hatte dort Gelegenheit zu lernen, wie in chemischen Vor- lesungen Versuche gemacht werden müssen, und bekam eine Menge schöner Experimente zu sehen, die nur zu dem Zweck, in einer Vorlesung gezeigt zu werden, erdacht waren. Ich durfte Mabcets Vorlesungsplan mit den für eine jede Vorlesung be- stimmten Versuchen abschreiben und fügte später immer alles, was hineingepaßt werden konnte, hinzu.

Um auch etwas von England, außer London, näher kennen zu lernen, machte ich allerlei kleinere Touren nach verschiedenen Richtungen hin. Mit Pastor Beünmabk besuchte ich Windsor und lernte viele seiner Sehenswürdigkeiten kennen. Das wich- tigste für mich war aber der große Astronom Hekschel und sein Observatorium in Slough, in der Nähe des königliche Lustschlosses. Der hochbetagte Gelehrte nahm uns zuvor- kommend auf, zeigte uns seine, stets auf freiem Felde stehenden Tuben und die Regelung des Riesenteleskops; es gelang ihm nie, dessen großen Spiegel so korrekt zu bekommen, daß er richtig hätte angewendet werden können. Mit dem Sekretär der Royal Institution, Herrn Güillemabd, machte ich eine Reise nach Cambridge, wo ich mit einem Gefühl von Andacht das Zimmer besuchte, wo Newton den größten Teil seiner schönsten Ent- deckungen gemacht hatte, und außerdem nahm ich Gelegenheit, die besonderen Einrichtungen und zahlreichen Merkwürdig- keiten dieser Universität kennen zu lernen. Eine etwas längere Reise unternahm ich mit meinem Freunde, Smithson Tennant, der jetzt auf seiner Farm Shipham in der Nähe der kleinen Stadt Oxbridge wohnte. Ich besuchte auf dieser Tour Bristol nnl Batli und in Texnants Gesellschaft verschiedene Landsitze.

Ein intimer Freund von Davy, Sir John Seebbight, lud mich ein, ein paar Tage auf seinem Besitztum Beechwood in Hertfordshire zuzubringen, um das Landleben bei einem englischen Gentleman kennen zu lernen. Ich verbrachte dort

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eine angenehme, interessante Woche in Gesellschaft der See- BEiGHTschen Familie und der Chemiker Maecet und Chenevix, in der wir alle gemeinschaftlich, den berühmten Chirurgen AsTLEY CooPER auf Seinem nicht weit entfernt liegenden Land- gut besuchten. Thomas Young nahm mich auf einige Tage nach seinem Landhaus beim Seebad Worthing am Kanal mit. Dieser Ausflug war von größtem Interesse für mich, sowohl wegen des interessanten Gelehrten, bei dessen Familie ich mich aufhielt, als auch wegen des Platzes selbst; doch gab er An- laß zu einer für mich sehr unangenehmen Angelegenheit, die ich jetzt erzählen werde.

Gelegentlich eines Mittagsmahls in engerm Kreise bei WoLLASTON, fragte mich dieser, ob ich Davys neu heraus gekommenes Buch gesehen und darin die Unrichtigkeit in der Angabe über die Kristallform des Diamantes bemerkt habe; ich erwiderte, daß mir dies entgangen sei, daß ich aber verschiedene andere Dinge, z. B. daß Chlor aus Salz- säure und Quecksilberoxyd ^^) erhalten werde, gesehen hätte. Die Anwesenden hatten alle das Buch gelesen, und erklärten eine solche Angabe darin für unmöglich, es wurde herbei- geholt und die Angabe fand sich. Man war jetzt sehr neu- gierig, zu hören, welche Ausstellungen ich sonst noch zu machen hätte, ich erwiderte indes, daß ich sie wohl im Buche selbst angemerkt hätte, aber mich jetzt deren nicht mehr erinnern könne.

Bei dieser Gelegenheit war Yoüng nicht anwesend, als er mich aber abholte, verlaugte er ausdrücklich, daß ich mein Exemplar von Davys „Elements'^ mitnehmen solle, einem Wunsche dem ich auch nachkam. Erst spät abends kamen wir nach Worthing, weil der ganze Weg mit demselben Pferd zurück- gelegt werden mußte. Als ich am folgenden Morgen ziemlich früh in das Gesellschaftszimmer hinunter kam, fand ich Young damit beschäftigt, die angemerkten Stellen aus meinem Exem- plar in seinem eigenen mit Strichen zu versehen. Auf meine Frage, weshalb er dies tue, erwiderte er ganz ehrlich, daß er mit mir über das Angemerkte sprechen wolle. Er hatte es über- nommen, das Buch für ein literarisches Journal zu rezensieren und glaubte, eine eingehende Kritik werde den durch seinen

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Erfolg übermütig gewordenen Verfasser in seine Schranken zurückweisen. Darauf erklärte ich ihm, daß er in diesem ITalle eine Erklärung über die angemerkten Stellen von mir nicht erhalten werde. Ich stellte ihm vor, daß eine solche Kritik möglicherweise bei Davy Widerwillen gegen die Wissenschaft erregen könne, weil er schon zu der Befürchtung Anlaß gegeben habe, daß er beabsichtige, künftighin weniger als früher sich mit chemischen Forschungen zu beschäftigen; und erinnerte ihn an Chenevix, der durch den Mißerfolg, den er infolge eines Ver- suchs, das Palladium**) künstlich herzustellen, in der Wissen- schaft gehabt, für immer die Arbeiten in der Chemie aufgegeben habe, wie er mir noch vor einigen Tagen selbst versicherte. YouNO gab die Richtigkeit dieser Bemerkung zu und sagte, daß Davy außerdem viel empfindlicher als Chenevix sei. Schon am folgenden Morgen las er mir eine Rezension vor, in der er mit gerechtem, aber vielleicht etwas zu weit getriebenem Lobe, die von Davy in der Arbeit mitgeteilten neuen Ansichten darlegte. Er verlangte nun von meinen Bemerkungen bei den vorgemerkten Stellen zu seinem Privatgebrauch Kenntnis zu nehmen. Ich teilte sie ihm im Vertrauen mit; als aber Davy einige Zeit nach meiner Heimreise wiederkam, suchte er dessen intimere Freundschaft dadurch zu gewinnen, daß er ihn meine Bemerkungen wissen ließ; hierdurch wurde bei Davy eine feindliche Stimmung gegen mich geweckt, die wohl später gemildert, aber niemals gänzlich ausgetilgt ward.

Während meines Aufenthaltes in London hatte Bbünmaek meine bei der Niederlegung des Präsidiums in der Akademie der Wissenschaften vorgetragene Abhandlung über die Fort- schritte der Tierchemie übersetzt. Um recht sicher zu sein, daß keine unrichtigen Ausdrücke darin gebraucht worden seien, bat ich Young, die Übersetzung durchzulesen, ehe sie gedruckt wurde, was er auch übernahm. Er war damals da- mit beschäftigt, eine medizinische Arbeit*) herauszugeben und benutzte die Gelegenheit, um einen Auszug des wesentlichen Inhaltes der Abhandlung seinem Buche als Nachtrag an- zuhängen. Veröffentlicht wurde es erst nach meiner Abreise,

*) A Synopsis of medical litterature and nosology etc.

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Als Bkunmaeks Übersetzung später auch erschien, wurde dadurch der Absatz zunächst wesentlich gehindert, nachher verkaufte sie sich aber doch; so daß derselbe noch eine neue Auflage veranstalten mußte.

Nach fünfmonatlicher Abwesenheit kam ich im November 1812 nach Stockholm zurück, vollkommen befriedigt von dem, was ich auf dieser Reise an Erfahrungen erworben hatte, ob- gleich sie in eine Zeit fiel, wo die Royal Society nicht ver- sammelt war noch Banks berühmte Gelehrten-Soireen statt- fanden, und dankbaren Herzens für alle die außerordentliche Freundschaft, die ich von allen Gelehrten und Freunden der Wissenschaft erfahren hatte, deren Bekanntschaft zu machen ich Gelegenheit fand. Ich war mit einer Menge von Instru- menten, die mir früher fehlten, versehen, welche mich in Stand setzten, Versuche anzustellen, an deren Ausführung ich früher nicht hatte denken können , und für welche ungefähr 250 £ aufgewendet waren.

Als bald nach meiner Heimkehr die landwirtschaftliche Akademie errichtet wurde (im Dezember 1812),^^) ernannte mich S. M. der König zu deren arbeitendem Mitglied und zum Verwalter der wissenschaftlichen Klasse mit einem jähr- lichen Gehalt von 300 Rtlr. Dieses Amt wurde mir autang- lich auf drei Jahre, später aber auf Lebenszeit übertragen.

Nachdem ich einige Zeit zu Haus war, teilte mir Marcet in einem Briefe mit, daß Davy höchst aufgebracht über mich sei, und seine Unzufriedenheit laut äußere, ohne daß es ihm gelinge, die Ursache ausfindig zu machen; hierüber verlangte er von mir Aufklärung. Ich wußte indes damals gar nichts davon, bis Young mir schrieb, daß Davy die Bemerkungen, die ich, wie er wußte, ihm (Young) über seine: Elements of Chemical Philosophy mitgeteilt hatte, von ihm gefordert habe. In Bezug auf diese hatte ich doch mit keinem weiter als mit ihm und Maecet gesprochen. Letzterer hatte sie ihm nicht verraten. Young dagegen hatte sich ihrer Mitteilung nicht entziehen können, obgleich er wohl wußte, daß Davy darüber gekränkt sein würde; dies konnte auch nicht vermieden werden, da Davy die meisten nicht für richtig hielt. Er hatte auch zu seinem großen Arger gefunden, daß ich in der Abhandlung

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über die Fortschritto der Tierchemie an einer Stelle äußerte, daß er Beddoes Schüler gewesen sei: er forderte mich auf, dies öflfentlich zurückzunehmen.

Ich antwortete Youxg ziemlich kurz, seine Mitteilung an Davy sei ein Vertrauensbruch, die Angabe ,DAvy sei Beddoes Schüler, sei einem anderen Verfasser entlehnt und ich beab- sichtige um so weniger eine Änderung derselben vorzunehmen, als ich in London Gelegenheit gehabt hätte, Frau Beddoes' persönliche Bekanntschaft zu machen, die mir von Davy und von den Umständen, unter denen er in das Haus ihres ver- storbenen Mannes gekommen sei,*^ oft erzählt habe. Yoüng antwortete wohl noch einmal, daß er es sich als Verdienst anrechnen könne, Davy zu einer freundlicheren Gesinnung gegen mich gebracht zu haben, ich ließ seinen Brief jedoch un- beantwortet und brach allen weiteren Verkehr mit diesem hervorragenden Gelehrten ab, dessen Persönlichkeit auch an- deren als mir berechtigte Veranlassungen zum Arger gab.

Indessen hatte Davy in diesem Fall wirklich Ursache, sich verletzt zu fühlen. Ich hatte versprochen, ihm meine Be- merkungen zu seiner Arbeit mitzuteilen, und nun waren sie ihm durch einen Dritten hinterbracht worden. So hielt ich mich für verpflichtet, ihm hierüber eine Erklärung zu geben, und schrieb ihm, daß ich sowohl durch Marcet als auch durch YoüSG, Kenntnis von seinem Arger über die von Yoüxg ihm mitgeteilten Randbemerkungen erhalten hätte. Dieselben seien aber nur dazu bestimmt gewesen, ihm selbst mündlich von mir mitgeteilt zu werden. Da ich jedoch keine Gelegenheit gehabt hätte, ihn vor meiner Abreise noch zu treflFeu und ich sie für eine schriftliche Mitteilung nicht wichtig genug erachtet habe, sei eine solche überhaupt unterblieben. Was ich YouNG mitgeeilt, wäre auf seine wiederholte Bitte und im vollen Vei-trauen geschehen, dies aber hätte er, wie ich jetzt zu meinem Leidwesen fände, mißbraucht. Da ich nicht bestimmt wüßte, ob das, was er vorgebracht hatte, gerade meine, nur mündUch oder gesprächsweise bei einem mehr- tägigen Aufenthalt in Worthing mitgeteilten Bemerkungen seien, betrachte ich es als meine Schuldigkeit, ihn zu be- nachrichtigen, wie ich selbst darüber dächte. Diesem Briefe

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wurden dieselben schriftlich beigelegt. Davt würdigte mich keiner Antwort. Ein zweiter Brief, den ich ihm nach einiger Zeit sandte, blieb ebenfalls unbeantwortet. Weiter konnte ich nicht gehen.

Als Frau Stael, welche den Winter 1812 13 in Stock- holm zugebracht hatte, gegen den Herbst 1813 nach England reiste, wollte sie einen Brief von mir an Davt mitnehmen. Ich erwiderte ihr, daß die Verhältnisse mir nicht erlaubten, ihm zu schreiben. Da sie aber äußerte, daß sie von denselben vollkommen unterrichtet sei und für eine Antwort von Davt bürgen wolle, gab ich nach und erhielt nach einiger Zeit eine freundliche Zuschrift von ihm.^'')

Inzwischen wurde jede in meinen Schriften geäußerte Meinung, die mit Davts Ansichten nicht übereinstimmte, abermalige Ursache zu Verdruß, Marcet bemühte sich wohl denselben beizulegen, oft aber ohne Erfolg. Er benach- richtigte mich, daß mehrere Freunde Davts sich zu der Herausgabe eines wissenschaftlichen Journals unter dem Titel: Journal of the Royal Institution^^) zusammengetan hätten, in dem man beabsichtige, mir Gleiches mit Gleichem zu ver- gelten. Dies ging auch in Erfüllung. Das Journal wurde zehn Jahre lang fortgesetzt, die Erbitterung gegen mich ging darin so weit, daß man z. B. an einer Stelle äußerte: „Every thing intelligible in Beezeliüs' writings is borrowed from Sir HuMPHRT Davt." Ich beschloß, unbekümmert meinen Weg zu gehen und keine Rücksicht auf persönliche Angriffe zu nehmen, da dann der Angegriffene gewöhnlich den größeren und stets den besseren Teil der Jünger der Wissenschaft auf seiner Seite hat.

Ich hatte bisher bei meinen Untersuchungen über die chemischen Proportionen, die Mineralien nicht in Betracht ge- zogen, meist aus dem Grunde, weil ich keine Kenntnisse in der Mineralogie besaß, obgleich ich hier und da, wenn ich auf- gefordert wurde, Mineralien analysiert hatte. Dieses Gebiet blieb nun zu studieren. Ein englischer Arzt, Dr. Mac Michael, hatte im Winter 1812 13 sich ein wenig mit chemischen Versuchen in meinem Laboratorium beschäftigt und beab- sichtigte womöglich, verschiedene der selteneren schwedischen

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Mineralien für das Britische Museum anzuschaffen. Dazu fand sich eine Gelegenheit, da Ekebehgs Erben seine Mine- raliensammlung für einen besonders billigen Preis ausboten. Ich schlug Mac Michael vor, sie zu kaufen. Nachdem er die Seltenheiten ausgewählt hatte, und da der Rest ihm zur Last fiel, bot er mir diesen als Basis für eine künftige Mineralien- sammlung an. Ich nahm sein freundschaftliches Geschenk entgegen. Als ich dann nach einiger Zeit begann, Mineralogie zu studieren, um meine Sammlung zu ordnen, wobei ich von den am meisten befolgten Systemen Haüts, Webnebs, Kaestens und Hausmanns Kenntnis nahm, schien mir weder in dem einen, noch in dem anderen irgend ein durchgreifendes Prinzip herrschend zu sein, obgleich Haüys System offenbar das am konsequentesten durchgeführte war. Jedoch erwies sich sein Prinzip gerade für die eigentlichen Gesteine als mangelhaft. Indem ich über ihre Beschaffenheit nachdachte, daß sie aus verschiedenen basischen, mit Kieselerde verbundenen Erdarten zusammengesetzt seien, wurde es mir ganz klar, daß die Kiesel- erde eine Säure ist, und daß die kieselhaltigen Mineralien als ein-, zwei- oder mehrbasische kieselsaure Salze betrachtet werden und die Silikate folglich nach denselben Gesetzen wie andere Salze zusammengesetzt sein müssen. Da der Sauerstoff- gehalt der Kieselerde durch frühere Versuche mir approximativ bekannt war, prüfte ich die Richtigkeit der Idee durch eine Berechnung, zu der ich ein Silikat mit nur einer Basis wählte; dies war Klapkoths Analyse des Tafelspats. ^^ Es zeigte sich sofort, daß das Verhältnis des Sauerstoffs der Kiesel- erde zu dem der Kalkerde = 2 zu 1 war. Ich rechnete nun eine große Anzahl von Analysen, die von ausgezeichneten Chemikern ausgeführt waren, durch, und es zeigte sich dabei daß der Sauerstoff der Kieselerde zu dem der Basen sich wie 3, 2 uud 1 zu 1 verhielt. Am meisten von allen frappierte mich die Analogie der Zusammensetzung des Feldspats mit der des Alauns. Ich versuchte dann ein rein chemisches Mineralsystem aufzustellen und meine Sammlung danach zn ordnen. Diese Ansichten schienen mir einen so entschiedenen Vorzug vor den in der Mineralogie üblichen zu haben, daß ich in einer kleinen besonderen, 1814 veröffentlichen Abhandlung,

Kahlbaum, Monographieen. VII. O

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die ersten Grundlagen für ein chemisches Mineralsystem an- gab und versuchte die Produkte des Mineralreichs darnach in meiner Sammlung aufzustellen. ''^)

Die kleine Arbeit wurde nach einiger Zeit von Blake. obgleich nicht vollkommen richtig, ins Englische, von Gehlen ins Deutsche übersetzt. Sie machte bei den nicht chemisch gebildeten Mineralogen Lärm, welche die Vorzüge meines Systems gegenüber einen auf naturbeschreibenden Prinzipien aufgebauten, ernstlich bestritten. Im Journal of the Royal Institution wurde die Arbeit als der vollendetste Unsinn, den man sich vorstellen könne, hingestellt, und der Verfasser mit dem griechischen Räuber Prokrustes verglichen, der seine Opfer (die analytischen Resultate) verkürzte oder verlängerte, bis sie in das vorher gesteckte Maß hineinpaßten.*)

Diese Untersuchungen der Mineralien im allgemeinen, führten zu anderen von mehr spezieller Beschaffenheit. Schon vor etlichen Jahren hatte man in einem Quarzbruch bei Falun verschiedene seltene Mineralien, wie Pyrofysalit, Tan- talit und Gadolinit gefunden. Gähn forderte mich jetzt auf, eine Untersuchung dessen, was dieser Quarzbruch enthalte, gemeinschaftlich mit ihm vorzunehmen. Für diese Unter- suchung wurden die Sommermonate 1814 benutzt, wobei wir verschiedene ganz neue Mineralien entdeckten. Wir streiften in den Bergen umher und fanden neue Plätze, wo, früher un- bekannte, Mineralien vorkamen. Einen größeren losgelösten Steinblock trafen wir ganz in der Nähe der Stadt Falun an. der die nämlichen Mineralien enthielt. Die Kosten der sehr teuren Sprengarbeit wurden durch die Veräußerung dieser Gesteine auf dem europäischen Mineralienmarkt ge- deckt, wobei E. T. Swedenstjeena hilfreich die Hand bot. Die neuen Mineralien wurden unterdessen in Gahnss vortrefflich

*) Sechzehn Jahre später wurde die Mineraliensammlung im British Museum nach diesem System geordnet und 1836 erhielt ich von der Royal Society in London die goldene Copley- Medaille als Beweis, daß diese gelehrte Gesellschaft die Richtigkeit meiner Ansichten in der Mine- ralogie anerkenne. Zwei Jahre zuvor hatte die Royal Institution mir die Fullersche Medaille für meine Arbeiten über die chemischen Proportionen im allgemeinen, erteilt. (Zusatz von 1841.)

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eingerichtetem Laboratorium analysiert. Die Untersuchungen wurden auch im Sommer 1815 fortgesetzt und die Resultate dieser Forschungen im vierten und fünften Teil der Abhand- lungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie mitgeteilt.

Obgleich Gähn schon älter als 70 Jahre war, folgte er diesen Arbeiten doch mit jugendlicher Lebendigkeit Ich lernte seine Art und Weise, das Lötrohr zu gebrauchen, worin er es zu einer ungewöhnlichen Geschicklichkeit gebracht hatte, kennen. Dasselbe wurde fürderhin durch die Mittel, welche er erdacht hatte, um damit zu mikrochemischen Resultaten zu kommen, ein ganz unentbehrliches Werkzeug, sowohl für den analysierenden Chemiker als auch für den Mineralogen. Gähn hatte außerdem eine Menge einfacher chemischer Werk- zeuge für den eigenen Gebrauch erdacht, da er sie aber nie- mals beschrieben hatte, waren sie nicht bekannt. Ich lernte bei ihm nicht nur ihren Gebrauch kennen, sondern auch, sie auf der Hobel- und Drehbank selbst anfertigen. Später wurden sie sämtlich in meinem Lehrbuch abgezeichnet und beschrieben und fehlen nunmehr in sehr wenigen Laboratorien. Wie sehr wünschte ich zu diesem vortrefflichen, außerge- wöhnlichen Manne früher in Beziehung getreten zu sein, der noch jetzt, an des Lebens Grenze, einen so glühenden Eifer für den Fortschritt der Wissenschaft hegte, und der privatim 80 viel leistete, ohne indes irgend etwas zu veröffentlichen, weil er immer neue Versuche begann, ehe er die vorher- gehenden abschloß und mithin niemals etwas so vollkommen ausführte, daß es hätte beschrieben werden können. Er hatte eine große Menge Aufzeichnungen über solche halbfertige Arbeiten, die er abbrach, wenn er soweit gekommen war, zu wissen, was er gerade wissen wollte, und die gewöhnlich auf technische Zwecke hinausliefen.

Im Jahre 1815 hatte S. M. der König die Gnade, mir den Nordsternorden zu verleihen.

Im Jahre 1816 wurde ich von Gähn überredet, mit ihm und dem Berggescbworenen*) Eggebtz eine bei Gripsholm

*) Berggeachworener ist der Titel eines Bergbeamten, der direkt unter dem Bergmeister Chef eines Reviers steht.

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für Schwefelsäure, Bleiweiß, Essig und andere chemische Artikel errichtete Fabrik zu kaufen, welche auf Rechnung einer Konkursmasse verauktioniert werden sollte, und welche für einen Preis unter ihrem eigentlichen Wert zu haben war. Ich hatte mir früher an industriellen Unternehmungen die Finger verbrannt und weigerte mich lange; da ich aber zu Teilhabern zwei gute Chemiker hatte, welche die technische Anwendung der Wissenschaft zu ihrer Lebensaufgabe gemacht hatten, glaubte ich, nachgeben zu sollen. Das Unternehmen wurde indessen zu groß für unsere Mittel, wir mußten deshalb bald die Anteile in mehrere Lose umsetzen und mehr Teilhaber aufnehmen. Gähn starb 1819'^), und Eggeetz verkaufte seinen Anteil, ich blieb dann als der einzige Teilhaber, der chemische Kenntnisse besaß, übrig, hatte aber keine Lust, sie technisch zu verwerten und war nicht imstande, Mittel zur Herabsetzung der Herstellungskosten ausfindig zu machen*).

In dieser Fabrik wurde Schwefelsäure aus Faluner Roh- schwefel hergestellt. Die eingekochte Schwefelsäure setzte ein gelbbraunes Pulver ab, das ich zwecks einer Unter- suchung aufsammeln ließ und das zur Entdeckung des Sele- niums führte.

Während des Winters 1816 17 hatte ich das Glück, den noch sehr jungen Erbprinzen Oskar , der große Neigung zu naturwissenschaftlichen Studien zeigte, in den Grundlagen der Chemie zu unterrichten. Die königliche Familie beehrte mich dabei sehr oft, eine Stunde abends in meiner Wohnung, um sich physikalische und chemische Experimente zeigen zu lassen.

*) Diese Fabrik wurde anfangs von einem Kauiinann geleitet, ihre spätere Leitung übernahm Herr C. Palmsted t, ein jüngerer Mann von guten Kenntnissen, der sich praktischer chemischer Studien bei mir befleißigt hatte. Er brachte die Fabrik zu einer ausgezeichneten Blüte, verwendete aber den Gewinn so, daß die Interessenten, mit deren Zustimmung dies geschah , niemals Zinsen erhielten. Während er im Interesse der Fabrik eine Reise nach Osterreich unteniahm, brannte die Fabrik im August 1826 ganz und gar ab. Durch Assekuranzprämien und den Ver- kauf dessen, was gerettet war, erhielten die Interessenten das Kapital zurück, aber alle Zinsen desselben waren verloren. Ich hatte für geliehenes <»cld gekauft und die Zinsen mit meinem Gehalt bezahlt. Alles dies war jetzt zwecklos verloren. (Zusatz 1841.)

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Nach Klapboths Tod'^ wurde ich durch ein offizielles Schreiben von Professor Rühs in Berlin aufgefordert, den Lehrstuhl des hervorragenden Chemikers und seine Stellung als Obersanitätsrat im Obersanitätskollegium in Berlin einzu- nehmen, sowie meine Gehaltsansprüche selbst zu bestimmen; da ich aber meinem eigenen Vaterlande ein leidliches und sorgenfreies Auskommen zu danken hatte, mit der vollen Freiheit, der Wissenschaft, der ich gehörte, mich zu widmen, schlug ich das ehrenvolle Anerbieten mit Dank aus.

1817 bearbeitete ich eine neue Auflage des ersten Bandes meines Lehrbuches der Chemie und veröffenthchte den zweiten Band desselben, dem im nächsten Jahre der dritte folgte. Hier- mit war die anorganische Chemie beendet Zwischen der Ver- öffentlichung des ersten und zweiten Bandes lagen neun Jahre. Der Grund dieser langen Verzögerung war darin zu suchen, daß gerade in dem Moment, in dem der erste Band erschien, Datys Entdeckung der Zusammensetzung der AlkaUen und alkalischen Erden, wie seine Spekulationen über die Elektrizität als chemische Kraft, anfingen die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. Da meine Versuche über diese Dinge, wie auch über die chemischen Proportionen, noch nicht zu einem End- resultat geführt hatten, war es unmöglich, ein Lehrbuch dieser Wissenschaft zu schreiben, weil man keineswegs wußte, wie sich dieselbe nach einigen Jahren erweiterter Erfahrung und Prüfung der Ideen ausnehmen werde. Dagegen konnte ich jetzt im dritten Bande des Lehrbuches die elektrochemische Theorie und die Lehre von den bestimmten Proportionen darlegen.

Außerdem wurde ich 1817 zum Mitglied eines Komitees für die Ausarbeitung einer verbesserten Einrichtung der königlichen Münze und den Vorschlag eines neuen Münzfußes ernannt. Bei der Thronbesteigung Karl XIV. Johan, im Jahre 1818, war ich unter denen, welche geadelt wurden, mir fehlten jedoch die Mittel, um vor 1820 die Introduktion auf Riddarhus zu veranlassen.

Mein Privatlaboratorium hatt« in späteren Jahren ver- schiedenen Jüngern, sowohl ausländischen wie einheimischen Gelehrten als Arbeitsraum gedient, von denen mehrere später sich einen angesehenen Namen unter den gelehrten

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Zeitgenossen machten; Se. Exe. Graf Tholle- Wachtmeister, die Herren Rothoff, Lageehjelm Sefström, Aefvedson und C. Gr. Gmelin mögen hier genannt werden.

Meine Gesundheit, die von Jugend an, hauptsächlicli in- folge kleiner gichtartiger Anfälle, die schon in der Kindheit ihren Anfang nahmen, schwankend war, hatte durch beharr- liches Arbeiten bei mangelnder Bewegung in freier Luft, wozu ich während eines großen Teils des Jahres niemals Zeit fand, sich allmählich verschlechtert. Schon mit 23 Jahren war ich von periodischen Kopfschmerzen, gewöhnlich Migräne genannt, geplagt, die anfangs in längeren Zwischenräumen, aber bald zweimal im Monat sich einstellten und zwar mit der größten Regelmäßigkeit an dem Tage, an dem Neumond oder Vollmond eintrat; sie währten von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends.*)

Im Frühjahr 1818 kam noch eine andere Art von Krankheit hinzu. Ich geriet in einen Zustand von Gleichgültigkeit gegen alles, bekam einen stark intermittierenden Puls, wurde völlig unfähig, mich zu beschäftigen und hatte einen Ekel vor jeder Art wissenschaftlicher Arbeit. Dieser Zustand wollte den ver- schriebenen und angewandten Arzneimitteln und Verhaltungs- maßregeln nicht weichen. Was mich dabei besonders nieder- drückte, war, daß mein hochbetagter Freund Gähn kurz zuvor seinen Wohnsitz für einige Zeit nach Stockholm verlegt hatte, um mit meiner Hilfe in meinem Laboratorium, die Schlacken

*) Diese wunderbare Regelmäßigkeit, deren Zusammenhang mit der Stellung des Mondes ich anfangs nicht wahrnahm, dauerte vierzehn Jahre, Während meines Aufenthaltes in Paris, im Winter 1818—19, kam ich dar- auf, diesLaplace zu erzählen, der meine Angabe bezweifelte und sagte, daß Ol her 8, ein ebenso großer Arzt als Astronom, neulich in einer Ab- handlung bewiesen habe, daß der Mond keinen merklichen Einfluß auf die Krankheiten ausübe. Bei meinem nächsten Migräneanfall, als ich in einem dunklen Zimmer auf völlige Ruhe gehofft hatte, wurde ich durch eine Mittagseinladung von Laplace unliebsam gestört; natürlicherweise konnte ich sie nicht annehmen. Als wir uns ein paar Tage später trafen, erzählte er, daß es eine für mich gestellte Falle gewesen sei; er hatte mir nämlich mit dem Kalender in der Hand beweisen wollen, daß eine solche Regelmäßigkeit nicht existiere, da ich hier wahrscheinlich nicht so sicher wie zu Hause die Tage des Mondwechsels erfahren hätte. Ich erwiderte, seine Voraussetzung sei gewiß richtig, aber unglücklicherweise sei ich nicht in Zweifel darüber, wann die Migräne einträte.

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bei der Kupferbereitung zu analysieren. Aus der Kenntnis der Zusammensetzung derselben versprach er sich einen bedeuten- den EinHuß auf das Gelingen des Herstellungsprozesses selbst, und nun konnte ich ihm keinen Beistand leisten.

Man riet mir, als einziges Mittel, diesen Zustand von Nervenschwäche zu überwinden, eine längere Reise zu unter- nehmen. General Graf Gustaf Löwenhjelm, von meinem Gesundheitszustand unterrichtet, bot mir an, frei mit ihm nach Paris zu reisen, wo er vor kurzem schwedischer Gesandter geworden war; ich wagte aber nicht, sein Anerbieten an- zunehmen, weil mir im übrigen alle Mittel fehlten, um öiich dort aufzuhalten. Dies veranlaßte ihn, eine Reisezulage von 2000 Rtlr Hamburger Währung ''), mit dem Auftrag für mich, beim König zu erwirken, die neuesten Verfahren zur Ver- besserung der Pulverfabrikatiou im Auslande zu studieren. Der junge Kronprinz verlieh mir das Kreuz des Nordsteni- ordens in Brillanten, als ich zum Abschied meine untertänigste Aufwartung bei ihm machte.

unsicher, ob ich das geliebte Vaterland jemals wiedersehen würde, reiste ich mit Graf Löwenhjelm im Juli 1818 ab. Der Weg ging über England nach Paris. Obschon die Reise Tag und Nacht fortgesetzt wurde, befand ich mich bei der Ankunft in Göteborg bedeutend besser. Das Intermittieren des Pulses kam, wie ich deutlich merken konnte, nicht mehr so häufig vor und nahm dann fortwährend ab, hörte aber erst gegen Ende des Herbstes ganz auf. Einen Monat blieben wir in London und England. Die meisten meiner älteren Bekannten waren abwesend, Mabcet war in seiner Heimat Genf, Davt in Italien. Anwesend waren nur Wollaston, RoGET und Pboüt, und konnte ich jetzt die Bekanntschaft des letzteren machen. Ich traf J. A. Abfvedson hier, der bei seinen Arbeiten in meinem Laboratorium kurz zuvor das neue Alkali Lithium entdeckt hatte. Wir machten unsere Exkursionen gemeinsam, doch fiel mir das Gehen sehr schwer, so daß wir nicht so viel umherkommen konnten, wie ich es für meinen, jetzt berühmten, Schüler gewünscht hätte. Sir Joseph Banks, der seit vielen Jahren ein Märtyrer der Gicht, und zuletzt ganz kontrakt gewesen war, hatte in jüngster Zeit

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den besten Erfolg von Vinum Colchici gegen seine Gichtanfälle gehabt und riet mir, es damit zu versuchen. Ich folgte ihm, aber ohne irgend welche Wirkung auf mein Befinden zu spüren. In Graf Löwenhjelms Gesellschaft sah ich Windsor und den greisen Astronomen Herschel wieder; er war jetzt so stumpf durch das Alter, daß er wenig von dem, was um ihn herum geschah, wußte. Wir besuchten ferner Portsmouth und Brighton und hatten auf der Reise, in Godalming, das traurige physiologische Schauspiel einer Hinrichtung zweier Missetäter durch Aufhängen.

Am 24. August kamen wir morgens in Paris an. Es war Ludwigstag, und obschon wir die ganze Nacht gereist waren, konnte ich mir die Festlichkeiten doch bis spät abends an- sehen, so bedeutend hatte sich mein Zustand gebessert. Graf LöwENHJELM erklärte mir jetzt, daß ich für die ganze Zeit, die ich für den Aufenthalt in Paris bestimmt hätte, sein Gast sei. Ich nahm dies Anerbieten mit dem größten Danke an, weil ich so die für mich bestimmten Reisemittel wissenschaftlichen Zwecken zuwenden konnte. Graf Löwenhjelm hatte mich auf der ganzen Reise nicht als seinen Klienten, sondern als Freund und seinesgleichen behandelt.

Ich beeilte mich, Beethollet aufzusuchen, der mich mit ungemein großer Freundlichkeit aufnahm und in ganz kurzer Zeit mich mit de Laplace, Cüviee, Gay-Lussac, Thenard, Chaptal, Dulong, Chevreul, Aeago, Biot, Vaüquelik, Ampere, Laugiee, und andern, sowie mit Alexandee von Humboldt, der sich gerade in Paris auf hielt '^*), bekannt machte.

Mit gleicher Freundschaft wurde ich von dem alten Mine- ralogen Haüy aufgenommen. Er erklärte, daß er im Prinzip mit meiner Art die Mineralien zu ordnen ganz einverstanden sei, und gab mir und Arfvedson, der auch hierher gekommen war, an bestimmten Tagen der Woche Gelegenheit, seine schöne und reiche Mineraliensammlung, aus der er mir verschiedene seltene Stücke schenkte, durchzugehen. Dann hielt er dem Grafen Fünchal, Marquis Pamela und Chevalier de Süza mit uns zusammen eine Vorlesung über die Art und Weise, durch physikalische Mittel edle Steine zu untersuchen und zu erkennen. Cüviee und Brongniaet wendeten zwei ganze Tage

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auf, um uns an den zahlreichen merkwürdigen Plätzen, welche neuerdings Gegenstand ihrer geologischen Forschungen ge- worden waren, wie z. B. Montmartre, Romainville, Meudon, Bellevue u. a. umherzufuhren. Graf Boübnon schenkte uns einen Vormittag in der Woche, um mit ihm die PriTat- Mineraliensammlung des Königs durchzugehen, die sich durch einen ungewöhnlichen Reichtum an Kristallen auszeichnete.

Ich folgte Gay-Lussacs, Vaüqüellns, Thenards, Haüts und Brongniabts, sowie Biots Vorlesungen mit vieler Auf- merksamkeit. Letzterer las mir einen besonderen Kurs über seine Versuche mit polarisiertem Licht Während ich diese Vorlesungen besuchte und beim Vergleichen derselben, sah ich bald ein, daß die Kunst, eine Vorlesung zu halten, viel größer ist, als ich vermutete, und daß diese, um gut zu sein, außer der natürlichen Anlage sich klar und leichtfaßlich ausdrücken zu können, auch ein eigenes Studium, wie eine besondere Kunst, erforderte. Diese Vorträge verschafften mir einen reichen Nachtrag zu der Liste von Vorlesungs versuchen, in denen die französischen Professoren Meister sind. Ich wohnte Thenabds Untersuchungen über Wasserstoffsuperoxyd"] und Cheveeuls über die Saponifikation '^) oft bei. In der Eigen- schaft eines korrespondierenden Mitglieds der Akademie der Wissenschaften, -hatte ich meinen Platz an ihrem Tische,''') und wohnte stets den allgemeinen Sitzungen an, da sie der Sammelpunkt aller Gelehrten in Paris, der fremden wie der einheimischen, waren.

Die Lehre von den chemischen Proportionen hatte sich der Zeit noch so wenig in Paris eingebürgert, daß sie in den Vorlesungen der Professoren kaum angedeutet, viel weniger vorgetragen wurde; und auch die elektrochemische Theorie war noch nicht dahingelangt. Dies veranlaßte mich, meine Arbeiten darüber in Paris zu veröffenthchen, die Hr. d'Ohssok (der ein Jahr in meinem Laboratorium in Stockholm ge- arbeitet hatte) zu diesem Zweck aus dem dritten Band des Lehr- buches übersetzte.'^ Ich hatte die Freude, Beifall zu ernten. De Laplace, der einige Teile derselben, die zu seiner Kenntnis gelangt waren, gesprächsweise bestritt, sagte mir, nachdem er das Ganze durchgelesen hatte, er sei Proselyt geworden.

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Man hatte im Journal de Physique die englische Auflage meines Versuchs eines chemischen Mineralsystems, auf eine Weise übersetzt, welche die Arbeit unkenntlich machte. Ich veröffentlichte aus diesem Grunde eine umgearbeitete und vermehrte Auflage ^^), wobei mir Brochant de Villiees, der Sprache wegen, behilflich war. Etliche Freiexemplare waren des Verfassers ganzes Honorar, weil die Herausgeber es als sehr ungewiß betrachteten, ob sie auf ihre Kosten kommen würden.

Beethollet lud mich ein, einige Zeit in seinem Hause in Arcueil, ungefähr ^/^ schwedische Meile von Paris, zuzu- bringen, wo er jetzt beständig wohnte. Es war für mich von größtem Wert, einige Zeit in der unmittelbaren Umgebung des edlen Patriarchen der Wissenschaft zu verweilen, und ich bat mir dazu einige Wochen anfangs 1819 aus. Haut hatte mich um die Untersuchung einiger Mineralien gebeten^"), die in Berthollets Laboratorium ausgeführt wurde, die Beschrei- bung derselben wurde später der Gegenstand einer Abhand- lung, die ich in der Akademie vorlas.

In dieser Zeit unterwies ich mehrere Pariser Mineralogen, z. B. CoEDiEE, Brongniaet, Brochant, Beudant in der Anwendung des Lötrohres und mußte versprechen, über den Gebrauch dieses wichtigen Instrumentes ein Handbuch auszuarbeiten; eine Zusage, die ich nach meiner Heimkehr auch hielt.® ^)

Die letzten Wochen in Arcueil wurden dazu benutzt, um gemeinschaftlich mit Dulong durch genaue Versuche das Atomgewicht des Wasserstoffs , Stickstoffs und Kohlenstoffs, sowie das spezifische Gewicht des Sauerstoffgases, Stickstoff- gases, Wasserstoffgases und Kohlensäuregases zu bestimmen. Bei diesen Versuchen machte ich viele neue Erfahrungen mit einer Untersuchungsmethode, mit der ich mich früher wenig beschäftigt hatte und lernte in Dülong einen ungewöhnlich tiefdenkenden Naturforscher kennen, in dem ich mir den treusten Freund gewann.

Nach Paris zurückgekehrt, machte ich in Gesellschaft des Artillerieobersten Aübert und Gay Lüssacs einen Ausflug nach der Pulverfabrik der französischen Regierung in Essonne, wo ich die in letzter Zeit angewandte verbesserte Methode,

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Pulver herzustellen und Salpeter zu reinigen, kennen lernte. Schon früher hatte ich unter Gay Lüssacs Anleitung im Ar- senal solche Versuche angestellt, über die ich einen ausführ- lichen Bericht aufsetzte, um ihn nach meiner Rückkehr der Regiening vorzulegen.

Die bedeutenden Ersparnisse an den Reisekosten, die ich durch den Aufenthalt in Graf Löwenhjelms Hause machte, wurden zur Anschaffung von Instrumenten und Materialien für mein Laboratorium benutzt, so daß ich im Frühjahr nicht weniger als zwölf große Kisten über Havre nach Stock- holm expedierte, und konnte ich fortan mein Laboratorium für ebenso gut ausgestattet, wie das irgend eines anderen europäischen Gelehrten, ansehen.

Ich verließ Paris im Juni 1819 mit dankerfülltem Herzen für alle die Freundlichkeit und Güte, mit der Graf Löwen- HJELM bei diesem langen Aufenthalte in seinem Hause mich überhäuft hatte und für die, allem Anschein nach aufrichtigen Freundschaftsbeweise, die mir alle dortigen gelehrten Be- kannten, namentlich der edle Beethollet und der treue DuLONG erzeigt hatten.

Von dem übrigen Frankreich hatte ich noch wenig ge- sehen und machte mit zwei Schweden, den Herren Aefvepson und .\lmroth, die beide meine Schüler waren, einen Plan für die Heimreise, durch einen Teil von I< rankreich, über Savoyen nach Genf und von da durch die Schweiz und Deutschland nach Haus.

Alex. Brongniaet hatte sich auf eine größere minera- logisch-geologische Exkursion eingerichtet, um uns nach Fon- tainebleau zu begleiten, er nahm mich in seinem Wagen bis Melun mit, wo die übrige Gesellschaft von jungen Mineralogen aus vieler Herren Länder mit uns zusammentraf. Wir durch- wanderten am folgenden Tage den Wald bei Fontainebleau, besuchten den Sandsteinbruch, wo die bekannten Sandstein- kristalle*) vorkommen und marschierten dann über die Gorges d'Apremont. Dort trafen wir den Grafen Fünchal, der die Gesellschaft zu einem auserlesenen Mahle im Grünen einlud.

*) Schwebend gebildete Kalkspatkristalle mit reichem Sandeinschlaß (Söderbaum).

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Der Abend wurde in Fontainebleau und der folgende Tag mit geognostischen Exkursionen in der Nachbarschaft zu- gebracht. Wir schieden abends von der munteren und an- genehmen Gesellschaft, um am nächsten Morgen vor Tages- anbruch unsere Reise nach dem Departement Puy de Dome, dessen ausgebrannte Vulkane wir besichtigen wollten, fort- zusetzen. CoEDiEB hatte uns einen schriftlichen Reiseplan für die geologischen Merkwürdigkeiten, die besucht werden sollten, mitgegeben. Von der Auvergne ging der Weg nach dem Vi- varais,^^) wo verschiedene besonders interessante, ausgebrannte Vulkane bestiegen wurden. Dann besuchten wir die Ecole des Mines in St. Etienne, und die Steinkohlengruben in der Nähe, nahmen den Weg über Lyon, wo wir uns ein paar Tage auf- hielten und reisten von da nach Genf. Hier sah ich meinen Freund Maecet wieder, der von England nach seiner Heimat Genf zurückgekehrt war und den schönen Landsitz Malony ge- kauft hatte. Ich machte hier die Bekanntschaft von Theodoee DE Saussuee, de LA RiVE dem Älteren, ^^) Pictet, Peevost, JüEiNE, Peschiee u. a. Nach einem höchst angenehmen, zwei- wöchentlichen Aufenthalt reisten wir über Bonneville und Cluse nach dem Tal von Chamounix am Fuße des Montblanc. Wir stiegen nach Montenvert^*) und dem Mer de glace hinauf. Von hier gingen wir über den Col de Balme und Martigny nach Bex,^^) wo wir uns, von dem Bergdirektor Chaepentiee ^^) ge- führt, die Salzbergwerke und die Salzkocherei ansahen. Unsere Reise ging dann über Vevey, Lausanne, Bern, Zürich und Schaflliausen. An allen diesen Plätzen nahmen wir von den dort befindlichen Sehenswürdigkeiten Kenntnis. In Tübingen hielten wir uns eine Woche bei meinem früheren Schüler C. G. Gmelin auf, der jetzt Professor der Chemie an der Uni- versität war. Wir besuchten in seiner Gesellschaft Calw und Wildbad, Pforzheim, Durlach, Karlsruhe und schließlich Stutt- gart. Hier verließ uns Gmelin, und wir setzten unsere Reise nach Nürnberg fort, um dort ein paar Tage zu verweilen. In Erlangen suchten wir den Professor der Chemie, Schweiggee, auf und gingen dann über Hof nach Freiberg, wo Almeoth sich einige Zeit auf der Bergschule aufzuhalten beabsichtigte. Wir machten hier die Bekanntschaft der Professoren Mohs,

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Lampadius, Breithaüpt und Kühn, sowie des Professors der Chemie Pfaff aus Kiel, welcher gleichzeitig mit uns ein- traf, und besuchten die bekannte Silbergrube und die Hütten. Webner, der diese Schule so berühmt gemacht hatte, lebte nicht mehr. Seine Schöpfungen wurden von seinem Nach- folger MoHs umgestürzt, der sich seine eigene Bahn in der Mineralogie brach. Darauf hielten wir uns eine Woche in Dresden auf, wo ein eifriger Freund der Wissenschaft, Ge- heimer Finanzrat Blöde, mit einer deutschen Übersetzung meines Lehrbuches beschäftigt war, ich ging sie mit ihm durch, um das, was in seiner Übersetzung unrichtig war, zu berichtigen;*) was er noch nicht fertig übersetzt hatte, sollte später Almhoth mit ihm durchnehmen.^')

In Berlin blieben wir 14 Tage. Wir suchten hier einen alten Bekannten, den General der Artillerie Helvig, auf, der in preußische Dienste getreten war, nachdem er in Schweden sich vom Soldaten bis zum Generalfeldzeugmeister emporge- arbeitet hatte. Er nahm uns sehr freundlich auf und führte uns bei den dortigen Gelehrten ein. Ich lernte Heb^ibstädt, RüDOiiPHi, Seebeck, Weiss, Link, Ebman, Mitscheblich und G. Rose kennen, die beiden letzteren waren noch junge Leute voller wissenschaftlichem Eifer. Der Minister des allgemeinen Unterrichts, Baron Stein von Altenstein, bestand darauf, daß ich für den unbesetzten Lehrstuhl Klapboths einen meiner Schüler vorschlagen solle. Ich fand aber keinen von ihnen einer solchen Stellung gewachsen und gab meine Meinung da- hin ab, daß Mitscheblich einige Zeit, auf Staatskosten, bei mir arbeiten möge, was der Minister beifällig und Mitscheblich dankbar annahm. Wir landeten am 21. September in Ystad, wo wir von unseren Freunden Palmstedt und N. Nobdens- KiöLD auf der Brücke empfangen wurden und die süße Freude empfanden, den Fuß wieder auf den geliebten heimatlichen Boden zu setzen.

Nachdem wir mit diesen Freunden einen Rasttag auf

•) Einige Zeit zuvor hatte ein Dr. Blamhof dasselbe übersetzt,*") da ich aber Gelegenheit hatte, die gedruckte Arbeit, ehe sie in den Buch- handel kam, zu sehen, riet ich, die Arbeit zu makulieren, was auch von dem Verleger bewerkstelligt wurde.

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Arup, in der Nähe von Kristianstad bei Sr. Exzellenz dem Grafen Tbolle-Wachtmeistee zugebracht hatten, setzten wir die Reise nach Stockholm fort.

Während meiner Abwesenheit war der hochbetagte Johan Gottlieb Gähn zu seinen Vätern versammelt, und auch der Sekretär der Akademie der Wissenschaften, Olof Swartz, dieser in seinen besten Jahren hinweggerafft worden. ^^ Ich wurde darauf von der Akademie zu seinem Nachfolger gewählt. Bis zu meiner Heimkehr wurde das Amt anfänglich von dem Astronomen der Akademie, Ceonstrand, und später vom Leibarzt von Pontin verwaltet. Mein Hausgerät war durch Palmstedts Fürsorge in die neue Dienstwohnung im Hause der Akademie, in die ich jetzt einzog,^'') überführt worden.

Die Reise hatte meine Kräfte und, mit Ausnahme der periodischen Kopfschmerzen, auch meine Gesundheit wieder- hergestellt. Ein verstärktes wissenschaftliches Interesse war durch all das Neue, das ich mir zu eigen gemacht und er- worben hatte, erweckt. Meine, bei verständigem Wirtschaften, früher ungefähr ausreichenden Einkünfte waren verdoppelt worden, ohne daß ich dabei zu irgend etwas anderem als fortgesetzter wissenschaftlicher Tätigkeit verpflichtet war. Mit dankerfülltem Herzen gegen die höchste Vorsehung fühlte ich, daß ich jetzt einer der glücklicheren unter den Menschen war.

Bald nach meiner Heimkehr langte Mitscherlich an.^^) Er und ein anderer junger Berliner Chemiker, Heinrich Rose {Valentin Roses Sohn), fingen sofort an, bei mir zu arbeiten; zu ihnen gesellten sich nach und nach Nordenskiöld , VON BoNSDOREE, Palmstedt Und schließlich auch Güstae Rose (Heinrichs Bruder). Diese Arbeiten wurden zwei Winter hin- durch mit rastlosem Fleiß fortgesetzt; die meisten dieser jungen Männer waren in der Chemie schon weit fortgeschritten, so daß die Resultate ihrer Forschungen solchen Wert hatten, daß sie in den Verhandlungen der Akademie der Wissen- schaften niedergelegt werden konnten. Der Sommer 1820 wurde von der kleinen chemischen Kolonie benutzt, um Värmlands und Västmanlands Grubendistrikte, Falun, Sala, Dannemora und schließlich Upsala zu besuchen, wo wir in der üniversitäts - Mineraliensammlung verschiedene seltene

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schwedische Mineralien, die kenneu zu lernen meine Schüler keine Gelegenheit gehabt hatten, sehen wollten. Dies wurde uns jedoch von dem Professor der Chemie in alter Form ver- weigert, unter dem Vorwand, daß er dem Rektor die Schlüssel geschickt habe und sie nicht wieder verlangen wolle, weil er vor habe, an einem der nächsten Tage eine Reise anzutreten.

Bei der Versammlung der Hüttenwerksgesellschaft*) im Mai 1820 wurde ich von derselben mit ihrer goldenen Medaille und einer lebenslänglichen Pension von 500 Reichstaler beehrt, für den Nutzen, den der Gußeisenprozeß aus der Anwendung verschiedener meiner Untersuchungen gezogen, und für die Anleitung, die ich verschiedenen Bergeleven des Eisenkomptors gegeben hatte.

In dem Winter 1820 21 und dem von 1821—22 hatte ich abermals das Glück, S. K. H. dem Kronprinzen zweimal wöchentlich Vorlesungen über Chemie zu halten, und hatte alle Ursache S. K. H. als einen der aufmerk- samsten Zuhörer, die ich je zu unterrichten hatte, anzu- sehen. S. K. H. wurde von einigen Freunden der Wissen- schaft, z. B. dem Grafen Kael Gyldenstolpe , dem Grafen Claes Fk. Posse, den Gesandten d'Ohsson und BBA^•DEL, dem Baron Gustaf Akeehjelm, sowie den Herren Düe, Maxsbach und Hahb begleitet. Die Repetitionen wurden an einem Abend in der Woche im eigenen Zimmer S. K. H. vorgenommen, bei denen der Kronprinz gewöhnlich derjenige war, welcher das in den Stunden durchgenommene am besten auseinandersetzen konnte. Die ungewöhnlichen Fortschritte des Prinzen machten diese Vorlesung zu einer meiner ange- nehmsten Beschäftigungen.

S. M. der König geruhte am Karlstag 1821 mir das Kommandeurband des Vasaordens zu verleihen.

Der periodische Kopfschmerz war während des Jahres 1821 öfters als sonst wiedergekommen, ohne darum zur ge- wohnten Zeit aufzuhören, so daß ich bald in jeder W^oche davon belästigt wurde. Man verordnete mir deshalb, Karlsbad

*) ßrokssocieteten = die Delegierten derjenigen Hüttenmeister, die Mitglieder des sogenannten Eisenkomptors sind.

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zu besuchen, das als wirksam gegen diese Krankheit bekannt war; und da ein intimer Freund von mir, der berühmte Klarinettenspieler und Tonsetzer, Bernhaed Ceusell, seiner Gesundheit wegen, auch diesen Brunnen gebrauchen sollte, machten wir die Reise zusammen.

Mir schlug die Kur gegen mein chronisches Leiden besser an als ich erwartet hatte, er dagegen war in der Beziehung weniger glücklich.

In Karlsbad machte ich eine Reihe wissenschaftlich inter- essanter Bekanntschaften, so die des Grafen Bucquoy, eines Schriftstellers auf vielen Gebieten der Naturwissenschaften, des Botanikers Dr. Pohl, der Brasilien bereist hatte, des Erzherzogs Ferdinand d'Este, der sich zuweilen mit mikro- skopischen Untersuchungen beschäftigte, des Bergmeisters Oehlschlaegel aus Johann-Georgenstadt und anderer mehr. Auf meinen Exkursionen um Karlsbad besuchte ich die meisten der dortigen vulkanischen Überreste, die Bergwerke von Joachimstal, die Porzellanfabrik von Daliwitz u. s. w.

Dr. Pohl erhielt vom Fürsten Metteenich den Auftrag, mich nach dessen Besitzung Königswarth, woselbst ich die dort auftretenden Mineralquellen untersuchen sollte, einzu- laden, was ich gern annahm. Pohl führte mich hin, und ich traf dort mit dem ausgezeichneten böhmischen Mäcen und Naturforscher, Grafen Caspar Steenberg, bekannt durch seine Flora der Vorwelt, zusammen. Nachdem wir ein paar Flaschen des Mineralwassers hatten aufsammeln lassen, reisten wir nach Marienbad weiter, wo Sternberg als Kurgast weilte und ver- lebten dort einen höchst interessanten Tag. Sternberg be- gleitete uns nach Eger, dort hielt sich der berühmte Dichter und Naturforscher Baron von Goethe damals auf, dem er mich vorstellte. Dieser empfing mich mit einer Miene und Gebärde, als sei er von der neuen Bekanntschaft nicht gerade sehr ent- zückt, auch sprach er kein Wort mit mir. Doch ich war schon zufrieden, daß mir Gelegenheit geboten war, den durch Ver- dienste jeder Art so ausgezeichneten Mann auch nur gesehen zu haben. Er lud uns zum Mittagessen, das frühzeitig eingenommen wurde, ein. Während desselben wurde beschlossen, am Nach- mittag einen Spaziergang nach dem Kammerbühl zu machen.

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Dies ist ein erloschener Vulkan, jedoch so kleinen Umfangs, daß man in ein paar Minuten vom Fuß zur Spitze gelangen kann. Hier kam ich nun ins Gespräch mit Goethe. Er hatte einige Jahre vorher eine kleine Broschüre über denselben herausgegeben, in der er darzutun versuchte, daß es sich um einen vulkanischen Ausbruch von Asche und Rapilli, aber ohne Krater- und Lavabildung, der unter Wasser stattgefunden hatte, handle. Zunächst stießen wir auf Massen solcher Rapilli, an denen für Wegebauten ungeheure Ausgrabungen vorgenommen worden waren. Die Lagerstätten waren durch- schnitten und zeigten horizontale Schichten verschieden ge- färbten Steingrießes. Goethe fragte mich hier, ob das nicht deutlich zeige, daß die Eruption unter Wasser stattgefunden habe. Ich ließ mir nicht merken, daß ich von seiner vor- gefaßten Meinung in diesem Falle w^ußte, und erwiderte nur, daß es allerdings den Anschein habe, aber, bevor wir den Vulkan nicht selbst gesehen hätten, schwerlich ein Schluß ge- zogen werden könne, weil die gleiche Schichtung entstanden sein würde, falls der Steingrieß aus der Luft niedergefallen wäre. Der Vulkan hatte an der Spitze eine Vertiefung, welche Goethe für eine künstliche Ausgrabung hielt, die in der Ab- sicht erstellt sei, bei Landpartien darin eine Kochgelegenheit für Teewasser unterbringen zu können. Aber diese Vertiefung war von länglicher Gestalt und auf der einen Seite von einem viel höhereu Rand umgeben als auf der andern. Nach den Erfahrungen, die ich in der Auvergne und im Vivarais beim Studium der vielen dortigen Vulkane gesammelt hatte, suchte ich Goethe zu überzeugen, daß einmal die Vertiefung ein wirklicher Krater sei, und dann, daß die Eruption von einem heftigen Sturm begleitet, sich ereignet haben müsse, wobei sich das Ausgeworfene an der Leeseite, die deshalb höher und ersichtlich verlängert sei, angesammelt habe. Daraus folge unbedingt, daß der Krater dicht unter der Spitze des kleinen Berges, ganz nahe der Seite, von welcher her der Wind ge- blasen hatte, liegen müsse, und daß daher auch dort die Lavaströme zu suchen seien. Der 70jährige Naturforscher hörte mir aufmerksam zu, doch bemerkte er, als ich ge- schlossen hatte, daß hier kein Mensch Lava finden würde. Ich

Kahlbmam, Monogrmphieen. VII. 6

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antwortete, daß es allerdings den Anschein habe, aber daß wir jetzt, da die Stelle festgestellt sei, an der Lava gefunden werden könne, auch dort danach suchen müßten. Er rief nun seinen Bedienten, der auf den geologischen Exkursionen des alten Herrn stets einen großen Hammer und eine Hacke mit- führen mußte. Dieser räumte Moos und die Grasnarbe weg und stieß dann auf ein Gestein, von dem ich ihn ein Stück abschlagen ließ. An der Bruchfiäche fand sich ein Olivin. Das war nun deutlich Lava.

Goethe war über den Fund ganz entzückt und ganz be- sonders noch darüber, wie man a priori dazu gekommen war. Er erklärte, daß er seine Überzeugung jetzt geändert habe und machte Sternbeeg den Vorschlag, einen Durchstich d-es Vulkans der Tiefe nach vorzunehmen, womit sie im folgenden Sommer beginnen wollten.

Ursprünglich hatte ich die Absicht, mit Pohl, der sich unterdessen in dem nahen Franzensbad aufhielt, am andern Tag nach Karlsbad zurück zu kehren, Goethe aber nötigte mich, noch einen Tag zu verweilen.

Die Morgenstunden verwandten Sternbebg und ich zu einem Besuch der Steinbrüche von Haßlau, wo eine Art Idokras, der sogenannte Egeran, vorkommt. Wir konnten Goethe ein paar schöne Mineralstufen mitbringen, die er mit Vergnügen annahm. Er zeigte mir dann die Sammlung, die er hier auf seinen Exkursionen zusammengebracht hatte, und die in einem besondern Zimmer auf einer ganzen Reihe von Tischen aufgelegt war. Sie war ziemlich groß, aber nur wenige Stücke davon verdienten es, aufbewahrt zu werden. Über den Namen eines der vorgezeigten Mineralien waren wir nicht einerlei Meinung, und da Goethe mir nicht glauben wollte, schlug ich ihm vor, die Frage mit dem Lötrohr zu entscheiden. Er sagte, daß er die Anwendung dieses Instru- mentes nicht recht kenne, aber gern Versuche damit sehen wolle. Ich bewohnte ein Zimmer in dem gleichen Gasthaus, und so holte ich meinen Apparat, den ich auf Reisen immer mit mir führe, herauf. Goethe war von der genauen Auskunft, die das Instrument gab, so eingenommen, daß ich eine Menge der von ihm gesammelten Sachen mit dem Lötrohr prüfen mußte.

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Er hatte eine Vorliebe für titanhaltige Mineralien und eine möglichst reiche Sammlung derselben, aus allen bekannten Fundorten, zusammengebracht.

Als ich ihm zeigte, wie leicht man, durch eine schöne Reaktion. Titan mit dem Lötrohr nachweisen kann, beklagte er es bitterlich, daß seine Jahre ihn hinderten, sich im Ge- brauch des Instrumentes auszubilden. Es wurde dunkel, ehe er sich an den Lötrohrversuchen satt gesehen hatte, und noch am andern Morgen, vor der Abreise, mußte ich ihm einige Mineralien untersuchen.

In Karlsbad hielt sich auch in diesem Sommer die durch Schönheit und Liebenswürdigkeit gleich ausgezeichnete Herzogin von Cambridge auf. Sie versuchte, so oft und so lange, mich zu überreden, eine Analyse des Karlsbader Wassers vorzunehmen, daß ich es ihr schließlich versprach. Ich meldete mein Vorhaben bei der höchsten Behörde des Ortes Baron von Ebben, dem es ganz recht zu sein schien. Als ich jedoch am Tage vor meiner Abreise den Wunsch äußerte, daß das Wasser in meinem Beisein in Flaschen gefüllt und verkorkt werde, erhielt ich unter großer Verlegenheit die Ant- wort, daß eine Ordre von der höchsten Stelle verbiete, das Wasser im Ellenbogener Kreis von ausländischen Chemikern analysieren zu lassen. Man wollte indes nichts bemerken, wenn ich selbst etwas Wasser zur Untersuchung nehmen würde. Das Gesetz soll auch wirklich damals existiert lialjen. Ich fing in zwei, mit eingeschliffenen Stöpseln ver- sehenen Flaschen Wasser und in einer dritten Gas auf, die ich mit größer Sorgfalt in meinen Wagen verpackte und glücklich heimbrachte. Nachdem ich aber wieder zu Haus war. langten mehrere Kisten mit Wasser an, sowohl aus der Fürstlich Metter nichschen als aus allen Karlsbader Quellen. Bei der Analyse dieser Wässer isolierte ich später verschiedene, im Quellwasser vorher nicht gefundene Stoffe.'*)

Auf der Heimreise verweilten wir einen Tag in Teplitz und eine Woche in Dresden, wo wir Dr. Stbüves An- stalt für künstliches Karlsbader Wasser, die ich kennen zu lernen wünschte, besuchten. Er machte jedoch ein Geheimnis daraus, obschon er uns im übrigen mit aller möglichen

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Zuvorkommenheit begegnete. Wir machten einen Besuch bei Professor Gilbeet in Leipzig und hielten uns dann etwa drei Wochen in Berhn bei Mitscherlich auf, der hier als Klapeoths Nachfolger ^^) jetzt völlig etabliert war und in diesem Beruf wohlverdiente Anerkennung fand.

Auf dem Heimweg durch Schweden machte ich einen kurzen Besuch bei meinem verehrungswürdigen Stiefvater, Dr. Ekmaek, der nun des Lebens satt, auf das Ende seiner irdischen LauiT3ahn wartete. Er nahm mich mit ofienen Armen auf, versicherte aber, daß seine Auflösung nahe bevor stehe. Ich nahm von ihm zärtlichen und rührenden Abschied, den wir beide als den letzten ansahen. Am folgenden Tag erlosch sein Leben ganz ruhig in seinem 81. Jahr, ohne vor- hergehende Krankheit. ^^)

Ende September 1822 kam ich nach Stockholm zurück^

Spätere Fortsetzung.

(1842 eingereicht.)

Obgleich es mir nicht gelungen ist, ein anderes Mitglied der Akademie dazu zu bestimmen, die beim Eintritt in die Akademie eingereichten biographischen Aufzeichnungen, wie es die Statuten vorschreiben, nach Verlauf von zehn Jahren fortzusetzen, habe ich mich doch selbst verpflichtet gefühlt, diese, als zuverlässige Überlieferung, für die Nachkommen, nütz- liche Vorschrift einzuhalten; ich suche hiermit, sie nach dem ersten Plan, der den Anfang 1823 von mir eingereichten Auf- zeichnungen zu Grunde lag, weiterzuführen, und habe ihnen jetzt einen und den anderen kleinen Zusatz beigefügt.

Die Kur in Karlsbad hatte, mehr als ich hoflFen konnte, zur Besserung meiner Gesundheit beigetragen. Das periodische Kopfweh kam in dem darauffolgenden Winter sehr selten wieder, aber dann immer an einem der gewöhnlichen Mondwechseltage, 68 wurde auch immer weniger heftig. Einer der Kurgenossen in Karlsbad, Major (später Hofmarschall, Freiherr) A. Recteb- SKÖLD, dessen Gesundheit nach dem Gebrauch des Karlsbader Wassers ebenfalls eine wesentliche Besserung erfahren hatte, wünschte, um die gute Wirkung nicht unterbrechen zu müssen, eine Anstalt für küusthches Karlsbader Wasser zu errichten, und bot an, die Kosten dafür zu bestreiten. Dr. Hedenbobg unterzog sich der Sache, und ich machte den Plan für die Einrichtung, die bis zum 1. Juli 1823 fertig wurde und vor- treflflich gelang. Die Neuheit dieses Unternehmens lockte eine große Anzahl Kurgäste herbei, die sich außerdem dadurch vermehrte, daß es Reichstag war und viele Mitglieder der Reichsstände die Kur gebrauchten. Der erste Sommer brachte Hedenbobg einen so reichen Gewinn, daß er seine längst

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gehegte Lieblingsidee, eine naturwissenschaftliche Reise nach Asien zu machen, realisieren zu können glaubte. Ein junger Chemiker, Dr. Mosandee, hatte ihm assistiert, dieser kaufte die Anstalt und besitzt sie jetzt noch. Auch ich benutzte sie mit dem Vorteil, später von jedem Migräneanfall für immer vollkommen befreit zu sein.

Derartige Anstalten sind seitdem vielfach angelegt worden, und da sie sich bis nach Russland erstreckten, wo Dr. Stbl've ein Privilegium exclusivum für seine geheimgehaltene, von meiner ganz verschiedenen, Methode hatte, befürchtete er, Schaden davon zu haben und schickte mir jetzt eine aus- führliche Beschreibung seiner Methode, von genauen Zeich- nungen begleitet, mit der Bitte um eine Beschreibung der meinigen und die Erlaubnis, dieselbe in sein Privilegium mit aufnehmen zu dürfen, wozu ich mit Freuden meine Zu- stimmung gab.

Ich hatte meinen Freund, Alexandee Beongniart in Paris, der mehrfache geologische Exkursionen in den südlichen Teilen Europas gemacht hatte, wiederholt brieflich aufgefordert, auch die geologischen Verhältnisse in Skandinavien kennen zu lernen. Er hatte den Sommer 1824 für diese Reise festgesetzt, und da ich ihm für die Freundschaft, die er mir in Paris be- zeigt hatte, Dank schuldete, beschloß ich, ihn als Dolmetscher zu begleiten. Ich reiste ihm daher bis Helsingborg entgegen, von einem jungen Chemiker, Dr. Wöhlee, (später Professor der Chemie in Göttingen), der während des Winters bei mir ar- beitete, begleitet.

S. K. H. der Kronprinz hielt sich damals in Helsingborg auf, und das Leben in der Stadt veranlaßte, daß die Warte- zeit uns nicht lang wurde. Unterdessen erhielt ich einen Brief von Sir Humphey Davy, der mich benachrichtigte, daß er auf einer Seexpedition gewesen sei, um die Wirkung der von ihm neuerdings entdeckten, preservers genannten, Schutz- mittel für die Schiffsverkupferuug, ^^) zu studieren. Er war jetzt in Göteborg und bat mich, in Helsingborg zu verweilen^ weil er beabsichtigte, am 26. oder allerspätesteus am 29. Juli dort einzutreffen, um nach Dänemark zu gehen. Es war mir dabei ganz unbegreiflich, wie Davy von meinem Aufenthalt in

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Helsiugborg unterrichtet sein konnte. Da S. K. H. am näm- lichen Tage die Stadt verlassen wollte, um nach Göteborg zu reisen, gab ich Kanzleirat Taxnstböm den Auftrag, S. K. H. anheimzustellen, inwieweit er die (relegenheit, Europas be- rühmtesten Chemiker kennen zn lernen, benutzen wolle.

Mit umgehender Post beantwortete ich Davys Brief, unter- richtete ihn von der Veranlassung, die mich nach Helsingborg geführt hatte und bat ihn, soviel als möglich seine Reise zu beschleunigen, weil es unsicher sei, ob Brongniabt, falls er vor dem 26. ankommen sollte, sich länger als bis zum 29. aufhalten werde.

Bküngniabt langte am 25. nachmittags, von seinem Sohn (dem später berühmten Botaniker) und Staatsrat Oested be- gleitet, an, der die Gelegenheit wahrnahm, mir einen Besuch zu machen. Der sehr eilige Franzose hörte meinen Vorschlag, über den 29. zu bleiben, um Davt zu erwarten, mit einer gewissen Cnzufriedeuheit an: da aber Professor Nilsson aus Lund auch soeben angekommen war und die Zeit zu Exkur- sionen nach Höganas und anderen Platzen in der Nachbar- schaft von Helsingborg benutzt werden konnte, gab er sich zufrieden. Als Davy am 29. Juli nicht eintraf, reiste er am folgenden Tage frühzeitig mit Nilsson nach Lund. Ich wollte noch über den 30. bleiben, besonders da Ör^ted sich bereden ließ, auch so lange zu warten. Als der erwartete Gast nicht ankam, reiste Obsted 8 Uhr abends nach Helsingör und Wühler und ich machten uns fertig, nachts nach Lund zu fahren. Gerade als wir in den Wagen steigen wollten, kam die Botschaft, daß Davt angekommen sei. Wir beeilten uns, ihn aufzusuchen. Eir entschuldigte die Verzögerung damit, daß er. nachdem sein Entschluß, am 27. in Helsingborg zu sein, bereits gefaßt war. darauf verfallen sei, zu versuchen an der Mündung des Lagafiusses Lachse zu angeln: und dies sei so gut gegangen, daß er noch ein paar Tage mit Lachs- augelu zugebracht habe. Ich will nicht verhehlen, daß ich diese ehrliche Entschuldigung als eine offenbare Mißachtung empfand, aber ich glaubte, den Eindruck, den sie auf mich machte, verbergen zu sollen. Auf meine Frage, wie er erfahren habe, daß ich mich in Helsingborg befand, erwiderte er, der

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Kronprinz, bei dem er zu Mittag geladen gewesen sei, habe es ihm mitgeteilt.*) Während eines wissenschaftlichen G-esprächs setzte Davy sich ungeniert zu seinem Souper, das bei unserer Ankunft serviert worden war. Wir freuten uns seines ganz ungewöhnlich treflflichen Appetits und bewunderten, was er im Essen leisten konnte, ohne damals zu wissen, daß dies eine Krankheit, der er niemals entgegen zu arbeiten imstande war und der er zum Opfer fiel, ehe er noch 50 Jahre erreicht hatte. ^*') Es wurde spät und Zeit für ihn zur Ruhe zu gehen, wir nahmen daher Abschied und setzten unsere Reise fort

Von NiLssoN geführt, besuchte die kleine Karawane die in geologischer Hinsicht merkwürdigen Plätze in Schonen, wobei Bkongniahts Beobachtungen und Urteile für uns alle sehr lehrreich wurden. Dann verließ uns Nilsson, und wir suchten darauf Taberg in Smäland, darauf die Übergangs- formation in Westgotland, vornehmlich Kinnekulle, sowie Hunne und Halleberg, und auf dem Wege nach Norwegen die Muschelberge bei üddevalla auf. Beongniaet erkannte, daß alle die Muscheln zu Arten gehörten, die jetzt in der Nordsee vorkommen, und es zeigte sich dadurch, daß diese jetzt so hoch über der Meeresoberfläche gelegenen Stellen früher Meeresgrund waren. Er beauftragte unsere jungen Begleiter, unbewachsene Felsenstellen in der Nähe aufzusuchen, um zu sehen, ob nicht noch Lepas halanus aus der Vorzeit darauf sitzen geblieben sei, was auch tatsächlich der Fall war. Diesen entscheidenden Beweis für die Hebung des skandinavischen Walles sah ich mit besonders großer Freude. Sie gibt Auf- schluß über einen sonst unerklärlichen Umstand, von dem Oberst Nokdewall später in der Akademie der Wissenschaften berichtete,**) nämlich über die Auffindung einer versunkenen Schifi'sbrücke und eines Schiifankers in dem kleinen Akerssee an der Seite der Trollhättafälle. Heute kann dort kein Fahr- zeug, weder in der Richtung mit noch gegen den Götaälf hinkommen. Es zeigt dies, daß das Flußtal damals ein

*) Nach einiger Zeit erfuhr ich von dem Porterbrauer Robert LoKENT, den ich auf der Rückreise auf einer Poststation traf, daß er •die Mitteilung gemacht habe.

**) Vct.-akad. Handl. 1832 S. 63.

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Meerbusen war, und der gegenwärtige kleine Äkerssee machte bei der unübersteiglichen Untiefe, die damals dort aus Klippen gebildet war, wo sich heute der Wasserfall befindet, die letzte Hafenstelle aus.

Unsere Reise wurde über Svinesund nach Kristiania fortgesetzt. S. K. H. der Kronprinz war hier jetzt Statt- halter, das Storthing sollte am folgenden Tage geschlossen werden, und bei dieser Gelegenheit waren viele Menschen in der Stadt zusammengekommen. Aus diesem Grunde fiel es uns schwer, Zimmer zu bekommen. Wir wurden schließ- lich von einer Frau aufgenommen, die jedoch eine ungeheure Miete fiir ihre Stuben verlangte. Als dem lebhaften Beong- KiABT die Höhe der Summe genannt wurde, machte er seinem Unmut allerdings auf französisch, aber in kräftigen Ausdrücken, Luft. Wahrscheinlich verstand die Frau die Sprache nicht, wohl aber seine Geberden, und so wTirden wir formlich herausgesetzt und unsere schon hinaufgetragenen Sachen wieder hinunterspediert. Schließlich mußten wir bei einbrechender Dämmerung bei einem schwedischen Restau- rateur, der kein Zimmer für uns hatte, bleiben und die Nacht im Wirtszimmer zubringen.

Am folgenden Morgen eilte ich zum Polizeiminister, Staatsrat Dibichsen, klagte ihm unsere Not, und nach ein paar Stunden wurden wir von Professor Maschman auf das Beste aufgenommen, bei dem wir während unseres zwölf- tägigen Aufenthalts in Kristiania jede erdenkliche Freundlich- keit erfuhren. Maschman, seines Zeichens Apotheker, war während des Urlaubs des Professors der Chemie mit der Ver- waltung des Amtes betraut, daher er auch Interesse an dem Zweck unserer Reise nahm. Die Gelehrten, Hr. Hansteex, EsMARK, Steenstbup, P. Stböm bildeten hier unseren täg- lichen Umgang.

Professor Esmakk erbot sich auf die verbindlichste Weise, tins auf den bevorstehenden geologischen Exkursionen zu begleiten, ein Anerbieten, das um so schätzenswerter war, als EsMABK den geologischen Lehren Werners (den sogen, neptunischen) mit Herz und Seele, fast bis zur Unduldsamkeit, ergeben war, Bbongniabt hingegen sich in seinen Schriften

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offen zu der pliitonischen Schule bekannte. Als Bkongniabt mit Begeisterung unsere Aufmerksamkeit auf die vielen schönen Beweise für die Ansichten seiner Schule, die Kristianias Um- gebung überfluten, lenkte, machte Esmark nie einen Einwand, sondern hörte mit gelassener Aufmerksamkeit zu, doch, wie ich glaube, ohne dadurch zum Proselyten zu werden. Norwegens erster Geologe, Keilhau, auf dessen Unterstützung Bkongniaet gerechnet hatte, plante seinerseits eine Reise mit Professor Steffens aus Breslau. Die „Innere Naturgeschichte der Erde" des letzteren ließ uns indes seine Gesellschaft auf dieser Eeise nicht besonders herbeisehnen. Die Gegenden, die nun unter- sucht wurden, waren Krokkleven, Kongsberg, und das um die westliche Seite des Kristianiafjords herum gelegene Land bis nach Porsgrund, wo wir umkehrten. Beongniart schickte große Kisten mit Gesteinsarten nach Hause an das Museum im Jardin des Plantes, und auch ich hatte Gelegenheit, eine reiche Ernte an norwegischen Minerahen einzuheimsen.

Von Kristiania wurde der Weg über Kongsvinger und Fryksdalen genommen, wir besuchten Malsjö und Gullsjö, darauf in Filipstads Bergrevier Nordmark, Taberg und die Längs- banshütte und setzten dann über Sala und Västeräs unsere Reise bis nach Stockholm fort, von wo meine drei Reise- kameraden nach einigen Tagen in ihre Heimat zurückkehrten.

Ich war Mitglied des Komitees für Reorganisation des Unterrichtswesens, das Ende 1825, nachdem es dem König von den Reichsständen gehorsamst anheimgestellt war, gebildet wurde.

Im September und Oktober 1826 trat dasselbe im Sitzungs- saal der Akademie der Wissenscbaften unter dem Vorsitz des Bischofs C. VON WingIed zusammen. Schon in der ersten Versammlung sprach sich ein allgemeiner Eifer für eine gründliche Verbesserung unseres Unterrichtswesens, sowohl der Unterrichtsart, wie auch der Lehrgegeustände , aus, die mehr als bisher der allgemeinen bürgerlichen Bildung angepaßt werden sollten. Auch für die Abschaffung verschiedener von der Lehrerschaft zur Beförderung benutzten Mittel, wie das Bürgerrecht, das Vortrittsrecht, welche mehr die Dienstjahre, als ausgezeichnete Befähigung verliehen, wurde gestimmt.

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Die Meinung der Majorität äußerte sich in dieser Sache so bestimmt, daß unser gewandter Vorsitzender vorschlug, da das gegenwärtige Zusammentreten des Komitees nur eine preli- minäre Auseinandersetzung der Begriffe im Auge habe, in Bezug auf welche der gehorsamste Vorschlag künftig abgegeben werden solle, die geäußerten Meinungen nicht einzeln zu Protokoll ge- nommen, sondern die zur Beratung gelangten Gegenstände nur in einem Memorialprotokoll verzeichnet werden sollen.

Man verband mit diesem Vorschlag des Vorsitzenden keine andere Vorstellung, als daß eine weitläufige Schreiberei für den Sekretär vermieden werden solle, und das wurde mit allge- meinem Beifall angenommen. Bei dieser Versammlung wurden so klare und meiner Überzeugung nach richtige Ansichten über den Hauptzweck des öffentlichen Unterrichts sowie über die erforderlichen und möglichen Verbesserungen desselben, entwickelt, daß ich die größten Hoffnungen auf die nützlichen Folgen derselben setzte. Aber kein Wort von dem in diesem Sinn Gesprochenen wurde verzeichnet, und es war mit der Rede verschollen.

Das Komitee trat vom Januar April 1827 unter dem nominellen Vorsitz S. Exz. des Grafen Flemmikg, aber dem tatsächlichen des Erzbischofs von Rosenstein, von neuem zu- sammen. Es war jetzt durch eine so große Anzahl von Mit- gliedern mit konservativen Ansichten verstärkt, daß diejenigen, welche die Majorität ausmachten, als kein Protokoll geführt wurde, nun, wo der Beschluß zu Protokoll genommen werden sollte, in die Minorität kamen. Jetzt war das Alte gut, und von der neuen Unterrichtsart glaubte man, daß sie nur zu oberflächlicher Frühreife und, zu Routine ohne Gründlichkeit führe. Der Vorschlag, die Real- und Naturwissenschaften in der öffentlichen literären, bürgerlichen Erziehung mehr als bisher geltend zu machen, wurde als ein Versuch betrachtet, die klassische Gelehrsamkeit völlig zu vernichten, deren Wert für diejenige Klasse der Mitbürger, welche sich zur Gelehrten- laufbahn eigneten, nicht bestritten wurde, deren Entbehrlichkeit in den Angelegenheiten des öffentlichen Gemeinwesens aber mancher einzusehen glaubte. Diese bestanden darauf, daß die öffentlichen Erziehungsanstalten größeres Gewicht darauf legen

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müssten, daß die große Masse, die nicht nach gelehrtem Wissen trachtete, diejenigen Kenntnisse sich erwerben könne, die für Berufsarten, in denen praktische Kenntnisse ein unumgäng- liches Bedürfnis seien, befähigten. Der Streit wurde mit Ernst und Würde geführt, und wie gewöhnlich war weder die eine noch die andere Partei von dem Endresultate, das 1829 ver- öffentlicht wurde, völlig befriedigt. Das Gutachten füllte, zahlreiche Beilagen nicht mitgerechnet, 225 Quartseiten aus.

Möge es hier nicht als der unrichtige Platz angesehen werden, wenn der in diesen Beratungen vorhersehende Geist an dem Ausgang den ein Antrag, den ich stellen zu müssen glaubte, nahm, erläutert wird.

Ich habe mehrfach achtungswerte und mit guten Schul- kenntnissen versehene Geistliche angetroffen, welche die Ur- sache der Mondab- und -zunähme nicht richtig verstanden, welche vom Barometer keinen anderen Begriff hatten, als daß es das künftige Wetter anzeige, und dergleichen mehr, wovon doch jeder Mensch einen richtigen Begriff' haben sollte. Ich habe in mehreren Komitees, deren Mitglied ich war, selbst auch in dem der landwirtschaftlichen Akademie, nicht selten erfahren, daß mit Recht geachtete Männer, durch totalen Mangel an Kenntnis der ersten Grundlagen der praktischen Wissenschaften, zuweilen die sinnlosesten Angaben geglaubt und die auf allgemeinen Naturgesetzen beruhenden Verhältnisse mit Eifer bestritten haben, ohne daß es möglich gewesen wäre, sie von dem Irrtum zu überführen; und habe ich längst ein- gesehen, daß der Grund darin liegt, daß bei der allgemeinen Universitätsbildung kein Gewicht auf das Erlernen der Natur- wissenschaften gelegt wird, da dies bei der Ausfertigung des wissenschaftlichen Zeugnisses nicht von dem verlangt wird, der sich zum Beamten oder zum geistlichen Beruf vorbereitet hat. In Deutschland, Frankreich und England habe ich solche realistische Kenntnisse sowohl bei Privatleuten als bei Beamten allgemein gefunden.

Ich teilte meine Beobachtung dem Komitee mit und schlug zu seiner Abhilfe vor, daß jeder Student, der von der Uni- versität abgehen wolle, und wünsche, aus dem Umstand. Student gewesen zu sein, später einigen Nutzen zu ziehen,

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mit Rücksicht auf eiue künftige Beförderung, welcher Art sie auch sein möge, z. B. auch zum geistlichen Beruf, ein Abgangs- examen in den ersten Grundlagen der populären Astronomie^ Physik, Mechanik und Chemie ablegen, sowie mit einem Zeug- nis über seine Kenntnisse in diesen Wissenschaften versehen sein solle. Ich sah es als eine ganz geringe Forderung an, daß er einige Kenntnis von unserem Planetensystem besitze, von der Ureache, weshalb das Quecksilber im Barometer steigt, wes- halb Flüssigkeiten durch einen Heber ausfließen, was vorgeht, wenn ein Licht brennt, worauf der Zug auf unseren Feuer- stätten beruhte, weshalb das Eis auf dem Wasser schwimmt, u. a. täglich vorkommende Umstände, die jeder Mensch wissen sollte, wovon aber 99 von 100 nicht einmal soviel kennen, um zu verstehen, daß diese Gegenstände überhaupt verdienen, in Erwägung gezogen zu werden. Diese Schilderung hatte eine augenblickliche Wirkung, die Majorität mußte durch Ab- stimmung ermittelt werden, und der Vorschlag ging mit einer Stimme durch. Bei der Justierung des Protokolls änderte jedoch der eine oder andere von denen, welche für den Vorschlag votiert hatten, seine Meinung über die Sache. Man beschloß, daß diese, obgleich nicht zu der klassischen Bildung gehörenden, doch sehr nützlichen Kenntnisse in das apolog istische Element gelegt werden sollten (d. h. in den ele- mentaren Kursus der sogen. Apologisten- Schule, Hrgb.). So war es um die allgemeine wissenschaftliche Bildung 1829 in Schweden bestellt. Andere Anschauungen sind jetzt im Werden, doch ist es ganz natürlich, daß solange diejenigen, die an der Spitze der ünterrichtsverwaltung eines Landes stehen, die Art des sich emporringenden Neuen nicht kennen, eine wesentliche Änderung des Alten nicht zu stände kommen lassen. Erst wenn die Alten nach und nach von der Bühne verschwinden, und Männer an ihre Stelle treten, auf welche die neueren Ansichten eingewirkt haben, wird dies der Fall sein können. 1 828 wohnte ich der deutschen Naturforscherversammlung^ in Berlin bei und reiste Anfang August in Gesellschaft von Dr. Magnus (später Professor in Berlin), der fast ein Jahr in meinem Laboratorium gearbeitet hatte, von Stockholm ab. Nachdem ich in Berlin angekommen war, unternahm ich mit

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meinen früheren Schülern, den Professoren Mitscherlich und Heineich Rose, eine Reise durch einen Teil von Deutsch- land, Belgien und der Niederlande, die bis zu Anfang der Versammlung währte.

Wir besuchten zuerst von Humboldt in Potsdam, der uns dem Kronprinzen Feiedeich Wilhelm vorstellte. Dieser geruhte, sich lange mit uns zu unterhalten. Dann suchten wir die hier befindlichen Lustschlösser auf und betrachteten ihre Sehenswürdigkeiten.

Die Reise ging darauf nach Halle, wo die Bekanntschaft mit Schweigger erneut wurde, nach Jena, wo wir Döbereiner besuchten, der neuerdings durch die Entdeckung, daß der Platinschwamm sich zu entzünden vermöge, berühmt geworden war.^'^) Dann fuhren wir über Gotha, Eisenach, wo wir das Wartburgschloß, Lutrees Gefängnis, besahen, die historisch interessante Rüstkammer und die nicht minder merkwürdige Bergformation, auf der das Schloß aufgeführt ist, nach Weimar, Dornburg, wo wir einen Besuch bei Goethe machten, der keine Erinnerung daran zu haben schien, daß ich schon 1822 in Eger bei ihm verweilt hatte. Nun ging es über Darmstadt die Bergstraße hinab nach Heidelberg, wo wir während einiger Tage bei Leopold Gmelin und C. C. von Leonhaed, der erstere Chemiker, letzterer Mineraloge, blieben. Wir setzten dann unsere Reise über Mannheim am linken Rheinufer nach Mainz fort, wo wir wieder über den Rhein gingen. In Frankfurt am Main besuchten wir den Anatomen Sömmeeing^^) und den Stall- meister WöHLEE (Vater von Dr. Wöhlee, der eine Zeitlang bei mir gearbeitet hatte), gingen dann nach Wiesbaden, dessen Badeeinrichtungen wir ansahen, nahmen weiter den Weg über Rüdesheim und machten mit dem Dampfschiff die schöne Fahrt Rhein abwärts bis Koblenz ; hier besahen wir die gerade gegen- überliegende Festung Ehrenbreitstein , die völlig umgebaut wurde. Von da gingen wir nach Andernach, wo wir mit Professor Bischof aus Bonn zusammentrafen; er wurde unser Führer nach dem mit Wasser angefüllten Vulkan Laachersee und nach mehreren der ausgebrannten Vulkane der Eifel, wo wir die merkwürdigen Traßbrüche und die darin befindlichen verkohlten Baumstämme besahen. Von dort fuhren wir weiter

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den Rhein hinunter nach dem schönen, jetzt in einen Gasthof Terwandelten, Nonnenwerth "^ und dann nach Bonn, um uns einige Tage als Gäste bei Bl^chof aufzuhalten. Von dort wui'den Ausflüge nach Godesberg und Bellevue an dem einen, sowie nach Drachenfels au dem andern Rheinufer gemacht. Wir gingen weiter über Köln nach Aix la Chapelle, wo der Apotheker Monheim uns nach den dortigen und den Bädern in Burtscheid führte. Wir setzten unsere Reise nach Namur fort und suchten hier den Geologen Omalius d'Hallot auf, nach Liege, wo Oberst Backe uns nach den Cockerillschen Werken in Seriu^"*) brachte und wir Gelegenheit hatten, das soeben vollendete Waterloo-Mouument zu sehen, nach Bruxelles und Anyers. Von Anvers fuhren wir mit dem Dampfschiff nach Rotterdam und dem Haag. Dort brachten wir einen Tag bei dem schwedischen Gesandten (später Freiherr) d'ÜHSSON zu, von dem gefuhrt, wir das Fischerdorf Scheveningen mit seinem Seebad, seinem japanischen Museum und dem Ver- sammlungszimmer der Generalstaaten in Augenschein nahmen. In Leyden wurden die schönen Museen besichtigt, in Haarlem waren wir iu Bezug auf das TETLEBSche Museum ^*'^) weniger glücklich, da dessen Kustos sich nicht überreden ließ, es für uns zu öffnen, weil Sonntag war. Wir hielten uns ein paar Tage in Amsterdam auf, sahen uns Zaardam mit Zar Petebs Wohnung, während er Schiffszimmermann war, an; fuhren mit dem Dampfschiff nach Leeuwarden und reisten dann weiter über Groningen, Leer, Oldenburg und Bremen nach Hamburg. Dort blieben wir einige Tage, verkehrten mit ScHrMAcnEE, Repsold, Leh^iakm, Eimbke und kehrten am 17. September, noch am Tage vor dem Beginn der Versammlung, nach Berlin zurück. Dieselbe war von großem wissenschaftlichen Interesse. Ihre Verhandlungen sind im Druck erschienen. Auf einem Fest, das der König der gelehrten Versammlung gab, und dem die königliche Familie beiwohnte, sprach der Kronprinz mir den Wunsch aus, daß ich an dem Tage, an dem S. K. H. beabsich- tigte, der allgemeinen Versammlung beizuwohnen, etwas vor- tragen möge. Auf einen solchen Vortrag hatte ich mich nicht vorbereitet, glaubte aber dem Wunsch des Hochgestellten nachkommen zu müssen und faßte schnell eine populäre

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Darstellung einiger Experimente zusammen, die ich kurz vor- her in der Akademie der Wissenschaften mitgeteilt hatte.

Diese Versammlung war auch, wegen der bedeutenden Anzahl interessanter persönlicher Bekanntschaften, die ich Gelegenheit hatte, mit Gelehrten aus allen Teilen Deutschlands anzuknüpfen, von großer Wichtigkeit für mich.

Bei der Krönung Ihrer Majestät der Königin geruhte S. M. der König am 31. August 1829 mir das Großkreuz des Vasaordens zu verleihen.

Im Juli 1830 unternahm ich in Gesellschaft des Medizinal- rats VON PoNTiN eine Reise nach Berlin, um später der Natur- forscherversammlung in Hamburg beizuwohnen. Nach einem kurzen Aufenthalt in ersterer Stadt machten wir mit Dr. Magnus eine Reise in Deutschland und besuchten einen Teil des Harzes. Hr. von Pontin hat von dieser Reise, der Ver- sammlung in Hamburg und dem festlichen Empfang, den die Kopenhagener Gelehrten und die studierende Jugend uns be- reiteten, als wir diese Stadt auf der Heimreise passierten^ eine Beschreibung veröffentlicht. ^°^)

Als ich das 30. Dienstjahr vollendet hatte,^*^^) dies zurück- gelegt zu haben ist von den Statuten vorgeschrieben, um mit 55 Jahren das Recht auf eine Pension aus der Pensionskasse der Zivilbeamten zu erlangen, beantragte und erhielt ich meine Entlassung aus meinem Amt als Professor am Karolinischen Institut. Dabei hatte ich die Absicht, meinem vorzüglich be- gabten Schüler und Adjunkten, Dr. Mosandek, den Weg zur Beförderung zu ebnen; er erhielt auch nach mir das Amt. Nachdem ich zwei Jahre den vorgescbriebenen Gehaltsprozent erlegt hatte, kam ich mit dem letzten Quartal 1834 in den Besitz von 600 Rtlr. Pension.

Das Königliche Sanitätskollegium, welches Sr. Majestät dem König mein gehorsamstes Abschiedsgesuch unterbreitete, machte dabei den Vorschlag, daß man mich, ohne Gehalt, unter den Mitgliedern des Kollegiums, behalten möge, damit ich bei Gelegenheiten, bei denen meine Kenntnisse nützlich wären, berufen werden könnte, an den Beratungen teilzunehmen; dies geruhte S. M. zu genehmigen; und ebenso ein Gesuch der

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Professoren am Karolinischen Institut, daß ich als Professor honorarius erhalten bleiben möge.

Als während des ungewöhnlich heißen Sommers 1834 die Cholera Stockholm verheerte, wurde ich zum Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses in der Adolf Friedrichs Gemeinde bestellt. Dieses traurige Amt währte von Ende August bis Anfang Dezember. Zwei Mitglieder des Gesundheitsausschusses wohnten jeden Morgen um 5 Uhr den Beerdigungen auf dem beim Hagapark gelegenen Begräbiiisplatz au, um achtzuhaben, daß bei der Bestattung der Gemeindeleichen alles ordentlich zugehe. An einem sehr warmen Morgen hatte ich diese traurige PHicht erfüllt und dabei sehr stark transpiriert. Als ich im Wagen nach der Stadt zurückkehrte, ohne mit einem Über- rock versehen zu sein, welchen die in diesem Sommer bei Tag und Nacht anhaltende ungewöhnlich hohe Temperatur unnötig zu machen schien, erhob sich ein heftiger, kalter Wind, durch den ich mich erkältete und einen Gichtanfall bekam. Dieser war zwar an sich nicht langwierig, aber von einem Zustand von Nervenschwäche genau wie der begleitet, zu dessen Abhilfe ich im Sommer 1818 die Reise nach Paris unternahm. Im übrigen hatte ich kein anderes körperliches Leiden dabei, als einen Schwächezustand in den Verdauungsorganen. Schon im Frühjahr hatte ich einen ganz gelinden Anfall davon gehabt, der aber schnell vorüberging; dieses Mal nun wollte er nicht weichen und war von Gleichgültigkeit gegen alles begleitet. Lust und Kraft für wissenschaftliche Arbeit hörten auf, und eine höchst lästige Besorgnis, daß ich selbst die unbedeutend- sten Beruispflichten, die wie früher weiter gingen, nicht erfüllen könne, stellte sich bei mir ein. Die physischen Kräfte waren mir übrigens bei alledem geblieben. Dieser Zustand dauerte zwei Jahre.

Das Vergnügen an wissenschaftlicher Beschäftigung, von der ich mich früher nie ermüdet fühlte, hatte veranlaßt, daß ich die Abendstunden selten in Gesellschaft außer dem Hause zubrachte, und beschränkte sich mein Umgang fast nur auf die Familie meines Freundes, des Präsidenten Poppius. Jetzt wurde mir besonders abends die Zeit lang, zumal der Ver- kehr mit Fremden mir in diesem Zustand fast ebenso lästig

Kahl bau in, Monographieen. VII. *

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wie Beschäftigung war. Da empfand ich es zuerst, daß ich einsam war, und nach und nach wurde der Gedanke in mir wach, daß dies von dem Augenblicke an, in welchem sich meine ökonomische Lage so verbessert hatte, daß ich zum Genuß des Familienlebens hätte kommen können, auch hätte anders sein können und müssen.

Meine Angehörigen hatten mich vor längeren Jahren oft ermahnt, zu heiraten und mir mit lebhaften Farben das ledige Alter, während eines interesselosen Lebensabends einsam und ohne von der Fürsorge näherer Angehöriger umgeben zu sein, vorgemalt. Ich schenkte ihrem Rat damals kein Gehör, aber jetzt glaubte ich zu erkennen, daß ihre Prophezeiungen in Er- füllung gingen.

Ich hatte vor 25 Jahren angesichts des glücklichen Familien- lebens eines ausländischen Gelehrten diesen gefragt, ob es seiner Erfahrung nach für einen tätigen und eifrigen Gelehrten richtig sei, sich zu verehelichen. Er hatte folgende Antwort gegeben : wenn meine Frage auf einen Rat für mich selbst ausgehe, könne er weder zu- noch abraten. „Aber", sagte er, „obgleich ich so glücklich bin wie ein Familienvater nur sein kann, und der Verlust meiner geliebten Frau ein Unglück wäre, das ich kaum zu ertragen vermöchte, so glaube ich doch, wenn ich jetzt unverheiratet wäre, und diejenigen Erfahrungen der Sorge ums tägliche Leben schon gemacht hätte, die ich jetzt besitze, 80 würde ich gewiß nur heiraten, wenn eine unbezwingliche Leidenschaft mich dazu veranlaßte." Dies bestimmte mich damals, alle Gedanken an die Ehe für immer aufzugeben, und mit dieser Idee war ich später sozusagen verwachsen.

Jetzt kam ich ins Schwanken, konnte mich aber noch nicht entschließen, davon abzugehen. In diesem Zustand von Unentschlossenheit fragte ich einen intimen und welterfahrenen Freund, Grafen Teolle- Wachtmeister, um Rat. „Ich ver- mute," antwortete er, „daß man ein glückliches Leben ohne Ehe zubringen kann, aber dem, welcher nicht erfährt, was ein freundliches Heim an der Seite einer geliebten Frau ist, bleibt doch die schönste Seite des Lebens fremd. Bei einer ver- ständigen Wahl ist es noch nicht zu spät, um diese Erfahrung zu machen. Um sich recht wohl zu fühlen, muß man ein

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chez soi haben und es nicht außerhalb seiner eigenen Woh- nung zu suchen brauchen." Dies entschied, und einige Tage später hielt ich bei meinem langjährigen, redlichen Freund, Präsident Poppius, um die Hand seiner ältesten Tochter an, die mir auch trotz des großen Unterschieds an Jahren, mit Freundschaft und innerlichem Wohlwollen sowohl von ihrer, wie auch von ihrer Eltern Seite, zugestanden wurde.

Ich fand mich hierdurch genötigt, ernstlich zu versuchen, aus diesem Zustand von Nervenschwäche herauszukommen, der zu dem glücklichen Schritt selbst Anlaß gegeben hatte. Die Hoffnung, daß ich jetzt, wie das vorige Mal. durch eine längere Reise davon befreit werden könne, veranlaßte meinen Ent- schluß, einen Besuch in Paris zu machen, um auf dem Rück- weg der deutschen Naturforschergesellschaft in Bonn beizu- wohnen.

Diese Reise machte ich in Gesellschaft eines jüngeren Chemikers, Herrn Dahlstköm, damals Inhaber des byzanti- nischen Stipendiums der Akademie der Wissenschaften, später Professor der Pharmazie an der Veterinärschule in Stockholm, dessen wohlwollende Fürsorge ich ebenso nötig hatte, als er bereit war, mir dieselbe zu widmen. Wir traten die Reise an einem der ersten Tage des Juli 1835 über Kopenhagen, Lübeck und Hamburg an, und besuchten die Freunde, die ich an diesen Orten besaß, Ihre Freundschaft, die überall auf- zutischen suchte, was für mich von wissenschaftlichem Interesse sein konnte, griff mich sehr an, denn mir mangelte dieses Interesse, und ich wagte nicht mir merken zu lassen, daß es mir fehle. Wir fuhren mit dem Dampfschiff von Hamburg nach Havre; auf der Seereise hatte ich mich besser befunden, auf dem Lande aber ging es mir wieder viel schlechter. Auf dem Dampfschiff waren wir mit Baron Vedel-Jaelsbebg zusammengetroffen, der in der Eigenschaft eines Legations- sekretärs nach Paris ging, und hatten auch seine Gesellschaft von Havre bis dorthin. Bei der Ankunft in Paris, am 15. JuU abends, befand ich mich in einem äußerst erschöpften Zu- stand, der ein paar Tage Ruhe erforderlich machte.

Wir hielten uns sieben Wochen in Paris auf. Meine vielen älteren, dort noch übriggebUebenen Freunde, und vor

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allen S. Exz. Graf Löwenhjelm, suchten uns den dortigen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Von den 49 Tagen, die wir uns in Paris aufhielten, mußte ich für 41 Tage Einladungen zu Diners annehmen. Glücklicher- weise hatte mein Zustand den allgemeinen Charakter der Nervenschwäche, morgens und einen Teil des Vormittags arg zu sein, um gegen Abend in ein mehr als gewöhnliches Aufgeregtsein umzuschlagen. Da die französischen Diners ge- wöhnlich erst um 7 Uhr nachmittags gegeben wurden, konnte ich also den Abend mit einigem Vergnügen unter meinen gelehrten Freunden zubringen. Gewöhnlich wurde irgend ein interessantes Unternehmen für den folgenden Vormittag vor- geschlagen, das ich Dahlsteöms wegen nicht abweisen zu dürfen glaubte. Zuweilen war es sehr lehrreich, es waren aber gerade meine schlechtesten Stunden, und ich litt nicht selten sehr darunter. Wie fatal dies auch für den Augenblick war, so lernte ich doch viel dabei, was mir nachher im Gedächt- nis blieb. Es kam manchmal vor, daß jüngere Gelehrte von widersprechenden wissenschaftlichen Ansichten mich zu der einen oder der anderen bekehren wollten. Dergleichen machte mir damals eine unerträgliche Qual, und ich mußte das Gespräch mit dem Bemerken ablehnen, daß das Wahre sich in der Wissenschaft dadurch ausweist, daß es, nachdem es einmal an den Tag gekommen, Bestand hat, auch wenn niemand seine Verteidigung übernimmt.

Vor dem Anfall von Nervenschwäche war ich einige Jahre von Steifheit in den Fußgelenken und einer gewissen Un- fähigkeit, einen etwas weiteren Weg zu machen, geplagt; alles dies war jetzt verschwunden, ich konnte ungehindert die weitesten Spaziergänge machen; das hatte jedoch eine andere Wirkung; ich magerte in diesen Wochen so ab, daß ich die mitgebrachten Kleider nicht brauchen konnte. Der Zustand des Nervensystems aber blieb immer derselbe.

S. Exz. Graf Löwenhjelm verschaffte mir eines Tagts Gelegenheit, König Ludwig Philipp meinen Dank für die Ehre abzustatten, die mir S. M. einige Jahre zuvor erwiesen, indem er mich in der guten Gesellschaft Alexander von Hum- boldts und S. DE SiSMONDis zum Offizier der Ehrenlegion

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gemacht hatte. ^^) Der König sprach eine Stunde mit mir auf norwegisch, ich antwortete auf schwedisch, das er gut verstand. Der Kronprinz •*'*) äußerte in verbindlichen Worten, daß er, was er von der Chemie wisse, aus meinem Trait6 de Chimie (einer französischen Übersetzung meines Lehrbuchs der Chemie; gelernt habe. Wie dem auch immer sein mochte, so betrachtete ich dies doch als eine große Artigkeit.

Der französische Bildhauer DA^^D wünschte meine Büste zu modellieren und sie in Marmor meiner künftigen Frau zu verehren. Dieses schmeichelhafte Anerbieten nahm ich mit Dank an, und er hielt sein Versprechen. Die Büste ist kollosal und meisterhaft ausgeführt. ^°^ Es war nicht sein Fehler, wenn die Züge, die er wiedergab, meinem früherem Gesichtsausdruck nicht recht glichen, den ich erst wieder erhielt, nachdem ich mit Gottes Hilfe meine Gesundheit wiedererlangt hatte.

Am 5. September verließ ich Paris in Gesellschaft des Hni. Daiilstböm und des Leibarztes SÄve, der mich bis Bonn begleitete; doch ging es mir bei der Abreise von dort viel schlechter, als zu der Zeit, da ich hinkam. Unser Weg ging über Metz nach Mainz, von wo wir das Dampfschiff Rheni abwärts bis Bonn benutzten und von den Professoren GosT. Bischof in Bonn, Fk. Wöuler aus Kassel, Tubneb aus London und mehreren Bekannten am Ufer empfangen wurden. Wälirend der Versammlung war ich wieder Bischofs Gast. Anfangs befand ich mich dabei besser, dies nahm aber wieder so ab, daß ich, obgleich in der Versammlung ver- schiedene sehr interessante Dinge vorgetragen wurden, Wühlebs Vorschlag annahm, noch ein paar Tage ehe sie zu Ende war, in seiner Gesellschaft die Heimreise anzutreten. Wir reisten zusammen bis Kassel, wo er wohnte. Hier blieb ich einen Tag bei seiner liebenswürdigen Familie; von dort bis Göttingen fuhr ich in Gesellschaft Dr. Bünsens (später Professor der Chemie in Marburg). In Göttingen war der Lehrstuhl der Chemie neuerdings, durch Stbometebs Tod,^°^) erledigt, und WöHLEB wünschte diese Stelle zu bekommen. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, den Aufenthalt, den die Post in Göt- tingen machte, zu benutzen, um mit meinem dortigen Freunde,

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Hofrat Hausmann, einen Plan zu Wöhlebs Berufung auf die von Steomeyer verlassene Lehrkanzel zu schmieden. Die Post langte jedoch mitten in der Nacht in Göttingen an und sollte um 4 Uhr morgens weiter fahren. So viel Zeit, um den Ab- gang der nächsten Post, der erst nach einigen Tagen statt- fand, abzuwarten, glaubte ich nicht verlieren zu dürfen, und so entledigte ich mich meines Auftrages in dieser Angelegen- heit erst schriftlich von Hamburg aus und hatte nach einiger Zeit die Genugtuung, zu erfahren, daß Wöhlee auf Grund dieses, dem akademischen Senat vorgelegten Schreibens, den Ruf erhalten habe. Die Abfahrtszeit des Dampfschiffes von Lübeck gab mir Frist, ein paar Tage in Hamburg zu rasten; meine Gesundheit war inzwischen so viel besser geworden, daß ich jetzt wirklich auf dem Wege der völligen Wiederher- stellung zu sein glaubte. Von dort reiste ich, begleitet von Professor Schumacher aus Altona,^"^) nach Lübeck, und dann mit ihm und dem Apotheker Kindt nach Travemünde, von wo das Dampfschiff abgeht. Dort überraschte mich eine Ge- sellschaft von Bekannten aus Lübeck mit einem zu meinen Ehren veranstalteten Abschiedsmahl. Unter den dort An- wesenden befand sich auch Professor Bonsdorff aus Helsing- fors, dem ich in Bonn vorgeschlagen hatte, mir auf der Heim- reise Gesellschaft zu leisten, der damals aber noch keinen bestimmten Entschluß fassen konnte und jetzt auf kürzerem Wege zu mir gestoßen war. Das Dampfschiff, das uns fort- führen sollte, war zur bestimmten Zeit nicht angekommen, und unsere Freunde leisteten uns noch den ganzen Tag Ge- sellschaft, bis mit einbrechender Nacht das Schiff endlich eintraf. Wir hielten uns ein paar Tage in Kopenhagen bei den dortigen Freunden Oested, Forchhammer, Jacob- soN u. a. auf.

Am 8. Oktober kehrte ich nach Stockholm zurück und wurde von der Familie, der ich bald angehören sollte, mit Re- weisen der Zuneigung und Freude empfangen. Danach hielt ich mich für hergestellt, war jedoch nach einer Woche wieder in einem Zustand, der fast noch schlimmer als der alte war. Unter der mehr als brüderlichen PHege von Magnus Retzius fühlte ich mich indes gegen Anfang Dezember so erheblich

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besser, daß ich am 19. Dezember 1835 meine Hochzeit mit Johanna Elisabet Poppius feierte.

Am Tage yorher war ich zu dem damaligen Staatsminister der auswärtigen Angelegenheiten, Grafen von Wettebstedt, gerufen worden, der mir im Namen S. M. des Königs an- kündigte, daß derselbe beschlossen habe, mich zum Freiherrn zu ernennen. S. M. hatte geruht mich davon im voraus benachrichtigen zu lassen, um mir nicht einen Gnadenbeweis zu erteilen, dem ich mich vielleicht zu entziehen wünschte. S. M. würde dies ungern gesehen haben, zumal dieselbe meinem Schwiegervater, Staatsrat Poppius, damit auch eine Aufmerksamkeit, für seine Verdienste um das Vaterland, er- zeigen wollte.

Dieser Gnadenbeweis des Königs kam mir ganz uner- wartet Ich hatte auf derartige Auszeichnungen niemals Wert gelegt, doch wäre es mit Rücksicht darauf, daß sie ungesucht und als Ausdruck der Aufmerksamkeit und Güte des Königs angeboten wurden, undankbar gewesen, die Annahme zu ver- weigern. Auch hätte es leicht zu der Auslegung Anlaß geben können, daß man, durch eine übertriebene Schätzung des eigenen Wertes über solche Ehrungen erhaben zu sein glaube. Weder das eine noch das andere durfte ich mir zu schulden kommen lassen. Daher antwortete ich dem Minister, daß ich mit gehorsamstem Dank den hohen Gnadeubeweis annehmen würde, und mit um so größerer Freude, als er zugleich ein Ausdruck von S. M. gnädigen Aufmerksamkeit gegen meinen künftigen Schwiegervater sei.

Als ich den Hochzeitssaal betrat, wurde mir ein eigen- händiges Schreiben S. M. von meinem Schwiegervater über- geben, worin dieselbe in schmeichelhaften Worten mir zu er- kennen gab, daß sie diese festliche Gelegenheit benutze, um durch die Erhebung in den Freiherrnstand mir zu beweisen, daß meine wissenschaftlichen Bemühungen ihre allerhöchste Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten.

S. M. geruhte später, mir auch die Summe, die ich für die Introduktion erlegen mußte, zustellen zu lassen.

Während des Winters besserte sich mein Gesundheitszu- stand langsam, aber merklich; der Zustand von Nervenschwäche

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hörte indes vor dem darauftblgenden Herbst nicht auf. Dann fingen die in meinem ganzen Leben gewöhnUchen, zu Zeiten wiederkehrenden gelinden Symptome von arthritis vaga wieder an, sich einzustellen, aber ohne das Nervensystem in Mit- leidenschaft zu ziehen.

Einen Teil des Sommers 1836 benutzte ich zu einer Reise mit meiner Frau, um unsere beiderseitigen Verwandten zu besuchen. Der Ort, wohin wir uns wandten, war Kopen- hagen, wo mein Jugendfreund Baron Hochschild, ein Onkel meiner Frau,^*^^) schwedischer Gesandter war.

Die gelehrten Freunde waren jetzt alle von Kopenhagen abwesend. S. K. H., der Kronprinz von Dänemark^^") ließ mir durch den Gesandten sagen, daß er mich zu sehen wünsche. Ich wurde von dem Prinzen gnädig empfangender ließ mir seine große und ausgezeichnet schöne Mineraliensammlung zeigen und eine kleinere, aber besonders lehrreiche Sammlung von egyptischen und römischen Antiquitäten. S. M. der König von Dänemark ließ durch den Staatsminister der auswärtigen Angelegenheiten mich zu sich entbieten und geruhte sich eine Stunde lang mit mir über literarische Themata zu unter- halten. Bei einem Besuch auf dem Rückweg in Arup, nahm ich Gelegenheit, S. Exz. dem Grafen Teolle-Wachtmeistek für seinen wohlbedachten und freundschaftlichen Rat, der mein gegenwärtiges Wohlbefinden und Glück, das später unverändert dasselbe blieb, begründet hatte, persönlich zu danken.

S. M. hatte 1835 dem Sanitätskollegium befohlen, von den Professoren am Karolinischen Institut in Stockholm einen Vorschlag für die Änderung der Organisation desselben zu verlangen, an dessen Entwurf teilzunehmen ich als Professor honorarius aufgefordert wurde. Über den künftigen Zweck des Instituts waren die Meinungen nicht geteilt, über den Wortlaut aber, in welchem der Vorschlag jetzt aufgesetzt werden sollte, war ich und die übrigen Mitglieder verschiedener Ansicht. Sie glaubten, daß man den alleruntertänigsten Vorschlag für die Instruktion darauf basieren müsse, daß der Wirkungskreis sich nicht vergrößere, weil sie voraussetzten, daß bei der Re- gierung das Interesse für die Universität in Upsala so stark

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sei, daß es dem Plan entgegenwirken würde. Meine Meinung dagegen war, daß, da die Professoren bei dieser Gelegenheit offiziell aufgefordert worden waren, in der verlangten Instruk- tion vorzuschlagen, was das Institut sein solle, und das war doch, meiner Ansicht nach, der einzig annehmbare Grund, aus welchem die älteren noch geltenden Statuten geändert werden sollten, sie jetzt gehorsamst aussprechen müßten, was das Institut heut ist, und was es durch einen einzigen Federzug werden könne. Da meine Mitbrüder nicht annahmen, daß dies jetzt zum Ziel führe, glaubte ich S. M. meine besondere Ansicht in der Sache gehorsamst vorlegen zu dürfen. Dabei schilderte ich den medizinischen Unterricht in Schweden, wie er jetzt war, und zeigte, wie er meiner Ansicht nach beschafifen sein müsse und auch werden könne. Sollte das geschehen, dann müsse allerdings dem Karoliniscben Institut, welches mit dem Seraphimer- und dem Garnisonslazarett, dem Entbindungs- und dem großen Waisenhaus in Verbindung steht, das gleiche Recht auf Beförderung seiner Schüler zugestanden werden, wie den medizinischen Fakultäten, die zu größeren Krankenhäusern in keinerlei Beziehungen stehen. Die Frage wurde von S. M. dem König dem Gutachten der Universitäten anheimgestellt, und nach Verlauf von vier Jahren ließ man die sämtlichen Akten in Upsala veröffentlichen, ehe noch die darin mitgeteilte Antwort dem König vorgelegt war. Dieser Versuch, durch Berufung auf das Urteil des Publikums, im voraus meinem gehorsamsten Vorschlag eine Meinung entgegenzustellen, ist doch, wie es scheint, nicht ganz so ausgefallen wie die Heraus- geber vermuteten. Vom Reichstag 1840—41 wurden die Professorengehalte am Karoliniscben Institut verdoppelt und der Wunsch ausgesprochen, daß dem Institut Gelegenheit ge- geben werde, alles zu leisten, was man bei der anfänglichen Einrichtung desselben bezweckt hatte. Die Angelegenheit harrt noch der gnädigen Entscheidung Sr. Majestät.

Bei dem, leider mehr als er es verdiente, bekannt ge- wordenen Preßfreiheitsprozeß des Pamphletisten CfiusENrsxoLPB im Sommer 1838, wurde ich ohne vorhergehende Anfrage von dem Gericht zum Geschworenen gewählt. Meine nächsten Freunde beschworen mich, auf dieses Amt zu verzichten, weil

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der Ausgang, wie er auch immer sein möge, stets Skandal veranlassen werde. Man malte mir aus, was eintreffen könne und es ist wirklich auch pünktlich eingetroffen und fand es höchst unbillig, daß ein Gelehrter aus seiner friedlichen Ecke hervorgeholt werden solle, um in einen schmutzigen Strudel gezogen zu werden. Die Richtigkeit dieses Urteils empfand ich lebhaft, sah aber die, im übrigen für mich höchst widerliche, Berufung als einen Appell an mein von keiner politischen Partei beeinflußtes Urteil und mein Gerechtigkeits- gefühl an und hätte es verächtlich gefunden, wenn ich, nach- dem ich die guten Gaben des Vaterlandes genossen hatte, mich, als es meinen Beistand bedurfte und begehrte, hätte zurück- ziehen wollen. Wenn man die feste Überzeugung von dem hat, was recht ist und ihr treu bleibt, ist man ohne Menschen- furcht und bekümmert sich nicht um die Folgen. Zahlreiche Zeitungsartikel forderten, mit einer Art von Schamlosigkeit, von mir ein freisprechendes Urteil für den Angeklagten und drohten im entgegengesetzten Fall meinen Namen auf eine für mich wenig ehrenvolle Weise mit dem Ckusenstolpes in Verbindung zu bringen. Ich schenkte dem ebensowenig Auf- merksamkeit, wie der Mahnung meiner Freunde. Der Aus- gang ist bekannt. Was in einheimischen, wie ausländischen Zeitungen von höhnischem Auftreten mir gegenüber. Fenster- einschlagen u. 8. w. berichtet wurde, ist erlogen.

Bei dieser Gelegenheit kann ich eine Bemerkung nicht unterdrücken. Ein Geschworener fängt sein Richteramt mit dem lächerlich strengen Eid an, nie zu offenbaren, was im Schwurgericht gesprochen worden ist, und wie er selbst oder andere geurteilt haben. Nur der gemeinsame Ausspruch: schuldig oder nicht schuldig darf bekannt gemacht werden. Er kann später wegen des Urteils, das er, wie man vermutet, gefällt hat, öffentlich oder privatim verspottet werden. Ohne meineidig zu werden, kann er sich nicht verteidigen, nicht ein- mal die Rechtsgründe darlegen, auf denen seine Ansicht und das Urteil sich stützt, denn auch das Urteil darf er nicht bekannt geben. Dies ist die barbarischste Gesetzgebung, die sich denken läßt. Man wollte mit der Aufstellung des Preß- gesetzes die junge Preßfreiheit gegen den Machtspruch der

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Kegierung schützen. Doch bei der Unerfahrenbeit über die Folgen der Zügellosigkeit der Presse, welche den allgemeinen bürgerlichen Wohlstand im Staat, sowie die Achtung vor denen, welche für die Regierung verantwortlich sind, zu vernichten droht, ohne welche Ordnung und Regierung unmöglich sind, vergaß man. daß auch das Gesetz und dessen Vollstrecker Schutz gegen diese arge Zügellosigkeit bedürfen und säete in kindlicher Unschuld den Keim zur Auflösung des Staatskörpers, der jetzt begonnen hat zu wachsen und sein Keimblatt hervorzutreiben. In den unruhigen Tagen nach der Entscheidung der Schwurgerichtsangelegenheit langten der Kaiser von Rußland und Großfürst Alexander in Stockholm au. Der Großfürst besuchte in Gesellschaft S. K. H. des Kronprinzen das in dem Haus der Akademie der Wissenschaften aufgestellte natur- wissenschaftliche Reichsmuseum und äußerte dabei den W^unsch, in mein Laboratorium geführt zu werden, besonders weil sein Lehrer der Chemie. Hess, einer meiner Schüler war."^) Meine Arbeitszimmer waren auf den ebenso unvermuteten, wie ehren- vollen Besuch von zwei Thronfolgern auf einmal, gänzlich unvorbereitet. S. M. der Kaiser hatte mir vor einigen Jahren die zweite Klasse des polnischen St. Stanislausonlens für eine Untersuchung, die sein Finauzminister, Graf Canekin über die sibirischen Platinerze von mir zu haben wünschte, verheben. Bei dem Feste das den kaiserlichen Gästen auf dem Schlosse gegeben wurde, fand ich Gelegenheit, dem Kaiser für diese Aus- zeichnung meinen Dank abzustatten. Dabei zeigte es sich, daß er Kenntnis von meiner Arbeit genommen hatte; er äußerte, obgleich die Chemie noch keinen besonders großen Fortschritt in Rußland gemacht habe, hoflfe er doch, daß es nicht mehr .? dauern solle, bis die Vorbereitungen, die er für einen clleren Fortschritt in die Wege geleitet habe, gute Früchte tragen würden. Der Großfürst geruhte bei seiner Abreise durch den russischen Gesandten Potocki mir einen kostbaren Dia- mantenring mit seinem Namenszug zustellen zu lassen, und dem Kaiser beliebte es, bei seiner Rückkehr nach St. Peters- burg, mir die erste Klasse des Stanislausordens zu verleihen. Im nämlichen Jahre erzeigte mir auch die Schwedische Akademie die Ehre, für die wissenschaftlichen Schriften,

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die ich in der Muttersprache verfaßt hatte, ihre große goldene Medaille zuzuerkennen. Der Sekretär der Akademie VON Beskow teilte mir zugleich in freundschaftlichem Vertrauen privatim mit, daß die Akademie beabsichtige, an die durch Erzbischof von Rosensteins (Tod) erledigte Stelle, micli zum Mitglied zu wählen. Die nähere Freundschaft zwischen VON Beskows und mir erlaubte, daß ich ihm die Gründe aus- einandersetzen konnte, die mich in einem solchen Falle ab- halten würden, die schmeichelhafte Berufung anzunehmen. Schon das eine war genügend: der Mangel an aller redne- rischen Begabung und die vollkommenste Unfähigkeit zu jeg- licher Schönrednerei. Die Akademie, welche ihre Wahl noch einige Zeit hinausschob, ließ mir durch von Beskow sagen, daß ich ihre Meinung unrichtig auffasse, wenn ich glaube, daß sie in mir einen Schönredner gewinnen wolle. Die Akademie hatte Veranlassung gefunden, meine Behandlung der schwe- dischen Sprache in meinen wissenschaftlichen Scbriften zu billigen und es war als Repräsentant des Sprachgebrauches für diesen Zweck, daß sie mich als Mitglied aufzunehmen wünschte. Der Beifall der Akademie in dieser Hinsicht war mir eine zu große Befriedigung, als daß ich versucht hätte, diese beabsichtigte Auszeichnung noch länger von der Hand zu weisen. Ich trat am 20. Dezember 1839, am Festtag der Akademie, in dieselbe ein, mit einer kurzen Rede, die spär- liche biographische Mitteilungen über meinen Vorgänger, Erz- bischof VON Rosenstein, enthielt.

Im September 1839 geruhte S. M. der König gnädigst, die Präsidentenstelle im königl. Bergkollegium, welche einige Zeit nach Staatsrat Baron von Noedins^^^) Rücktritt unbesetzt ge- blieben war, mir anzubieten. S. M. beabsichtigte, durch den Zuschuß des Präsidentengehaltes zu meinen übrigen Ein- künften mir eine besonders vorteilhafte ökonomische Lage zu verschaffen.

Die das Hüttenwesen betreffenden Gesetze waren mir durchaus unbekannt, und ich sah ein, daß man mit 60 Jahren in einem ganz ungewohnten Fache neue Studien zu treiben nicht imstande ist. Dagegen lioffte ich, auf dem Wege, für den ich mich mein ganzes Leben hindurch vorbereitet hatte.

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noch einiges leisten zu können, was sonst unmöglich schien. So bedurfte es denn keines Augenblicks der Überlegung, für das gnädige Vertrauen zu danken. S. M. geruhte aber ernstlich an ihrem Vorhaben festzuhalten. Ich bewies jedoch, daß ich den Vorteil, den S. M. mir dabei zugedacht hatte, nicht gewinnen würde, weil meine jetzigen Einkünfte und Honorare beinahe ebenso hoch wie das Präsidentengehalt seien, und dabei derart, daß ich sie neben demselben nicht beibehalten könne. Zudem sei bekannt, das dieses Gehalt die Kosten der Repräsentation, die ein Präsident des Reichskollegiums erfüllen müsse, und zu der mir sowohl Lust als Gewandtheit fehlten, nicht einmal deckte. Daraufhin geruhte S. M. meine Absage anzunehmen und zu finden, daß sie sich auf stichhaltige Gründe stütze.

Im Jahre 1839 war in den Zeitungen ein Aufruf erschienen, des Inhalts, daß die Naturforscher aus Schweden, Norwegen und Dänemark im Monat Juli in Göteborg zusammenkommen sollten, um die Stiftung einer jährlichen Versammlung un- gefähr in derselben Art. wie es die deutschen und englischen seien, zu vereinbaren. Ich wohnte dieser Zusammenkunft nicht bei, da ich durch eine gelegentliche Unpäßlichkeit daran ver- hindert wurde, hielt aber die Einrichtung solcher jährlich wiederkehrenden .Versammlungen der skandinavischen Natur- forscher für mehr wohlgemeint, als wohlüberlegt, und glaubte mehreren von denen, welche der Zusammenkunft beiwohnten,, meine Ansicht unterbreiten zu müssen.

Der Nutzen dieser Versammlungen liegt nicht in den wissenschaftlichen Mitteilungen, diese werden im Verlauf des ganzen Jahres und zwar viel gründlicher durch die zahlreichen wissenschaftlichen Journale gebracht; er besteht vielmehr hauptsächlich in den persönlichen Bekanntschaften, welche die Gelehrten untereinander machen, und dieser Nutzen ist äußerst wichtig. Bei einer so beschränkten Anzahl von Ge- lehrten aber, wie sie in den skandinavischen Staaten vor- handen ist, wird dieser Vorteil durch eine oder die andere Ver- sammlung für Dezennien erreicht, und filllt daher dieser Grund zu Teilnahme an regelmäßigen Versammlungen fort. Die ökonomische Lage der schwedischen Gelehrten ist zudem im allgemeinen eine derartige, daß sie keine Überschüsse für

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weite Eeiseii zurückzulegen vermögen; sie können sich viel- mehr glücklich schätzen, wenn sie das tägliche Brot im Hause haben. Die deutschen Versamrahmgen, von denen wir uns dadurch absondern würden, bieten dagegen den Vorteil, eine viel größere Zahl von Bekanntschaften, in jeder besonderen Disziplin, zu ermöglichen. Wenn man sich Gelegenheit ver- schaffen kann, einer einzigen deutschen Versammlung beizu- wohnen, so bringt das größeren Nutzen als zehn skandinavische Versammlungen. Ich kann mich in dieser Hinsicht geirrt haben und wünsche, daß es der Fall sein möge; die Zeit wird es lehren. Man beschloß bei der Zusammenkunft in Göteborg, die Versammlungen ein über das andere Jahr zu halten, und am 13. Juli 1840 sollte der Anfang damit in Kopenhagen ge- macht werden.

Ich fand, daß meine Stellung unerläßlich verlangte, daß ich bei dieser Versammlung zugegen sei und forderte die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften , die sich recht eigentlich mit (Natur-) Wissenschaften beschäftigten, auf, auch mit daran teilzunehmen. Die Reichsstände hatten der Akademie der Wissenschaften eine Summe von 3000 Rtlr. banko zur Disposition gestellt, um die Kosten dieser Ver- sammlungen zu bestreiten; doch hatte dies S. M. noch nicht zur Bestätigung unterstellt werden können. Aus diesem Grunde gab ich es S. M. anheim, daß aus diesen Mitteln die Aus- zahlung eines Vorschusses von 1000 Rtlr. gnädigst bewilligt werden möge, um sie als Reiseunterstützung für solche Ge- lehrte, die sonst keine Gelegenheit gehabt hätten, der Ver- sammlung beizuwohnen, zu verwenden, und daß die Akademie der Wissenschaften und die beiden Universitäten über ihren Anteil daran disponieren sollten. S. M. geruhte dies zu ge- nehmigen.

Infolge davon, daß die Stände Versammlung in Dänemark auf den 13. Juli berufen worden war, setzte man die Ver- sammlung in Kopenhagen auf den dritten desselben Monats fest. Mein langjähriger Freund, jetzt Konferenzrat Öksted, den man zum Präsidenten der Versammlung gewählt hatte, benachrichtigte mich brieflich, daß S. M. der König von Dänemark ihm den Befehl erteilt habe, bekannt zu machen,

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daß S. M. es mit Vergnügeo sehen werde, wenn einige schwedische Naturforscher bei dem, am 28. Juni stattfindenden Krönungsfest, zugegen sein wollten; und daß in Fredriksborg, wo die Krönung nach altem Brauch vor sich gehen werde, Anstalten zu ihrem Empfang getroflFen seien. Dieser Einladung glaubte ich nachkommen zu sollen und teilte sie außerdem mehreren Gelehrten mit. Ich begab mich in Gesellschaft von Baron Fab. Wrede, Leibmedikus M. Retzius und Dr. Planta- MOüB, der eine Zeitlang in meinem Laboratorium gearbeitet hatte, auf die Reise. Wir benutzten ein Dampfschiff nach Jön- koping und kamen deshalb einige Tage früher als eigentlich nötig war, in Helsingborg an. Diese Zeit verwendeten wir auf einen Besuch in Land, wo wir Gelegenheit fanden, Professor NiLssoNS Sammlungen altnordischer Steingeräte, welche er seiner wichtigen Arbeit über Skandinaviens Ureinwohner zu Grunde gelegt hatte, zu betrachten. Die Universität ehrte uns mit einem Mittagsmahl im Stadthause, wo heitere Freund- schaft ohne lästige Formen und lange Reden präsidierte. Öhsted hatte in Helsingör nicht nur für unser Logis, sondern auch für Pferde und Fuhrwerk gesorgt, die sonst bei dem jetzigen Andrang schwer zu haben gewesen wären. Im Markt- flecken Hilleröd, neben dem das Fredriksborger Schloß liegt, hatte er auch Logis für uns beschafft, das wir nicht zu be- zahlen brauchten. Wir nahmen an dem schönen, fröhlichen Krönungsfest teil und wurden einmal zu der königlichen Tafel geladen. Bei der in Kopenhagen stattfindenden Galavor- stellung im Theater ließ S. M. uns in Gesellschaft einiger anderer fremden Gelehrten, die ebenfalls der Krönung beige- wohnt hatten, eine Loge anweisen. Außerdem wurden wir zu einem Ball in Sorgenfrei eingeladen, wo unser Gesandter, Baron Lagebheim, uns S. M. dem König und der königlichen Familie vorstellte.

Die Versammlung war über alle meine Erwartung reich an interessanten wissenschaftlichen Dingen und der Verkehr im Kreis der Gelehrten offen, vertraulich und heiter. S. M. der König ließ mich vor der Abreise rufen und geruhte, mir dabei mit gnädigen Worten die Kommandeurdekoration des Danebrogordens, als Andenken an ihn, zu verleihen.

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Die nächste Versammlung sollte in Stockholm im Juli 1842 stattfinden, und wühlte man mich zum Präsidenten.

Unsere Heimreise führte über Malmö, wo ich mich einen Tag bei etlichen Verwandten und Freunden aufhielt, und Ärup, wo ich einen Tag bei Sr. Exz. dem Grafen Teolle- Wacht- meister zubrachte. In Smäland wurde die Klefva-Grube im Kirchspiel Alsheda besucht, merkwürdig durch ein dort vor- kommendes Nickelerz, für dessen Ausbeutung ich einige Zeit zuvor den Besitzer, meinen Jugendfreund, Bergrat J. L. Aschan^ interessiert hatte. Auf dieser Reise hatte ich Dr, Plantamodb zum Begleiter.

Im Verlauf des Reichstags 1840 41, an dessen Verhand- lungen ich nicht als B.eichstagsabgeordneter teilnahm, hatte ein Mitglied von Adel und Ritterschaft,*) Baron W. Teus- MEDEN (Vorsitzender der Bevollmächtigten bei der Hütten- gesellschaft), den Antrag gestellt, daß mir eine jährliche Pension von 2000 Rtlr. ausgezahlt werden solle. Er wurde vom Staatsausschuß unterstützt, ungeachtet zahlreicher Pro- teste von Mitgliedern aus dem Bürgerstand und fast allen Ausschußmitgliedern des Bauernstandes, vermutlich weil der Anteil, den ich am Ausgang des CRüSENSTOLPEschen Preß- freiheitsprozesses genommen haben sollte, als ein Beweis be- trachtet wurde, daß ich mich der Volksgunst unwert gemacht hatte. Die Pension wurde trotzdem von den drei Ständen bewilligt, und ich bin vom Jahre 1841 an in ihren Besitz gekommen, mit einem Gefühl von innerlicher Dankbarkeit für alle Gunstbezeugungen, welche mir mein verehrter König und mein geliebtes Vaterland gewährt haben.

*) „Adel und Ritterschaft," stereotyper Ausdruck für den „ei-steik Stand" der damaligen schwedischen Volksvertretung.

Anmerkungen des Herausgebers Prof. Dr. H. G. Söderbaum.

1) Der hier erwähnte Propst Bagge, früher Pfarrer in Ske in Bohnslän, war wfihrend Karls XII. Krieg im Jahre 1711 von Dänen ab- gefaßt, gefangen genommen und nach der Festung in Friedrichshall ge- bracht worden; als Grund dafür wurde u. a. angegeben, daß er sich weigere, dem dänischen Gebetsformular bei dem Gottesdienst zu folgen. Siehe Hähl, Biographisches Werk über Geistliche des Linköpinger Stifts. III. 240.

2) Mit Elisabet Kristina Riselius ans Österäker.

3) Als Ekmarcks Sohn aus zweiter Ehe wird Anders Fredrik genannt; er wurde später Arzt und starb in jungen Jahren. (1808.)

4) Der vollständige Titel des Buches lautet: „Serta Florea Svecana oder Der Schwedische Pflanzenkranz, Gott dem Allerhöchsten zur Ehre; dem Naturliebhaber zur Freude und Annehmlichkeit, der studierenden Jugend in StrSgnäs zu einer kleinen Mahnung und Unterweisung . . . Aus verschiedenen .Büchern zusammengeflochten durch Johan Palm- berg, Lektor der Med. und Phys. in SträgnSs.

5) Christian Sturm, Betrachtungen über die Natur, Übersetzung von G. Regner, 1, 2. 1782—83.

6) Das fragliche Abgangszeugnis existiert noch und wird auf der Universitäts-Bibliothek in Upsala aufbewahrt Der damaligen Sitte ge- mäß ist es auf Lateinisch abgefaßt, und die von Berzelius bezweckten verkleinernden Ausdrücke lauten in der Ursprache so: non poenitendae spei juvenis . . . moribus non omnino improbandis, ingenio felici, diligentia haud satis assidua.

7) Das Einschreiben in der medizinischen Fakultät geschah am 15. März 1797. Protokoll der medizinischen Fakultät in Upsala 1797.

8) Das medizinisch - philosophische Examen wurde im Dezember 1798, laut dem Protokoll der philosophischen Fakultät für das genannte Jahr^ von Berzelius abgelegt

9) Professor der Physik an der Universität Upeala war in dieser Zeit Zacharias Nordmark, geb. 1751, geat 1828.

10) Symmer hatte in seinen New experiments and observations conceming electridty (Philos. Transact. 1759, S. 340) den Grund zu der dualistischen Elektrizitätstheorie gelegt. Ekmarcks erwähnter Aufsatz Kahlbanm, Monographie«ii. VII. 8

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steht in den Verhandlungen der K. Akademie der Wissenschaften 1800, 139—148.

11) Grirtanners, von Berzelius erwähnte, Arbeit war das erste antiphlogistische Lehrbuch, das in Deutschland herauskam. Die erste Auflage trägt das Druckjahr 1792; eine spätere wurde 1795 heraus- gegeben.

12) Von Interesse ist in diesem Zusammenhang eine Mitteilung von N.J.Berlin, daß Berzelius' Lehrer, Johan Afzelius, „wenig Neigung" für die antiphlogistische Chemie und ,, Mißtrauen gegen die vielen neuen Entdeckungen" hegte. Siehe Lebenbeschreibungen der nach dem Jahre 1854 verstorbenen Mitglieder der K. Schwed. Akademie der Wissenschaften, I, 474.

13) Hiermit ist CG. Hagens Lehrbuch der Apotherkunst, das in acht Auflagen herauskam, die erste 1778, die letzte 1829, gemeint.

14) Colcothar vitrioli = das aus unreinem Eisenoxyd bestehende Präparat, welches man bei Erhitzung des Eisensulfats erhält.

15) Societas litteraria Sueciae: ältere Benennung der Societät der Wissenschaften in Upsala. Hofapotheker F. Ziervogel und Bergdirektor J. A. Gyllenhaal hatten 1783 dieser Societät mehr als 4000 ßeichs- taler specie, sowie ihre Sammlungen von Büchern und Naturgegenständen geschenkt.

16) Per von Afzelius, jüngerer Bruder des Chemikers Johan Afzelius, wurde 1801 zum Professor der theoretischen und praktischen Medizin an der Universität Upsala ernannt.

17) Hinsichtlich Bergmans Analyse des Medeviwassers siehe „Mitteilungen über den Medevisauerbrunnen," Verhandlungen der K. Aka- demie der Wissenschaften 1782, 288, sowie Torberni Bergman Opus- cula I, 245.

18) Die Disputation wurde am 6. Dez. 1800 im Auditorium minus abgehalten. Der Titel der Abhandlung lautet: Nova analysis Aquarum Medeviensium, Dissertatio Academica. Upsaliae MDCCC. (15 S.)

19) Universitätskanzler war um diese Zeit Reichsmarschall Graf Axel von Fersen.

20) Das medizinische Kandidatenexamen wurde von Berzelius am 20. Mai 1801 abgelegt; (Protokoll der medizinischen Fakultät in Upsala für das nämliche Jahr).

21) Salpeteräther = Etylnitrit. Was Berzelius Blacks Methode nennt, bestand darin, daß man in einem hohen Gefäß Salpetersäure, Wasser und Alkohol vorsichtig aufeinander goß.

22) Diese Stelle steht indes nicht in der Abhandlung über Salpeter- äther, aber wohl in einer späteren „Untersuchung des Adolfsberger Brunnens", die gleichfalls von Sjöst^n zurückgewiesen ist Berzelius hat im Manuskript diese Verwechslung berichtigt.

23) Das medizinische Licentiatenexamen wurde am 11. Dez. 1801 abgelegt. (Protokoll der medizinischen Fakultät in Upsala für dieses Jahr.)

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24) De Electricitatis Galvanicae apparatu cel. Volta eicitae in Corpora organica eflPectu . . . pro gradu medico examini defert Jacobus Berzelius stipendiariua Strandbcrgianus Ostrogothus . . . d. I. Maji MDCCCII. (US.)

25) Hedin war 1792—1810 Bezirksarzt in Lofön, EkerS und Svarts- jo landet

26) Unter dem Titel: Versuche über die Wirkung der elektrischen Säule auf Salze und auf einige von ihren Basen, von W. Hisinger und J. Berzeliua. Drei Jahre später kam diese Untersuchung auf schwedisch in den Abhandlungen aus der Physik, Chemie und Mineralogie heraus I, 1—38 (1806) und wurde schließlich 1807 in Gilberts Annalen 27, 270 zum dritten Male gedruckt.

27) Dies bezieht sich wahrscheinlich auf Davys Schrift: On some chemical agencies of electricity (Philos. Transact. 1807, S. 1), welche die Arbeit enthält, für die das Institut de France im Jahr 1807 ihm den großen, von Napoleon I. gestifteten Voltapreis verlieh.

28) Berzelius meint hiermit vermutlich den Versuch, welcher in seiner und Hisingers Abhandlung mit Nr. 26 bezeichnet ist; diesen citiert nämlich Davy an der oben (s. Anmk. 27) angeführten Stelle, Seite 20.

29) Werner hatte schon 1799 eine Mineralwasserfabrik in Stockholm errichtet und öfinete später im Sommer seinen in der Nordlichen Klara Kirchenstraße gelegenen Garten mit einem großen Saal dem Publikum zur Brunnenkur an Ort und Stelle. Das Unternehmen hörte Ende des Jahres 1806 aus Mangel an Unterstützung auf. Siehe Sackl^n, Schwedens Arzthistoria I, 259 (1822).

30) Abhandlung über den Nutzen künstlicher Mineralwasser. Stock- holm 1803.

31) Gustaf IV. Adolfs hier angeführte deutsche Eeise fiel in die Jahre 1803 und 1805, die Heimkehr fand am 7. Februar des letzterwähnten Jahres statt.

32) „Medizinisches Armenamt für den östlichen Teil von Norrmalm" (Protokoll des Kollegium Medicum für den 17. Juni 1805).

33) Vergl. Bergman, Verhandlungen der K, Akad. der Wias. 1784, 121.

34) Klaproths Abhandlung befindet sich in: Neues allgem. Joum. d. Chemie II, 303—316(1804) unter dem Titel: Chemische Untersuchung des Ochrolts; Berzelius und Hisingers Arbeit: Cerinm, ein neues Metall aus einer schwedischen Steinart u. s. w. in derselben Zeitschrift II, 397—418 (1804).

35) Vauquelin sagt hier u.a.: La d^licatesse bien connue de H. Klaproth et la haute rdputation qu'il s'est justement acquise par ses nombreuses et importantes d^couvertes, rendent tr^-invraisemblable l'idee qu'il ait voulu s'attribuer la ddcouverte d'autrui. Annales de -Chimie T. 54, 29 (an XIII).

36) Siehe chemische Untersuchung des Cererits, Klaproths Bei« iräge zur chemischen Kenntnis der MineralkSrper IV, 140 (1807).

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37) Diese jetzt sehr seltene Schrift trägt den Titel: Cerium, ei» neues Metall, gefunden in dem Bastnäs Schwerspath . . . von W. Hisinger und J. J. Berzelius. Stockholm 1804.

88) Landriani schrieb u. a. Memorie intomo una sorgenti dalla quäle scaturisce una grande quantitä di gaz azote (Giornale di fisica, Dec. I. T. IX). Diese Abhandlung, die posthum ist, kam allerdings erst 1816 heraus; aber wahrscheinlich war ihr Resultat schon vorher au anderer Stelle im Auszug veröffentlicht worden.

39) Zeitschrift für Ärzte und Naturforscher, oder wie sie ursprüng- lich hieß: Wochenschrift für Ärzte und Naturforscher, ist in den Jahren 1782 1807 herausgekommen. Die drei letzten Bände wurden 1804, 1805 und 1807 von Lektor A. J. Segerstedt auf die Aufforderung des CoUegium medicum veröffentlicht. Siehe Robert Tigerstedt, Schweden» Literatur medizinischer Zeitschriften, Hygiea 62, 180 (1900).

40) Die fraglichen Abhandlungen: Untersuchung des Adolfsberger Brunnenwassers und Untersuchung des Porla-Quellwassers sind in den' Abhandlungen aus der Physik, Chemie u. s. w. I, 124 145 und 145 155 aufgenommen worden. Die Stelle, welche Sj Osten als so verletzend be- trachtete, daß sie gestrichen werden müsse, hat folgenden Wortlaut: ,.Nach Bergman erhält man ungefähr KubikzoU Kohlensäuregas von jedem Gran von kohlensaurem Kalk, welches 9,8 KubikzoU Kohlensäure entspricht. Diese übersteigt bei weitem das Quantum, das beim ersten. Versuche erhalten wurde." Ebendaselbst S. 131.

41) Dieses Berzelius'sche Laboratorium hatte seinen Platz in einem,, an der damals noch vorhandenen Ringmauer um die Riddarholmer Kirche gelegenen, Hause. (Pontin, Biographie J. J. Berzelius'. Verhandlunge» der K. Akademie der Wissenschaften 1848, 213).

42) Die analytischen Arbeiten, auf welche hier Bezug genommen ist, sind veröffentlicht: Roses in Gehlens': Neues allgem. Joum. d. Chemie VI, 22. (1806) und Buchholz' in Scherers allgem. Joum. d. Chemie 10, 396 (1803). Es ist von Interesse, darauf zu achten, wie Wenzels Name in diesem Zusammenhang mit völligem Schweigen über- gangen wird. Vergl. H. G. Söderbaum, Berzelius' Werden und AVachsen S. 138 ff.

43) Diese Untersuchungen sind beide in Gehlens' Journal für die Chemie und Physik III (1807) veröffentlicht: Roses Analyse des Barium- sulfats S. 322 und Buchholz' Analyse des Chlornatriums und Chlorsilbers S. 328.

44) Davys obenerwähnte Gegenschrift (die im Original in der Bibliothek der K. Akademie der Wissenschaften aufbewahrt wird) ist London, den 10. Juli 1808, datiert.

45) Die Abhandlung von Wollaston, auf die Bezug genommen wird: On superacid and subacid salts steht in Philos. Transact. 1808, 96—102. Mit „Daltons neuveröffentlichtem Grundzug zur Lehre der Atome der Elemente" ist auf: A new System of Chemical Philosophy Vol. I. pt. L 1808 Bezug genommen, oder vielleicht auf den Auszug der^

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Atomtheorie, der ein Jahr zuvor in Thomsons Systfim of Chemistry 1807 veröftentlicht wurde.

46) „Lektüre über verschiedene Themata" wurde in den Jahren 1797 1801 von Adlersparre unter Mitwirkung von Leopold u. a. herausgegeben.

47) Berzelius' Angabe in Bezug auf die Zeit der Herausgabe der Ökonomischen Annalen der Akademie der Wissenschaften ist insofern nicht ganz genau, als diese Zeitschrift in der Tat 1807 und 1808 er- schienen ist.

48) Das Epitheton „Karolinische" kam doch erst 1817 hinzu.

49) Zuerst durch die Statuten vom 26. April 1861, wo das Institut das Recht erhielt, das medizinische Licentiatenexamen vorzunehmen, •wurde dieser Umstand geändert.

50) Ein Dukaten = 3.4812 g Gold.

51) Die drei Professoren aus Lund, welche die Sektion vornahmen, waren J. H. Engelhardt, K. F. Liljewalch und A. H. Florman.

52) Im Manuskript steht durch Fehlschreibung Jidi, Wahrscheinlich muß in der vorhergehenden Angabe über die Zeit der Zurückkunft nach Stockholm auch Juli in Juni berichtigt werden; letzteres stimmt mit Pontins Aussage auch besser überein, daß die beiden Reisekameraden «uf dem Heimweg von Schonen am 25. Juni nach Linköping gelangten, wo sie von den „Unruhen in Stockholm" in Kenntnis gesetzt wurden. Pontin, Gesammelte Schriften I, 38.

53) Wahrscheinlich Anders Fredrik Skjöldebrand, der am 20. Juni 1810 fam nämlichen Tag, wo die Ermordung Fersens stattfand) zum Oberstafthalter verordnet wurde und in dieser Eigenschaft bis 1812 blieb. Der frühere. Oberstatthalter V. M. Klingspor erhielt indessen erst im Herbst 1810 seinen definitiven Abschied.

54) J. Svanberg bekleidete das Amt eines Sekretärs während der Jahre 1809—1311.

55) Mrs. Jane Apreece geb. Kerr.

56) Royal Institution of Great Britain, gelehrte Gesellschaft, von Rumford 1799/1800 gestiftet, mit der Aufgabe, durch Untersuchungen und Vorlesungen die Naturwissenschaften (vornehmlich Chemie, Physik nnd Physiologie) zu fördern.

57) Dies bezieht sich mithin auf die Nitrosylschwefelsäure oder die für gewöhnlich sogen. Bleikammei-krystalle.

58) Dieses Argument hatte Berzelius kurz vorher in dem «weiten Teil seines Lehrbuchs der Chemie, S, 611—612 (1812) näher entwickelt.

59) Tennants hatte im Jahre 1784 eine schwedische Reise ge- macht und hatte auf derselben u. a. Scheele kennen gelernt.

60) Ort südöstlich von London, in der Nähe von Greenwich.

61) Unter dem Titel: Experiments on the alkohol of Sulphur, wurde diese Untersuchung im folgendem Jahre in Philosoph. Transact. ver- öffentlicht, 1813, S. 171.

118

62) Marcet war in dieser Zeit Professor der Chemie an Guy» Hospital in London.

63) Diese Angabe steht ganz richtig in den Elements of Chemical Philosophy S. 235 und 236. In Bezug auf die Krystallform des Diamanten steht S. 311: „the diamond . . . is usually crystallized, often in the form of a six-sided prism terminated by a six-sided pyramid.*'

64) Über die sehr eigentümlichen Umstände, unter denen Wollas- tons Entdeckung des Palladiums (1803) zuerst veröffentlicht wurde und die wenig schmeichelhafte Rolle, welche Chenerix dabei spielte, siehe Kopp, Geschichte der Chemie IV, 227.

65) Eigentlich „errichtet" wurde die landwirtschaftliche Akademie schon 1811 durch eine königl. Verordnung vom 28. Dezember desselben Jahres. Berzelius bezog sich vermutlich hier auf die Statuten^ welche am 3. Dezember 1812 für die Akademie ausgefertigt wurden, wonach diese schließlich am 28. Januar 1813 „installiert" wurde.

66) Davy war einige Zeit, 1798 und später, andern, vonBeddoes in Clifton bei Bristol errichteten Pneumatischen Institut, eine Kuranstalt zur Heilung für Schwindsüchtige und andere Krankheiten durch Ein- atmung von Gasen, Chemiker gewesen. Vergl. Poggendorff, Biogr.- literar. Handwörterbuch I, 130, 528.

67) Diese Antwort, welche in der Bibliothek der K. Akademie der Wissenschaften autbewahrt wird, ist datiert: Dunrobin Castle (im nörd- lichen Schottland), den 4. August 1813.

68) Der eigentliche Titel der Zeitschrift lautet: The Journal of Science and the Arts, edited at the Royal Institution of Great Britain.

69) WoUastonit, nach Berzelius' Formel CaO-SiOj.

70) Versuch, durch Anwendung der elektrochemischen Theorie, sowie der Lehre über die chemischen Proportionen den Grund zu einem rein wissenschaftlichen System der Mineralogie zu legen. Stockholm 1814.

71) In Wirklichkeit starb Gähn schon Ende 1818 (den 8. Dez.)

72) Klaproth starb am 1. Januar 1817.

73) Ein Reichstaler Hamburger banko = 47 skill. 5 runstycken banko. Die kleinste Kupfermünze, ungefähr '/s Pfennig.

74) von Humboldt hielt sich nach der Heimkehr von seiner großen amerikanischen Reise (1799 1804) längere Zeit in Paris auf, bis er 1827 nach Berlin übersiedelte.

75) Thenards Entdeckung des Wasserstoffsuperoxyds fiel gerade in das Jahr 1818.

76) Schon 1816 hatte Chevreul angefangen, seine grundlegenden Untersuchungen über die Fette zu publizieren. (Ann. Chim. Phys. II).

77) Berzelius war im Jahre 1816 zum korrespondierenden Mit- glied des Institut de France gewühlt. Associö ötranger wurde er 1822. Vergl. S. 168, 169.

78) Essai sur la cause des proportions chiiniques, et sur l'influence chimique de l'Electricit^. Paris 1819.

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79) Die Arbeit kam unter dem Titel: Noaveaa Systeme de Mi- neralogie heraus. Paris 1819.

80) Die fragliche Untersuchung wurde in: Ann. Chim. Phys. XII 12—37 (1819) veröffentlicht.

81) Die Abhandlung über die Anwendung des Ldtrohrs in der Chemie und Mineralogie kam schon im folgenden Jahre 1820 heraus.

82) Berggegend im Departement Ard^he, westlich von der Rhone.

83) Vater des Physikers Aug. Arthur de la Rive.

84) Montanvert (auch Montenvers), ein 1910 m über dem Meere gelegener Aussichtspunkt auf das östliche Ende des Chamouniz-Tales mit großartigem Überblick über das Mer de glace.

85) Bex, Badeort im Kanton Vaud im Rhonetal zwischen Martigny und Villeneuve. Die Salinen liegen eine Stunde Wegs nordöstlich von der Stadt.

86( Jüngerer Bruder des durch seine Übersetzung von Sven Rin- mans Bergwerkslexikon aus Schweden bekannten Toussaint Char- pentier.

8") Blöde hat außer Berzelius' Lehre über die bestimmten Proportionen und dem Lehrbuch der Chemie (I) auch Hisingers schwedische Mineralgeographie übersetzt.

88) Blumhof hat aus dem Schwedischen ins Deutsche mehrere tech- nische Arbeiten von Rinman, Swedenstjerna, AfUhru. a. übersetzt.

89) Swartz starb am 19. September 1818.

90) Auf der Großen Xeugasse. Nr. 30.

91) Im Dezember 1819.

92) Das Resultat dieser Analysen ist in der Abhandlung: Analyse der Mineralwasser, von Karlsbad, Teplitz und Königswart in Böhmen, niedergelegt. Verhandlungen der K. Akademie der Wissenschaften. 1822.

93) Mitscherlich wurde 1822, im Jahre nach seiner Heimkehr von Stockholm zum außerordentlichen Professor an der Universität Berlin ernannt

94) Ekmarck starb am 17. September 1822.

95) Siehe Da vys Abhandlung hierüber: On the corrosion of copper- sheetLug by sea-water, and ou methods of preventing this effect. Philos. Transact. 1824, 1825.

96) Davy starb am 29. Mai 1829 in Grenf.

97) Döbereiners Erfindung, auf welche Bezug genommen wird, das später nach ihm benannte Feuerzeug, wurde 1823 unter dem Titel: Neu entdeckte merkwürdige Eigenschaft des Platinmoors bekannt gemacht. Schweiggers Journal 37 und 39.

98) Soemmering lebte in dieser Zeit (nach 1820) als prakt. Arzt in Frankfurt a. M.

99) Nonnenwerth, Insel im Rhein, gerade gegenüber Honnef, mit einem im Jahre 1802 aufgehobenen Nonnenkloster.

100) Seraing, Stadt an der Maas, mit großartigen £jsenwerken und Maschinenwerkatätten , 1817 von den Brüdern Cockerill gegründet

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101) Das Teylersche Museum: ein von dem reichen Holländer Pieter Teyler van der Hülst (geb. 1702 gest. 1778) gegründetes Institut, bestehend aus Bibliothek, Mineraliensammlung, physikalischem Kabinet, Gemäldegallerie u. s. w. In Betreff „der berühmten elektrischen Maschine" siehe van Marum: Description d'une tres-grande machine 61ectrique, placee dans le museum de Teyler ä Haarlem, etc. (1785). van Marum war seit 1784 Vorstand der physikalischen und natur- wissenschaftlichen Abteilung dieses Museums.

102) Pontin, Aufzeichnungen über Natur, Kunst und Wissen- schaft u. s. w. Stockholm 1831.

103) Von der Ernennung zum Adjunkten der Medizin und Pharmazie 1802 an gerechnet. Entlassung begehrt und bewilligt 1832.

104) Diese Ernennung hatte nach Berzelius' eigenhändiger Auf- zeichnung schon am 1. Mai 1830 stattgefunden. Vergl. S. 167.

105) Der damals fünfundzwanzigjährige Ferdinand, Herzog von Orleans.

106) Diese Büste gehört nunmehr dem Karolinischen Institut in Stockholm an.

107) Stromeyer starb am 18. August 1835.

108) H. C. Schumacher, Professor an der Universität Kopenhagen, wohnte in dieser Zeit in Altona, wo er einem astronomischen Observatorium vorstand.

109) Präsident Poppius war mit Anna Gustava Hochschild vermählt, geb. 1789, gest. 1849.

110) Christian Fredrik, später König Christian VIII. Er trat als petrographischer Autor mit einer Abhandlung über Vesuvlava auf (1825).

111) Berzelius' Wohnung war in der Königinstraße im oberen Stock des Hauses der Akademie der Wissenschaften in den Zimmern gelegen, die gegenwärtig den entomologischen und zum kleineren Teil den botanischen Abteilungen des Reichsmuseums eingeräumt sind. Das Laboratorium lag südlich vom großen Torweg, die dazu gehörigen Zimmer machen einen Teil der Amtswohnung des jetzigen Sekretärs aus.

112) Af Nordin legte 1839 sein Präsidentenamt im Bergkollegium nieder.

AMEDEO AVOGADRO

UND DIE MOLEKULARTHEOEIE.

VON

ICILIO GUARESCHI.

DEUTSCH VON

Dr. OTTO MERCKENS.

Inhalt.

Vorbemerkung 125

Einleitung: Über die Geschichtsachreibung in der Chemie .... 127

Avogadro 137

Biographische und bibliographische Angaben Geburtsschein . . 137

Über seine erste Denkschrift aus dem Jahre 1811 142

Gerhardt 143

Avogadro in Vergessenheit Seine Hypothese findet kein Ver- ständnis 148

Über die Ursachen von Avogadros Nichtschätzung 150

H. Kopp und andere Geschichtsschreiber 154

Berzelius und Avogadro 158

Über den Einfluß Cannizzaros 163

Die VeröfiFentlichungen Heinrich Debus' (1894—96) 165

Sonstige Arbeiten Avogadros 172

Auszug aus der zweiten Denkschrift vom Jahre 1814 172

Auszug aus der dritten Denkschrift vom Jahre 1821 174

Avogadros Formeln für die Borsäure und die Siliciumverbin-

dungen 179

Über seine vierte Denkschrift aus dem Jahre 1821 184

Formeln des Alkohols, Äthers u. s. w 187

Über weitere Arbeiten Avogadros, in welchen seine Hypothese

auftritt 187

Chronologische Übersicht der Arbeiten Avogadros 191

Vorbemerkung.

Amedeo Avogadeo DI QüABEGNA, der am 9. August 1776 in Tnrin geborene Professor der Physik an der Hochschule seiner Vaterstadt, bietet uns das seltene Bild, daß ein Mann^ der an hervorragender Stelle tätig ist, mit einer Arbeit höchster Bedeutung aus seinem eigenen Fache, die in einer angesehenen Zeitschrift, in der damals unter den Gelehrten verbreitetsten Sprache, erscheint, nicht durchdringt, ja völlig übersehen wird; obgleich die von ihm behandelte Frage nicht etwa vom Wege abliegt, sondern aktuelles Interesse hat.

Zwar sind schon verschiedene Abhandlungen über Avo- gadeo in italienischer Sprache erschienen, dieselben sind aber in Deutschland, wir dürfen wohl sagen so gut wie völlig, unbekannt geblieben, während die Hypothese, die seinen Namen trägt, heut jedem Naturwissenschaftler geläufig ist.

Darum schien es mir gerechtfertigt, Professor Icilio Gua- EEsCHis Schrift ^) durch Übersetzung deutschen Lesern zugäng- licher zu machen. Diese Arbeit übernahm, auf meine Ver- anlassung, mein damaliger Assistent Hr. Dr, Otto Meeckens. Aber auch hier griff meine Erkrankung verzögernd ein, so daß, als ich endlich wieder an die Arbeit gehen konnte, der Übersetzer Basel verlassen hatte. Mit seinem Nachfolger Hrn. Dr. Wilhelm Italo Baeagiola, habe ich dann gemein- sam die recht sorgfältige Übersetzung, Wort für Wort, noch einmal mit dem Original verglichen, und sie alsdann dem Hm. Verfasser zur Begutachtung zugesendet, der sie, in einer für den Hrn. Übersetzer sehr schmeichelhaften Weise, gut hieß.

') Icilio Guareschi. Storia della Chimica I. Amedeo Avogadro e la teoria molecolare. Torino, Unione tipografico-editrice. Novembrel901.

126 -

So liegt sie hier vor!

Übersetzt ist nur das auf Avogadro direkt bezügliche, die Anhänge, so interessant sie auch sind, glaubte ich in der deutschen Ausgabe, die doch vorzüglich dem Turiner Forscher galt, fortlassen zu dürfen. Auch auf die Wiedergabe der Originalarbeit Avogadbos habe ich, obgleich mir eine Über- setzung, die ich vor vielen Jahren für eigene Zwecke angefertigt habe, zur Verfügung stand, verzichtet; weil wir dieselbe in Nr. 8 von Ostwalds Klassikern aus der Feder Prof. Leblancs besitzen.

Am 11. Juni 1903 hat das Kgl. Staatsministerium zu Berlin einmal wieder eine neue deutsche Rechtschreibung ein- geführt. Im großen und ganzen habe ich mich daran ge- halten; es streng zu tun, dazu konnte ich mich nicht überreden, weil ich nicht alle gefaßten Entschlüsse zu billigen vermag. Ich kann z. B. nicht einsehen, warum das Caf6, aber der Kaffee geschrieben werden soll. Fürchtet ein hohes Staats- ministerium etwa Verwechslungen? Ja, wer aber aus Versehen das Kaffee statt den Kaffee trinkt, dem ist auch mit einem accent aigu nicht zu helfen!

So habe ich auch absichtlich, gegen die Regel, den Plural von das Volumen: die Volume, und nicht die Volumen, gebildet Gerade in der vorliegenden Arbeit, wo das Wort so ungemein oft gebraucht wird, wo „die gleichen Volume" eigentlich den Angelpunkt bilden, erschien mir aber die, auch formliche, Unterscheidung von Einheit und Mehrheit geboten.

Diese Selbstherrlichkeit erkläre und entschuldige auch diesen Exkurs in den Irrgarten deutscher Rechtschreibkunst. Die reichliche Interpunktion ist auf meine Veranlassung gesetzt, -die Verantwortung für die Korrektur trägt Hr. Dr. Mebckens.

Bad Nauheim, am 10. September 1903.

Georg W. A. Kahlbaum.

Einleitung.

Zu Ende eines jeden Jalires werde ich alte und moderne klassische Originalabhandlungen, Biographien, Briefe, ver- schiedenartige Urkunden u. s. w. aus dem Gebiete der Chemie, hauptsächlich des 18. und 19. Jahrhunderts, yeröffentlichen ; des- gleichen Abhandlungen und Originalarbeiten aus Zeitschriften, die nicht jedermann zugänglich sind. Die -wichtigen Abhand- lungen werden Yollständig übersetzt, resp., was die italie- nischen betrifit, wieder veröffentlicht, so daß auch Besitzer bescheidener Bibliotheken die Quellen derjenigen chemischen Werke, die als wirklich klassisch und grundlegend anzusehen sind, sich anschaffen können.

Für den Chemiker hat die Geschichte seiner Wissenschaft im Altertum eine viel geringere Bedeutung, als die in der Neuzeit Die eigentliche Geschichte der Chemie fangt mit BoYLE und hauptsächlich mit der pneumatischen Chemie nach 1750 an.

„Die Chemie wurde erst gestern geboren, erst seit hundert Jahren hat sie eine moderne, wissenschaftliche Form ange- nommen- Aber die schnellen Fortschritte, welche sie seitdem gemacht hat, haben vielleicht mehr als alle andern Wissen- schaften dazu beigetragen, die Industrie und die materielle Zivilisation umzuwandeln, und dem menschlichen Geschlechte seine täglich wachsende Macht über die Natur zu verleihen." (Bkbthelot).

Seit vielen Jahren hat man in verschiedenen Ländern, besonders in Frankreich und Deutschland, begonnen, von den Werken der großen G^elehrten Neudrucke und Sonder- ausgaben, resp. Sammlungen ihrer wichtigsten klassischen

128

Originalabhandlungen, zu veranstalten. In Frankreich z. B. hat man mit staatlicher Unterstützung, unter der Leitung der Akademie der Wissenschaften, in sehr schönen Ausgaben die Werke von Lageange, Caucht, Laplace, Fermat, Feessnel, FoüEiEE, GrAiiOis, Lavoisier u. s. w. veröffentlicht, während man von anderer Seite die Werke von Aeago, Abel, Davt, Riemann, Gauss, Hutghens u. s. w. herausgab. In gleicher Weise veröffentlicht jetzt die französische Gesellschaft für Physik aus eigenen Mitteln eine Sammlung von Schriften über Elektrodynamik, welche die Arbeiten von Oeested, Webee, AMPiiEiE u. s. w. umfaßt. Glücklicherweise geschah oder ge- schieht dasselbe in Italien mit den Werken von Galilei, Galvani und Leonaedo. Aber uns fehlen noch die vollstän- digen Ausgaben der Arbeiten Voltas, Spallanzanis, Mellonis und anderer großer Italiener.

Eine so hohe Aufgabe, diese ausgezeichneten Arbeiten nachzuahmen, stellen wir uns nicht; wir haben bei weitem be- scheidenere Vorbilder in der von Ostwald herausgegebenen Sammlung: „Klassiker der exakten Wissenschaften" und in den „Alembic Club Reprints". In unseren bescheidenen Grenzen wollen wir nur die wichtigeren, klassischen Arbeiten, welche am meisten zu den Fortschritten der Chemie seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beigetragen haben, ver- öffentlichen und sie so erörtern und besprechen, daß sie nach- her als Material zu einer kritischen Geschichte der Chemie dienen können.

Sehr viele junge Chemiker, welche zahlreiche, wichtige Originalarbeiten gemacht haben, kennen nichts von der wahren Geschichte der Chemie, nicht einmal ihren biographischen Teil. Es ist mir nicht selten vorgekommen, an die Verdienste Avo- GADEOs, Beezelius', Gay-Lussacs, Liebigs, Wöhlees, Mala- GUTis, Laüeents u. s. w., die man nicht kannte, erinnern zu müssen. Noch weniger wußte man von den folgeweisen Umwandlungen der chemischen Lehren.

Sehr richtig sagt Beethelot in seinem schönen Buch „Les Origines de 1* Alchimie" auf Seite 7: „Toute science doit etre placöe dans son cadre historique, si Ton veut en comprendre le v6ritable caractfere et la port6e philosophique."

129

Jetzt ist die Freiheit des Gedankens und des Wortes darch Gesetz gewährleistet und zum Teil auch respektiert. Die heutige Jugend aber sollte sich der Zeiten erinnern, in denen der Lehrer und Naturforscher nicht eigene politische Ideen, sondern nur die der herrschenden Regierung haben durfte. Laurent, Gerhakdt und andere, um nicht sehr weit zurückzugreifen, waren demokratische Republikaner, als in Frankreich das Königtum mit seinen ultramonarchischen Anhängern herrschte, und heute w^issen wir, daß dies nicht einer der letzten Gründe ihres Mißgeschickes war, das sie mit heroischer Festigkeit ertragen haben.

Mit der großen französischen Revolution brach eine nene Zeit für Europa, für die. ganze Welt an. Die fleißige, un- aufhörliche und intelligente Arbeit der Enzyklopädisten er- weckte das Volksbewußtsein. Das Jahrhundert von Montesquieu, von d'Alembert, von Mieabeaü, Dedebot, Holbach, Voltaire, Rousseau u. s. w. mußte seine Frucht bringen.

Ein allgemeines Erwachen beginnt und die Chemie des großen Zeitabschnittes von 1770 bis 1810 hat ihre Vertreter in vier großen Zivilisationszentren. England: Black. Caven- DisH, Priestley, Davy, Dalton, Thomson und Wollaston; Frankreich: Lavoisier, Berthollet, Proust, Gat-Lussac und Vaüquelin. Schweden: Bergmann. Scheele und Ber- zelius. Deutschland: Wenzel, Richter, Marggraf und Klaproth. Italien tritt leider erst etwas später und nur mit einem einzigen, wenn auch großen Namen, mit Avogadbo, in die Reihe.

Mehr als alle anderen müssen wir, Italiener, die wir so oft von fremden Schriftstellern sehr ungerecht beurteilt wurden, uns unparteiisch zeigen. Unsere Pflicht, unsere Aufgabe wird es sein, die Ehre dem zu geben, dem sie gebührt. So werden wir die Verdienste großer Chemiker herausstreichen, die in ihrem Leben nicht nur das Geschick, sondern auch der böse Wille anderer mächtiger Fachgenossen, welche einflußreiche Stellen im Parlament oder in der Verwaltung errungen hatten, verfolgt hat. Hierbei werden wir vielleicht denen manchen Lorbeer zerpflücken müssen, die schon allzuviel belobt und mit Weihrauch umwölkt wurden, doch, die Wahrheit vor allem I

Kahlbaam, Xonographieen. VII. 9

130

Die Veröffentlichung zahlreicher Biographien und einer großen Anzahl von Briefen der berühmtesten Chemiker, das Verschwinden von Männern, die andere die Wahrheit zu sagen und zu schreiben hinderten, hat in den letzten Jahren sehr zur Aufklärung vieler dunkler Punkte auf dem Gebiete der Geschichte der Chemie beigetragen. Unseres Erachtens ist es durchaus unrichtig, in der Geschichte einer Wissenschaft, beispielsweise der Chemie, die Fehden und Streitigkeiten ver- schweigen zu wollen, welche nicht wenige große Geister durch- gekämpft haben. Vor allem würde dies Unterdrücken der Wahrheit keine Geschichte mehr sein. Es ist aber auch die Kenntnis dieser intimen, persönlichen Kämpfe insofern nützlich, als man aus ihnen die Gründe für das Dasein einer bestimmten wissenschaftlichen Richtung in einem Lande erkennen kann. In Deutschland war kein Chemiker wirklich so maß- gebend, daß er allein über die vorhandenen Lehrstühle verfügen konnte. Fast gleichzeitig, obschon verschiedenen Richtungen angehörend, nahmen wichtige Lehrstellen ein: L. Gmelin, Steomeyee, Mitscheblich, H. Rose, Wöhleb, Liebig, Ebdmann, Mabchand, Kolbe, Bünsen, Rammelsbebg u. s. w., und obgleich Liebig einen wohltätigen Einfluß auf die wissenschaftliche und didaktische Entwicklung der Chemie in Deutschland und, durch Rückwirkung, auch in anderen Ländern ausübte, so erhielten doch auch solche, die nicht seine Schüler waren, wenn sie sich auszeichneten, gute Stellen. Dasselbe gilt für England, wo gleichzeitig Geaham, Fabaday, Feankland, Williamson, Odling u. s. w. lebten. Wer hat dagegen in Prankreich über alle Lehrstühle der Chemie von 1830 1870 verfügt? Ein einziger, Dumas. In Deutschland, wie in England, sehen wir eine wohltätige Dezentralisation, in Frankreich eine schädliche Zentralisation. Die Folge davon war, daß viele wichtige Stellen mit wahren Nullen be- setzt wurden, mit Leuten, die im Beginn ihrer Laufbahn so viel studierten, um den Meister zu befriedigen und von ihm eine Stelle zu bekommen, welche eine Sinekure für sie werden sollte, bei der die Wissenschaft, um ihrer selbst willen, zu betreiben ihnen zu allerletzt in den Sinn kam. War das gleiche in Deutschland der Fall? Wir glauben nicht. Um

131

80 weniger, als dort bei den wissenschaftlichen Streitigkeiten der politische Einfluß ein geringer ist, während er in Frank- reich im höchsten Grade vorhanden war. S6dan beweist uns den Einfluß der Religion und Politik in den Wissenschaften und zeigt uns, wie schädlich die Macht weniger Männer, die alles monopolisieren wollen, ist Das republikanische Frank- reich hat sich dies gemerkt, aber vollständig geheilt von dem Übel ist es vielleicht noch nicht

Wenn Männer der Wissenschaft, die sich ganz der öö'ent- lichen Verwaltung widmen und politischen Einfluß gewonnen haben, ihre Macht ausnützen, um persönlichen Gehässigkeiten zu fröhnen, so besitzen sie notwendigerweise keine gute Ge- mütsart. Keine Entschuldigung und keine Erklärung findet das Benehmen Dumas' gegen Laurent, Gekhaedt und andere, wenn nicht durch den unversöhnlichen, persönlichen, noch nach ihrem Tode fortwirkenden Haß. Eine vornehme Natur ver- gißt in solchen Fällen Beleidigungen, besonders wenn es, im Grund genommen, kaum solche gewesen sind. Nur grenzen- loser Elhrgeiz und ungebändigte Eitelkeit kann einen Mann der Wissenschaft zu solchen Gemeinheiten hinreißen. Mit vollem Recht rief General Changarniee, der gern mit den Ministern des Prinz -Präsidenten scherzte, eines Tages, als er, aus dessen Zimmer tretend, Dumas familiär unter den Arm faßte, so laut, daß alle andern Minister es hören konnten: „Que peut on faire avec un homme qui a ce visage de

DlAFOIBUS?"^)

Dumas, der doch im Jahre 1857 öfi'entlich hatte anerkennen müssen, daß das Hauptverdienst der Substitutionstheorie Laueent gebührte, spricht in der im Jahre 1869 in London gehaltenen „Faraday Lecture" von Wubtz, Hofmann. Williamson, Frankland, während er Gerhardt und Laurent, die doch die wahren Lehrer dieser und schon 15 Jahre tot waren, nicht nennt. Binnen kurzem wird man Laurent ein Monument er- richten, und wir hofien, daß man Gerhardt auch eines setzen wird, wie man es jetzt für KekülJ: tut.

*) Emile Olivier, „Le priuce Louis Napoleon" in der Revue des Deux Mondes, 1897, T. 139, p. 330. Diafoiras eine Moli Presche Figur aus dem „Malade imaginaire" (K.).

9'

182

Heute fängt man an, die großen Gelehrten mehr als früher zu ehren, und Berthelot konnte mit Recht, bei Anlaß der Einweihung der Statue Lavoisiees, wobei er sich an die Ver- treter der verschiedenen Nationen wandte, sagen: „Dies ist eine Ehre, die früher allein den Kriegs- oder Staatsmännern vorbehalten blieb, welche die Welt mit Blut befleckt hatten und zwar sehr oft, ohne irgend einen dauernden Vorteil für die ihnen dienende Nation zu erringen, so daß der Philosoph ihr Werk nur mit tiefer Trauer betrachten kann. Heute beginnen die aufgeklärtesten Völker die Gelehrten, Denker und Künstler in die erste Reihe zu stellen. Ohne Zweifel wird die Zukunft fortfahren, das Andenken an Männer, die dem Menschengeschlecht gedient haben, zu verherrlichen und wird jene Blutmenschen und Intriganten, welche dasselbe unterjochten und ihm Leiden verursachten, in den Schatten stellen.^)

In keinem andern Jahrhundert, wie im 19. hat man so ungeheure Fortschritte in der Wissenschaft gemacht; in keiner so kurzen Periode hat man je eine so große Anzahl wichtiger Entdeckungen in der Mathematik, den Experimentalwissen- schaften, den technischen Künsten und in der Industrie erlebt. Und seit 1859 hat Italien an diesem gewaltigen Aufblühen keinen geringen Anteil genommen.

Welch ungeheurer Unterschied zwischen der Dauer der Hypothesen und Theorien von einst und von heute!

Von 1830 bis 1850 hat man allein sieben oder acht ver- schiedene Formeln für Alkohol gehabt:

C^Hg + H2O2 (Dumas)

C2H9 + C2H4O2 (Dumas)

CgHßO (Avogadro)

{CjHß)0 (Beezelius)

(C4Hjo)0 + H2O (Liebig)

C^Hj^Og + Hg (MiTscHERLicH uud Zeise)

C^HgO -t- H^ + HgO (Malaguti)

C2(H,2C202),e (Persoz).

Die Formel von Laurent, Gerhardt und William-

') Rev. Scient., 1900, 2. semestre, n. 6, p. 1662.

133

SOS CjHjOH, welche heute folgendermaßen entwickelt wird, nämlich: CH3 CH, OH. gleichwie

H H

H-C-C-OH,

I I H H

überdauert schon sechzig Jahre.

Für die Essigsäure hat man seit 1820 bis 1850 wenig- stens zwanzig verschiedene Formeln vorgeschlagen, während die von Gerhardt, die gegen 1860 entwickelt wurde, noch heute in Geltung steht.

Wir wollen gewiß nicht parteiisch schreiben, sondern haben nur den einen Zweck, die Wahrheit zu sagen; das aber auch dann, wenn wir damit Anstoß erregen sollten. Da nun, wie schon gesagt, Italien zu gewissen Zeiten nur einen geringen Anteil an der Entwicklung der Chemie gehabt hat, wird es erst recht unsere Aufgabe sein, diejenigen Ita- liener, die zur Förderung unserer Wissenschaft beigetragen haben und die von den Fremden übergangen wurden, der Vergessenheit zu entreißen. Daß dabei jeder Chauvinismus beiseite gelassen ist, braucht nicht erst betont zu werden.

Die meisten Chemiker, welche bis jetzt die Geschichte ihrer Wissenschaft geschrieben haben, haben entweder zu viele Ver- dienste einer bestimmten Nation zuerteilt oder sie haben, aus Sympathie oder falschem Patriotismus, einen einzigen Mann über alle andern stellen wollen. Das ist nicht gerecht, denn auf diese W^eise wurden viele bescheidene und doch verdienst- volle Chemiker übersehen.

Wenn man Vergleiche machen wollte, so könnte man mit gutem Recht sagen, daß, im Verhältnis zur Bevölkerung, Schweden-Norwegen mehr als alle andern Nationen zum Fortschritt der Chemie beigetragen hat; denn dieser kleine Staat des äußersten Nordens hat Chemiker von Bedeutung hervorgebracht wie Brandt^), Htebne, Walleriüs, Cbonsted, Gähn, Swedenborg, Engeström, Ekebebg, Retzius und ferner Bergmann, Scheele, Hisingeb, Berzeucs, Mosandbr,

') Brandt war kein Skandinavier so wenig wie Scheele (K.).

134

SvANBEßG, Aefvedson, Beelin, Nilson, Cle\^, Sefsteöm, Gadolin, Blomsteand, Guldbeeg und Waage, Aeehenius u. s. w. Ungefähr zwanzig der heute bekannten Elemente wurden von schwedischen Chemikern entdeckt.

So wenig wir von Newton behaupten können, daß er die Astronomie, Mathematik oder Physik geschaffen habe, obgleich er unsterbliche Entdeckungen in diesen drei großen Zweigen menschlichen Wissens gemacht hat, denn vor ihm haben Kopeeniküs, Galilei, Kepplee, Descaetes gelebt, so wenig dürfen wir über Lavoisiee Männer wie Black, Caven- DiSH, Peiestley, Beegmann und Scheele^), die vor ihm exi- stiert haben, vergessen.

Weder in diesen jährlich erscheinenden Ausgaben, noch in unserer Geschichte der Chemie, welche wir noch zu voll- enden hoffen, werden wir, abgesehen von einigen Ausnahmen, von lebenden Chemikern sprechen. Als man Macaulay den Auftrag gab, die Geschichte der englischen Literatur im 19. Jahrhundert, d. h. seiner Zeit, zu schreiben, antwortete ier, er könne dies nicht annehmen, denn, fügte er hinzu, „es gefällt mir nicht, die Aufgabe zu übernehmen, über meine Zeitgenossen zu urteilen. Ich könnte durchaus nicht die Wahrheit sagen, ohne peinlich zu berühren und mir viel Feinde zu machen." 2)

Es ist aber durchaus nicht erlaubt, man gestatte uns den Ausdruck, in einem historischen Auszug der Entwicklung der Chemie in den letzten 20 Jahren, von 1880 1900, über die italienischen Chemiker und einen großen Teil der Engländer völlig zu schweigen, wie das Herr Ladenbueg ^) getan hat.

Er zitiert Hunderte von lebenden und auch gestorbenen Chemikern, unter diesen wissenschaftliche Nullen oder junge Leute, die sich mit irgend einer kleinen physikalisch-chemischen Arbeit präsentiert haben, während er über die in Italien ge-

^) Scheele, 1742—1786, und Lavoisier, 1743—1794, sind wohl als gleichzeitig anzusehen. Lavoisier s Analyse des Gipses ist von 1768, Scheeles Untersuchung des Flußspates von 1771.

*) Bruchstück eines Briefes an den Verlag Tauchnitz zu Leipzig.

^) Die Eutwickelung der Chemie in den letzten 20 Jahren. Stutt- gart 1900.

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machten Arbeiten völlig schweigt, wie von solchen über die Theorie der aromatischen Reihe, über die Konstitution des Pyridins und Chinolins, über Pyrrol, über Santonin, Kam- pfer, Pyrrodiazol, Asparagin, über die Synthese der hetero- cyklischen Derivate, über Derivate des Quecksilberammoniaks, über die wichtigsten Arbeiten auf dem Gebiete der physi- kalischen Chemie. Statt dessen mißt Herr Ladenbübg eine große Wichtigkeit den Arbeiten bei, für welche man eine große Anzahl von Patenten genommen hat, wie denen von TiEMA^JN.^) Fast als ob die Synthese eines Parfüms, welches die Taschen seines chemischen Entdeckers mit Geld füllt, mehr gelte als z. B. die so schöne Untersuchung des seligen Andkeocci über Santonin und Pyrrodiazol. Und gelten die Arbeiten Perkins über die homocyklischen Verbindungen vielleicht weniger, als die Synthese des Vanillins? Dies ist keine Gerechtigkeit; die Geschichte soll höhere Ziele haben.

Was wir in unsem jährlichen Ausgaben zu veröffentlichen gedenken, ist zwar keine Geschichte der Chemie, aber doch ein Teil des Materials, welches der noch zu schreibenden, kritischen Geschichte dieser Wissenschaft für die „Nuova En- ciclopedia di Chimica" als Grundlage dienen soll.

Wir sind um so mehr verpflichtet, diesen Teil der Chemie in der Nuova Enciclopedia zu behandeln, da nur so das Ver- dienst, welches die Italiener um diese Wissenschaft gehabt haben, nach Gebühr hervorgehoben werden kann.

Gelegentlich werden wir auch Dokumente der alten Ge- schichte der Chemie, und der Alchemie, über welche Beethelot in den letzten Jahren sehr wichtige Arbeiten') veröffentlicht hat, bringen.

') Die Bemerkung über Ladenbarg ist gewlB richtig, die über Tiemaun nicht. Wir verdanken letzterem nicht „die Synthese eines Parfüms" sondern die Chemie der Riechstoffe (K.).

*) Les origines de l'alchimie, Paris 1885, 1 Band in 8*. Druck von Steinheil CoUection des anciens alchimistes grecs. Text und Über- setzung unter der Mitarbeit des Herrn Ch. Em.Rouelle, 1887 88, 3 Bände in Introducüon k l'etude de la Chimie au mo73n-äge, 1899, 1 Band in 4" La chimie au moyen-äge, 1893, 3 Bände in 4* Verschiedene

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Im Grunde genommen, läßt sich auch die Phlogiston- theorie mit den früheren Anschauungen der Chemie vom Mittelalter und der Alchemie verbinden; es ist aber besonders für die jüngeren Chemiker wichtig, zu erkennen, wie sich die Ideen entwickelten, aus denen die moderne Chemie hervorge- gangen ist; zu erkennen, wie die Phlogistontheorie entstand, sieh in die LAVOisiEKSche Verbrennungslehre wandelte, und wie man von der dualistischen elektrochemischen Theorie zu den Typen, zur Valenztheorie und endlich zur Stereochemie kam. Dies ist's, was leider auch viele unserer Lehrer nicht kennen. Wer Gebee, Paeacelsus, Boeehaave u. s. w. waren, das sagt wohl jede mehr oder weniger ausführliche Geschichte der Chemie oder irgend ein biographisches Wörterbuch. Viel schwieriger ist es zu erkennen, und nur wenige erkennen es, wie sich allmählich die Ansichten änderten, wie in einem Zeit- raum von nur einem Jahrhundert wir von den Anfängen der Symbole für die chemischen Elemente dazu kamen, eine ziem- lich genaue Kenntnis der Stereochemie zu erlangen. Der Fort- schritt in der Chemie in den letzten 80 Jahren des 19. Jahr- hunderts ist viel größer, als der in allen vorhergehenden Jahrhunderten. Die Zeit der bloß beschreibenden Geschichte ist vorbei.

Die genaue Prüfung der Quellen, der Originalabhandlungen, die in zahlreichen, wissenschaftlichen Journalen oder in den Sammlungen der Akademien veröffentlicht sind, muß uns das sichere Materiail weit eher, als die mehr oder weniger partei- ischen Schriften so vieler Historiker der Chemie liefern.

Abhandluugea in der Revue des Deux Mondes (1893), im Journal des Savants (1899 und 1901) und in den Ann, de Chimie et de Phys. (1895 bis 1897 1900 bis 1901.

Amedeo Ayogadro und die Molekulartheorie.

Der Name Amedeo Avogadro ist ftir immer verbunden mit der geistreichen Hypothese oder dem Gesetz: Gleiche Räume gasförmiger Körper enthalten unter gleichem Druck und gleicher Temperatur eine gleiche Anzahl Molekeln, oder, wie man auch sagen kann, wenn die Wasserstoffmolekel zwei Volume einnimmt, so nehmen die Molekeln aller anderer Körper, auch wenn sie aus 1, 2, 3, 4 und mehr Atomen be- stehen, den gleichen Raum ein, nämlich 2 Volume.

Das Gesetz Avogadros erlangte aber eine noch größere Bedeutung, als van't Hoff es im Jahre 1886 mit glücklichem Erfolge auf die verdünnten Lösungen ausdehnte. Die so er- weiterte AvoGADROSche Regel kann folgendermaßen ausge- sprochen werden:

Gleiche Volume verdünnter Lösungen enthalten bei gleicher Temperatur und gleichem osmotischem Druck eine gleiche xAnzahl Molekeln, und zwar genau die gleiche Zahl, welche im gasförmigen Zustand in gleichen Räumen und bei derselben Temperatur und demselben Druck, im gewöhnlichen Sinne, enthalten sein würden.

LoRENzo Romano Amedeo Carlo Avogadro di Qüaregna wurde zu Turin am 9. August des Jahres 1776^) als Sohn von Philipp, einem ausgezeichneten Staatsbeamten, und dessen Gemahlin Anna Vebcellone aus Biella geboren und starb

M Biographische und bibliographische Notizen über Amedeo Avo- gadro finden sich iu folgenden Schriften:

Feiice Romani, Necrologio di Amedeo Avogadro (Gazz. Piem.; Amt- liche Zeitung des Königreichs Nr. 174, 18. Juli 1856). Paolo Trompeo, Cenni biografici (Giom. Accademia di Med. di Torino

(2) Jahrg. 9; Vol. 26, p. 394). Rühnholtz (Professor und Bibliothekar von Montpellier), Cenni biografici (Annales cliniques de Montpellier, September 1856).

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am 9. Juli 1856. Im Jahre 1796 promovierte er zum Doctor juris und erhielt bald nachher das Amt eines Armenadvokaten, und später das eines Generaladvokaten. Im Jahre 11 der

Filiberto Avogadro di Collobiano e Feiice Chi6. Feierliche Ein- weihung des Denkmals des Grafen Amedeo Avogadro in der Uni- versität von Turin am 29. November 1857. Turin, 1857. Broschüre von 8 Seiten. C. D. Botto, Cenni biografici sulla vita e suUe opere di Amedeo Avo- gadro. (Mem. R. Accademia delle Sc. Torino (2) Vol. 17, p. 475.) Der „Catalogue of scientific Papers (1800 1863) compiled and published by the Royal Society of London" zählt unter dem Namen Avo- gadro die fast vollständigen Angaben seiner Publikationen auf in chronologischer Ordnung mit der Angabe der verschiedenen Journale oder Denkschriften der Akademien, in denen sie abgedruckt sind. Eug. Sismonda, Cenno necrologico (Mem. R. Accademia delle Sc. di

Torino 1856, Vol. 16, p. 61.) A. Predari, Notizie biografiche (in der Beilage zu Secoli della Lette- ratura italiana di Corniani, Vol. 8, 1856, p. 340). Diese Notiz ist der Biographie von Trompeo entnommen. Breve cenno necrologico (im Nuovo Cimento, 1856, Vol. 3, p. 473.) Aus dem Leben Avogadros von Hugo Schiff. Chemiker-Zeitung 1889

S. 263. A. Cossa, II conte Amedeo Avogadro di Quaregna, Mailand 1898. Nicht alle sind darüber einig, daß der 9. August als Geburtstag Avogadros angenommen werden müsse. Romani, Trompeo und alle die, welche aus diesen zweien ihre biographischen Notizen schöpften, nehmen den 9. August an. Botto (1. c), der ein Schüler und Mitarbeiter Avogadros war, gibt den Monat Juni an. In Poggendorffs Bio- graphisch-litterarischem Handwörterbuch, Band 3, ist der 9. Juni angeführt. Dies ist wichtig, denn die biographische Skizze, die sich in diesem Hand- wörterbuch befindet, wurde vom Verfasser selbst mitgeteilt und ist be- zeichnet: „Or." d. h, Originalmitteiluugen der Autoren. Schädler in seinem Biograph. -liter. Handw. gibt auch den 9. Juni an. Auch Heller in seiner Geschichte der Physik von Aristoteles bis auf die neueste Zeit, Band 2, 1882—84* und Griesbach, Physik.-chem. Propftd. 1895, S. 180. Hiernach würde es am wahrscheinlichsten erscheinen, daß das Datum vom 9. Juni das richtige ist. Doch angesichts dieser Widersprüche und um jeden Zweifel zu beseitigen, habe ich nach der Taufurkunde ge- forscht, welche ich in der Pfarrkirche del Carmine in Turin fand, und die ich der Gefälligkeit des Herrn Pfarrers verdanke. Sie lautet:

„Die 10 augusti 1776, baptizatus fuit per me infrascriptum infans, natus pridie huius diei paulo ante mediam uoctem, filius Ill.morum D.norum equitis et senatoris Pbilippi et Annae Mariae natae Vercel- lone, Jugalium Avogadro de Quaregna et Cereto, cui nomen im-

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französischen Republik wurde er Präfektursekretär im Departe- ment Eridanus; dann studierte er Mathematik und Physik, Wissenschaften, für die er eine große Vorliebe hatte. Gemein- sam mit seinem Bruder Felix arbeitete er über Elektrizität, und wurde ihr erstes Werk im Jahre 1803 der Akademie der Wissenschaften von Turin vorgelegt. Im Jahre 1804 wurde er korrespondierendes Mitglied der Akademie und 1819 ordent- liches Mitglied. Im Jahre 1806 wurde er Repetitor am Kollegium der Provinz, an dem sein Vater bereits als Prefetto tätig gewesen war, 1809 Professor der Physik und Philo- sophie am Lyceum zu Vercelli.

Als dann 1820 an der Universität zu Turin der Lehr- stuhl für mathematische Physik, damals genannt .,fisica sublime", errichtet wurde, berief man Avogadbo auf diesen. Er be- kleidete ihn jedoch vorerst nur zwei Jahre, da, infolge der politischen Bewegung von 1821, der Lehrstuhl 1823 wieder eingezogen wurde. Im Jahre 1833 berief man ihn von neuem auf diese Lehrkanzel, die er nun bis 1850 innehatte, wo er entweder wegen seines Alters oder seiner vielfachen Beschäf- tigungen wegen zurücktrat.

Außer einer großen Anzahl von Schriften über Gase, spezifische Wärme der Körper u. s. w. veröffentlichte er ein großes physikalisches Werk unter dem Titel: „Fisica dei corpi ponderabili, ossia Trattato della costituzione generale de' corpi," in vier dicken Bänden in großem 8^

Ich halte es für sehr wichtig, hervorzuheben, daß man ihm, wie ich auch weiter unten zeigen werde, die genaue Formel des Borfluorids und der Borsäure, BFI3, und BjO,, und die des Siliciumfluorids SiFl^, des Siliciumchlorids SiCl^ und

positum fait Laurentiua Romanus Amedeus Carolas. Patrini faere Per Illus.es D.ni Adrocatus Carolus Albertus Alasia, Loci Caballarii Majoris et Anna Maria Bon, incola huius civitatis et Pareciae. Bap^ zabat Rev.dus P. Telesforus Sica Bennensis V.tus."

So wäre bewiesen , daß der 9. August in der Tat das Datum der Geburt ist, obgleich Avogadro selbst, vielleicht aus Zerstreutheit, den 9. Juni angegeben hat.

Einige behaupten irrigerweise, daß Avogadro im Jahre 1850 ge- storben ist. Diesen Fehler beging auch D e b u s in der Broschüre, die wir weiter unten besprechen müssen.

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der Kieselsäure SiOg verdankt. Es sind dies Beobachtungen von großer Wichtigkeit; haben sich doch lange Zeit hindurch die bedeutendsten Chemiker über die Zusammensetzung der Bor- und Siliciumderivate gestritten.

Es macht Vergnügen, diese Fundamentaluntersuchungen auf einen berühmten Italiener, der von seinen Zeitgenossen nur zu wenig geschätzt wurde, zurückführen zu können. Avogadeo ge- hört zu den Figuren, die bei eingehender Betrachtung wachsen.

Turin hat nach dem Namen Avogadeo eine seiner Straßen benannt, welche eine der wichtigsten sein müßte, wenn es nach uns ginge. Jedoch das dauerhafteste Denkmal hat er sich in seinen eigenen Werken gesetzt.

Er war einer der ersten, welche die Körper auf die Be- ziehungen zwischen ihren physikalischen und chemischen Eigenschaften hin studierten. Interessant sind seine Be- obachtungen in der physikalischen und chemischen Kristallo- graphie, welche er im ersten Bande seines Werkes ,,Fisica dei corpi ponderabili" behandelte. Überhaupt wandte er seine Aufmerksamkeit immer Punkten von höchster Wichtig- keit zu: So betrachtete er den Zusammenhang zwischen spezifischer Wärme und chemischer Zusammensetzung, die Atomvolume u. s. w.

Avogadeo und Neumann sind die ersten, welche die Be- ziehungen zwischen der spezifischen W^ärme der zusammenge- setzten Körper und jener ihrer Komponenten aufgesucht haben. Regnault sagt in seiner zweiten klassischen Abhandlung aus dem Jahre 18-41: „Die hauptsächlichsten Untersuchungen über die spezifische Wärme der zusammengesetzten, festen und flüssigen Körper verdankt man Avogadeo und Neümann;" dann fährt er fort: ,,Die Frage über die spezifische Wärme zusammengesetzter Körper kann man von zwei Standpunkten aus anfassen. Man kann fragen: 1. Besteht in jeder Klasse zusammengesetzter Körper eine ähnliche Beziehung wie jene, die von Dulong und Petit bei den einfachen Körpern ent- deckt wurde? Dies ist der Gesichtspunkt, von welchem aus Neümann die Sache betrachtete. 2. Besteht eine einfache Beziehung zwischen der spezifischen Wärme der zusammen- gesetzten Körper und der elementaren Substanzen, aus denen

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die Körper gebildet sind? Diese Frage, die notwendigerweise auch die erste einbegreift, wurde von Avogadbo erörtert"^) AvoQADRO war einer jener seltenen Gelehrten, welche niemals einen andern Zweck verfolgen , als den, ihre eigene Sendung zu erfüllen, und er erntete seltenen Ruhm innerhalb und außerhalb Italiens, ohne ihn jemals gewünscht, oder vielleicht auch nur bemerkt zu haben.

BoTTO betonte im Jahre 1857 die Wichtigkeit des Avo- GADBOschen Prinzips von der Gleicliheit der Entfernungen zwischen den Molekularzentren in gasförmigen Stoffen unter sonst gleichen Umständen; ein Prinzip, welches jenes der gleichen Anzahl von Molekeln in gleichen Gasräumen, wie auch das der Proportionalität zwischen der Dichte der letztern und der Masse der Molekeln selbst, einschließt. BoTTO bemerkt auch, daß eine Folge der Anwendung dieses Prinzips das ist, daß man die integrierenden Molekeln gas- förmiger Stoffe und der Elementargase selbst als Aggregate ursprünglicher Atome betrachten muß, und deshalb als be- iähigt, bei ihren Vereinigungen und Verwandlungen sich in andere, partielle Molekeln (Atome) zu teilen.

Während die Experimentaluntersuchungen Avogadeos teilweise zu wünschen übrig lassen, wie dies auch Regnahlt unter anderm von der Bestimmung der spezifischen Wärme be- merkt, sind doch seine Arbeiten auf, ich möchte sagen, spe- kulativem Gebiete von größter Wichtigkeit, besonders jene, welche sich auf den molekularen Aufbau der Gase beziehen. Auch seine Untersuchungen über die Spannkraft des Queck- silberdampfes können sich in Bezug auf Exaktheit mit jenen von Regnault nicht messen, dagegen ist Avogadbo der erste gewesen , welcher diese Größe zwischen den Grenzen von 100"— 360 *> zu bestimmen suchte.

Da heute allgemein anerkannt wird, daß das sogenannte Gesetz, oder die Hypothese, oder die Regel ^ von Avogadbo

>) Regnault, A. Ch. 1841 (8), Vol. 1, p. 132.

*j Wenn man dasselbe als einfache Hypothese betrachtet, warum werden dann Gesetze und Theorien daraus abgeleitet? Ich denke, daß es heute angebracht ist, diese Hypothese oder Regel Gesetz von Avo- gadro zu nennen, wie es auch Horstmann, van't Hoff u. a. tun.

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betreffend den molekularen Aufbau der Gase zum Grundge- setz der Chemie geworden ist, scheint es unserer Ansicht nach von Nutzen, die vollständige Abhandlung, in der Avogadeo diesen Gegenstand behandelt hat, wiederzugeben.^)

Er publizierte diese klassische Abhandlung im „Journal de Physique, de Chimie et d'Histoire naturelle von Dela]m£- THEEiE," 1811 unter dem Titel: „Essai d'une maniere de d6- terminer les masses relatives des molöcules 6l6mentaires des Corps et les proportions selon lesquelles elles entrent daus ces combinaisons.'' Diese Arbeit wurde, zusammen mit der nach- folgenden von AMPfiEE, von Ostwald^) ins Deutsche übersetzt und ist in seiner Sammlung „Klassiker der exakten Wissen- schaften" unter Nr. 8 aufgenommen; auch wurde sie ins Eng- lische als „Alembic Club Reprint Nr. 4" übersetzt. Erst drei Jahre später und auf eine minder präzise Weise wie Avogadeo behandelt AmpMe dasselbe Thema. Trotzdem war das Ge- setz bis 1860 und auch noch später hauptsächlich unter dem Namen „Gesetz von AmpSee" bekannt, und Avogadeo wurde von jenen Chemikern, welche das Gesetz bei ihren Arbeiten anwandten, nicht einmal genannt.

Für uns Italiener ist es daher eine heilige Pflicht, das große Verdienst Avogadeos zu kennen und bekannt zu machen, denn dadurch, daß man das Verdienst, obige Hypothese über den Aufbau der Gase zuerst aufgestellt zu haben, auch zum Teil andern zuschiebt und sie Hypothese von Avogadeo-Gee- HAEDT oder Hypothese von Dalton- Avogadeo nennt, wird Avogadeos Verdienst geschmälert.

WüETZ nennt in seinem Werk „Legons sur quelques points de Philosophie chimique", die er 1863 hielt und 1864 herausgab, Avogadeo nicht. Er spricht immer von der Theorie und dem Gesetz von AmpSee. Nachdem er die bestehenden Beziehungen zwischen den Atomgewichten einiger Elemente und den aut Wasserstoff bezogenen Dichten angeführt hat, sagt er auf Seite 54 55: „Auf diese merkwürdigen Wechselbeziehungen zwischen Dichten und Atomgewichten ist hauptsächlich der

^) Unterbleibt, wie oben gesagt, in der Übersetzung. *) resp. Leblanc.

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berühmte Lehrsatz von Ampere und Bebzelius: Gleiche öas- räume enthalten eine gleiche Anzahl von Atomen, begründet." Da aber das auf diese Weise falsch gefaßte Gesetz auf viele einfache Körper, auf das Quecksilber, den Phosphor u. s. w. sich nicht anwenden läßt und ebenso auch nicht auf zu- sammengesetzte Gase und Dämpfe, so bemerkt er weiterhin (S. 56), daß man die Wechselbeziehungen verallgemeinern könne, indem man sagt: „Gleiche Gasräume enthalten bei gleichem Druck und gleicher Temperatur eine gleiche Anzahl Molekeln und infolgedessen sind die Molekulargewichte der zu- sammengesetzten Körper ihren Dichten im Gas- und Dampf- zustand proportional. Es ist dies mit geringer Abänderung der Fassung der AMPfiRE-BERZELrussche Satz."

Das nenne ich aber nicht eine „geringe Abänderung"; in seiner ersten Form ist das Gesetz für den größeren Teil der Fälle falsch.

In diesem Buche spricht Wübtz immer nur von der Theorie oder dem Gesetz von Amp^iie, während er bald nachher (1868) in der Vorrede zu seinem „Dictionnaire de Chimie" unter dem Titel „Histoire des doctrines chimiques" und im Wörterbuch selbst, Artikel „Atomique (Theorie)," Vol. 1. p. 460), AvoGADEO mit Amp£be nennt, aber des ersteren Prio- rität hervorhebt. Endlich in seiner „Thöorie atomique" (1879) schweigt WüBTZ fast völlig von Ampere und ist unparteiisch gegen Avogadro, indem er die große Wichtigkeit von dessen Hypothese und der Teilbarkeit der Molekeln betont.

Einige, wie Naqüet in seinen „Principes de chimie" 1867, Vol. 1, p. 19, behaupten, daß die Hypothese von der gleichen Molekelzahl zuerst von Avogadro ausgesprochen und erst nachher von Amp£ee entwickelt worden sei. Das ist aber unrichtig; denn Ampere hat die Hypothese nicht nur nicht ausgearbeitet, sondern sie in einer weniger ausführlichen und verständlichen Art als Avogadro ausgedrückt, wie es klar aus der Denkschrift Amperes zu ersehen ist.

Als Gerhardt im Jahre 1842 die Formeln aller Körper auf zwei Volume Dampf zurückführen wollte, z. B. HjO = zwei Volume, da verallgemeinerte er, im Grunde genommen, das Gesetz von AvoGADRa Als er aber nachher fand, daß es

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Körper gibt, deren Molekulargewicht vier Volumen entspricht, er einen glaubhaften Grund dafür jedoch nicht angeben konnte, war er der Ansicht, daß das Gesetz Avogadros nicht allgemein gelte. Doch hatte er selbst damals noch keinen klaren Begriff von diesem Gesetz, als er sagte, Volume, Atome und Äqui- valente seien gleich und die Dichten der einfachen Gase ihren Äquivalenten proportional.^)

Gerhardt kam zur Anwendung des Gesetzes Avogadros auf einem andern, rein chemischen Wege, und zwar auf einem jener direkten, kurzen Wege, durch welche sich ein genialer Geist immer auszeichnet. Er bestimmte die Molekel, besonders in der organischen Chemie, mittels chemischer Reaktionen, während Avogadro durch ausschließlich physikalische Be- trachtungen dazu kam.

Gerhardt bewies in seiner berühmten Denkschrift „Consi- dörations sur les Äquivalents de quelques corps simples et com- posös",^) daß die bekanntesten chemischen Reaktionen unter großer Einfachheit vor sich gehen und daß die Quantitäten der Substanzen, die in chemische Reaktion treten, im Gaszustand gleiche Volume einnehmen. Da die Wassermolekel aus zwei Volumen Wasserstoff und einem Volum Sauerstoff besteht, so bezog er die Gasvolume aller Substanzen auf zwei Volume, wobei er die Wasserstoffmolekel = 2 zugrunde legte. Zur Er- klärung seien folgende Beispiele angeführt:

CeHe -I- HNO, = CeH.NO, + H,0 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

C^HsOH + CjH,0-OH = C^HjOCjHsO + H,0 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

CH^OH C,H,v

2 Vol. = HjO + >0

CjH„OH C,H/

2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

') Pr6ci8 1, p. 51 (1843).

») A. Ch. 1843 (3), T. 7, p. 129 u. T. 8, p. 238. Ausführlicher und in lebhafteren Ausdrücken geschrieben, wurde diese Denkschrift von Ger- hardt im Jahre 1842—43 in der Rev. Scient. et Ind. des Dr. Quesne- ville 10, 12, 18, 14 veröflFentlicht. Sie ist von größter Wichtigkeit, was wir auch an anderer Stelle zeigen werden.

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Ist jedoch die Reaktion derart, daß ein zusammengesetzter Körper in zwei oder noch mehr andere zusammengesetzte Körper zerfällt, so hat jeder der letztern eine Molekel, die wieder zwei Volume einnimmt:

CgH„Oj = CsHaOj + CjHgOj 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

Erzeugt sich aber in den Reaktionen Kohlensäureanhydrid, Wasser oder Ammoniak, so entspricht die Quantität dieser zwei Volumen oder einem Vielfachen davon:

CHjCOOH = CO, + CH* 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

C.HjCOOH = CO, + CeH, 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

Die Phthalsäure z. B. kann sich zerlegen in COg und Benzoesäure:

/COOK C.hZ = CO, + CeHjCOOH

\COOH 2 Vol. 2 Vol. 2 Vol.

Nehmen wir ein Zahlenbeispiel, und zwar Salicylsäure, die sich durch Hitze in Phenol und Kohlensäure zersetzt. Es ist

die Formel == 2, d. h. das Molekulargewicht durch die Dichte,

bezogen auf Wasserstoff, ist 2. Die Dichte des Phenols ist 47 und die der Kohlensäure ist 22. Man weiß, daß 138 g

Salicylsäure 94 g CgHßO, d. h. ^ = 2 und daß sie 44 CO^ geben; d. h. ^ = 2.

Geehabdt verallgemeinerte die Hypothese Avogadeos in ihrem ganzen Umfange und zog aus ihr alle Folgerungen.

Nach Gebhabdt stellte Claüsitjs (1850— 1860) die Hypo- these der gleichen Molekelzahl in gleich großen Gasräumen als Basis für die kinetische Gastheorie auf, und seitdem war die Hypothese Avogadeos die Grundlage aller modernen che- mischen, physikalischen und mechanischen Ideen. ^)

In den letzten Jahren seines Lebens hat Geehabdt das AvoGADEOsche Gesetz ganz angenommen und zwar in der

') MendelejeflF, Principes de chimie, Vol. 1.

Kahlbaum, Monographieen. VII. 10

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Form, daß die Molekulargewichte aller Substanzen denselben Gasräumen, d. h. zwei oder vier Dampfräumen, entsprechen müßten, je nachdem man das Atomgewicht für Cgieich 12 oder 6 annimmt. Wenn die Wasserstoflfmolekel, welche 2 wiegt, zwei Volume einnimmt, so müssen alle Molekeln der andern Substanzen das gleiche Volum einnehmen; daher bedürfen die Molekeln der verschiedenen Stoffe im gasförmigen Zustande alle des gleichen Raumes; folglich sind die Gewichte der Molekeln zweier verschiedener Gase oder Dämpfe proportional dem Gewichte gleicher Eäume dieser Gase, d. h. sie verhalten sich wie die Dichten. In allen seinen Denkschriften nahm er zwei Gasvolume an.

Hierzu sagt Naqüet^) mit Recht, das Genie läßt sich von einer allgemeinen Regel durch Hindernisse oder Aus- nahmen nicht abbringen. Es ist wahr, Geehardt bemerkte, daß es Körper gibt, welche dem Gesetz der zwei Volume nicht entsprechen, wohl aber einem von vier Volumen. Solche sind die Schwefelsäure , Chlorammonium , Phosphorpentachlorid u. s. w.; trotz alledem schrieb er diese Körper doch mit den Normalformeln HgSO^, NH^Cl, PClj und stützte sich hier auf die Atomgewichte der Elemente und die Analogien. Diese Aus- nahmen wurden später von Cannizzaeo und Kopp theoretisch so erklärt, daß sie eine Dissoziation der Molekel annahmen, eine Annahme, welche experimentell von Pebal, Maeignac, Wankltn, Wuetz u. s. w. bestätigt wurde, wodurch dann das Gesetz von Avogadeo, besonders nach den Untersuchungen von Cannizzaeo, ganz allgemein angenommen wurde.

Heute, wie es scheint, existieren diese scheinbaren Aus- nahmen, die in den Jahren 1860 1880 so große Auseinander- setzungen veranlaßten, nicht mehr, zumal Bakee und andere bewiesen, daß völlig trockenes Chlorammon, Kalomel u. s. w. eine vollkommen normale Dampfdichte besitzen.

Geehaedt selbst hat wirklich auch zuweilen an der Richtigkeit des Gesetzes gezweifelt; aber in seinem wissen- schaftlichen Testamente, in seinem großen Werk ..Ti;iit<^ de

^) Le de inier ouvrage sur Ch. Gerhardt, ParU 1900.

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Chim. Org.'* (1852 56) hat er das Gesetz Avogadros (ohne diesen selbst zu nennen) ohne Einschränkung angenommen.

Im Band 1, S. 581 seines Traitö und auch in seinem Pr6cis de Chim. Org., 1844. 1, Seite 240, bemerkt er, daß der Hexachlormethyläther CjClgO eine Dampfdichte von vier Vo- lumen und nicht von zwei Volumen hat; es erklärt sich jedoch diese Abweichung durch die Annahme, daß dieser Körper im Dampfzustand in eine Mischung von gleichen Volumen CCl^ und COCl,, deren Dichte genau die Hälfte der von C,ClßO ist, zerlegt sei.^)

Gerhaedt verglich immer nur die Körper unter der Vor- aussetzung des gleichen Volumens und des Dampfzustandes. So z. B. begründete er, daß die neutralen Ester der ein- basischen Säuren ein einziges Alkoholradikal enthalten,^

X-COOR/ während jene der zweibasischen Säuren zwei,

,COOR

X^

Njoor'

und jene der dreibasischen Säuren drei Alkjle enthalten. Ferner zeigte er, daß die Chloride der einbasischen Säuren im Dampfzustand und in gleichen Volumen Cl oder Cl^ für die zweibasischen und Cl, für die dreibasischen Säuren ent- halten. Dies ist ein Weg, Avogadros Gesetz zu verall- gemeinem. Der ganze theoretische Teil seines Trait6 (Band 4) ist auf diese Art, die Körper zu betrachten, begründet.

Alles dies betrifft die organische Chemie: für die anorga- nische Chemie nahm man Quecksilber, Phosphor, Arsen u. s. w. als Ausnahmen an, weil in einzelnen Fällen die gefundene Dichte doppelt so groß wie die theoretische war. Man schrieb dem Atom Eigenschaften zu, die nur der Molekel zukamen. Während Beezelics die Teilbarkeit der Molekeln überhaupt nicht annahm, fiel Gerhardt ins andere Extrem und

*) Was die abnormen Dampfdichten angeht, worüber wir jetzt nicht sprechen können, siehe die Abhandlung: Le densitÄ anomale dei vapori, V. Prof. J. Guareschi, Vol. 8, p. S der Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften des Instituts von Bologna.

*) Trait^, Vol. 4, p. 658.

10*

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nahm an, daß alle Molekeln in zwei Atome teilbar seien, d. h. wie der Wasserstoff doppelatomig = HH konstituiert. Den Irrtum erkannten, wie Naqüet richtig sagt, weder Laurent, noch Geehaedt, noch Wuetz. Hierum erwarb sich Cannizzaro ein großes Verdienst dadurch, daß er die wahre Bedeutung der zwei oder vier Volume klar darlegte und auseinander- setzte, daß das Gesetz von Avogadeo sich auf die Molekeln und nicht auf die Atome bezöge.

Fassen wir das bisher Mitgeteilte zusammen, so können wir sagen, daß, obschon Geehaedt viel dazu beitrug, dieser Hypothese oder diesem Gesetz geziemende Geltung zu ver- schaffen und er auf anderm Wege dazu gelangte, es nicht richtig ist, dasselbe Gesetz von Avogadeo - Geehaedt zu nennen, wie Mendelejeff das vorschlägt.

Sapoeta, welcher in seinem Buche ,,Les thöories et les notations de la Chimie moderne", 1889 p. 11, das Hauptverdienst um die Molekularhypothese mit Recht Avogadeo und nicht AMPiiEE gibt, bestätigt, daß der ,, wenig bekannte" turinische Physiker im Jahre 1811 der Akademie der Wissenschaften in Paris eine Mitteilung von seiner Arbeit machte, zu einer Zeit als Piemont von Frankreich annektiert und Avogadeo daher französischer Bürger war. Ich habe nicht feststellen können, ob Avogadeo mit seinem bereits gedruckten Aufsatz der Aka- demie nur eine Widmung gemacht hat, oder ob er ihn der Akademie zur Veröffentlichung vorgelegt hat und derselbe von ihr nicht angenommen wurde. Über letzteren Fall würde ich mich nicht wundern.

Vielfach hat man die Ideen Avogadeos nicht genau er- örtert. Wuetz z. B. sagt in seiner „Faraday Lecture": „Über den Aufbau der Materie im gasförmigen Zustand", die im Jahre 1878 in der Royal Institution gelesen wurde: „Zu- erst vereinfachte Geehaedt den Satz Avogadeos, der voraus- setzte, daß in der Chlor- oder Wasserstoffmolekel vier Atome enthalten seien, indem er darin nur deren zwei annahm." Dies ist unrichtig. Wer die Denkschrift Avogadeos liest, sieht, daß in ihr dies nie gesagt wird. Vielmehr war, wie sich zeigen wird, Ampäee der, welcher annahm, daß die Par- tikeln (unsere Molekeln) des Sauerstoffs, des Stickstoffs und des

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"Wasserstoflfs aus vier Molekeln (unsern Atomen) zusammen- gesetzt seien. Um sich hiervon zu überzeugen, vergleiche man den Brief Amp£bes an Beethollet, in dem er seine Ansichten niedergelegt hat. ^)

Man muß außerdem bedenken, daß Amp£be diese Hypo- thesen auch auf die Theorie der Formen der integrierenden Kristallmolekeln anwendet. Nach ihm wird die integrierende Molekel elementarer Substanzen im allgemeinen von vier ein- fachen Molekeln gebildet, die in den Ecken eines Tetraeders liegen.

Hoefee schreibt in seiner kurzen „Histoire de la Phy- sique et de la Chimie'S 1872 p. 544, an der Stelle, wo er AvoGADKO bespricht, völlig unparteiisch: ,, Diese schöne Hypo- these, die erst keine Beachtung fand, wurde von Ampere im Jahre 1814 aufs neue mit dem Unterschied veröflfentlicht, daß er Molekeln die Atome und Partikeln das, was Avogadeo mit integrierender Molekel bezeichnete, nannte. Es entstand so in der wissenschaftlichen Ausdrucksweise eine ärgerliche Ver- wirrung; man ging von Avogadeos Idee aus, welche Amp^be aufs neue veröffentlichte (und die nachher von Beezeliüs in schlechter Weise abgeändert wurde) und sagte: „Gleiche Gas- volume enthalten .eine gleiche Anzahl von Atomen." Sogar nach 1865 begriffen berühmte Chemiker die Hypothese Avo- gadeos nicht. In einem Aufsatz über das Gesetz der Volume bei den doppelten chemischen Zersetzungen sagt Semenow:*) ,, Andererseits nimmt man heute, gemäß den Ideen von AmpSee und Avogadeo, allgemein an: Gleiche Gasvolume enthalten eine gleiche Anzahl von Atomen; die Atomgewichte der Gase sind infolgedessen den Dichten derselben proportional. Außer- dem sind andererseits fast alle Chemiker übereingekommen, gleich wie Geehaedt, für das Molekulargewicht der Körper jenes von zwei Volumen im gas- oder dampfförmigen Zu- stand anzunehmen. Nimmt man diese zwei Voraussetzungen an u. 8. w." Semenow bemerkte nicht, daß die Darlegung von Geehaedt nichts anders, als eine neue Ausdrucksweise

>) Ann. d. Chim. et Phys. (1), 1814, T. 90, p. 43. ») Bull. Soc. Chim. (2) T. S, 1865, p. 838.

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des AvoGADEOschen Gesetzes war, und daß dasselbe, wie es im ersten Satze lautet, ungenau ist.

In einer umfangreichen Geschichte der Chemie findet man den im vollsten Ernste geschriebenen Satz: „Die Folge der geistreichen Hypothese AMPf;EEs und Avogadros ist not- wendigerweise die, daß die Gewichte der Atome proportional den Gasdichten sind, bezogen auf Wasserstoff als Einheit."') Man beachte, daß der Verfasser in seiner Vorrede bescheiden schreibt: ,,La chimie scientifique est donc, dans ses grandes lignes, une science frangaise. C'est pour le d^montrer, que le präsent ouvrage a 6t6 6crit."

In gleicher Weise verwechseln auch noch andere, selbst neuere Verfasser, wenn sie auch die Hypothese Avogadeos annehmen, immer Atom mit Molekel.

J. W. GüNNiNG schlug in seiner Arbeit: „Sur l'emploi du th^oreme d'AvoGADEO dans la Chimie", in der er Avogadeos Theorie annimmt, vor,^ die Molekulargewichte, welche für die dissozierenden Körper allgemein angenommen wurden, zu ver- doppeln, so daß ihre Volume zwei Volumen entsprächen, also zu schreiben (H2)2, (HC1)2, {C]^\, {üg\ u. s. w., um so die Regel von AvoGADEO aufrecht zu erhalten und für jene Körper, die eine abnorme Dichte haben, anwenden zu können, indem man (NH4C1)2 schreibt, ein Vorschlag, der von niemandem ange- nommen wurde.

Einige derer, die Mathematik auf chemische Probleme anwenden, kennen die Chemie kaum, ja verachten sie fast. So erklärt Duhem,^ das Molekulargewicht der einfachen Körper sei das Doppelte des Atomgewichtes. Er faßt die Hypothese Avogadeos in die Worte zusammen: „Alle Körper, ob einfach oder zusammengesetzt, sind zweiatomig u. s. w."

Aus welchem Grunde wurde der Name Avogadeo während so langer Zeit fast vergessen?

*) Jagnaux, Histoire de la Chimie, 1891, Vol. 1, p. 236.

'^) Scheikundige bydragen uit het laboratorium van het Atheuaeum illustre te Amsterdam uitgeven door J. W. Gunniug. Deel 1, Nr. 1, 1867 uud Zeitschr. f. Chem. IV, S. 367 und Arch. Neerland. des Sciences eiact. et natur., 1869, T. 4, p. 73.

») Traitö 616m. de M6canique chimique, T. 2, p. 237 bis 239.

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Wie so viele Männer, die sich durch theoretische, nicht aber durch experimentelle Arbeiten hervorgetan haben, so wurde auch Avogadeo, oder besser gesagt seine Hypothese, bei ihrem Erscheinen, und noch 50 Jahre später, unbeachtet gelassen. In den Fällen, in denen seine Hypothese von Schrift- stellern angedeutet wurde, geschah es immer unter dem Namen der Hypothese von Amp£re oder höchstens von AmpSre und AvoGADRO, wie bereits gesagt wurde.

Der erste Versuch der Verallgemeinerung, sagt Beezeliüs, gelingt selten; die Spekulation geht dem Versuch vorauf, welch letzterer ihr nicht so schnell folgen kann.

Dumas in seinen „Legons de philosophie chimique," ver- öffentlicht im Jahre 1837, nennt den Namen Avogadro nicht; er erwähnt ihn jedoch in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1826 ,,Sur quelques points de ia Theorie atomistique,"^) aber auch hier nur am Ende und nachdem er vorher einige Male Am- pere genannt hat. Auch in dieser Denkschrift, so wichtig sie auch ist, verwechselt er Atom mit Molekel und glaubt, daß man durch Bestimmung der Dichte das Atomgewicht er- hält, indem er annimmt, die Dichte sei den Atomgewichten proportional.

Berzelius^) erklärt die Hypothese Amperes, die damals Dumas unterstützte, für absurd, weil sie eine Teilbarkeit der unzerlegbaren Atome voraussetzt.

Nachher zeigte sich Dumas als Gegner sowohl der Hypo- these Avogadros, als auch der Volume von Berzelius. Im Jahre 1836 sagt er auf Seite 284 der angezogenen Arbeit (Le^ons de philosophie chimique, 2°»» Edition), nachdem er das Gesetz der Volume von Gat-Lussac besprochen hat: ,,Aber wenn Dalton, auf seine Hypothesen vertrauend, dieses schöne Naturgesetz auch leugnete, so gibt es andererseits viele Chemiker, die sich daraus eine Basis geschaffen haben, um sich in andere Hypothesen zu stürzen; eine doppelte Klippe, welche die Weisheit des Begründers gleichfalls zu ver- meiden gewußt hatte. Denn die Mehrzahl der Chemiker, die

') A. Ch. 1826 (2) T. 33, p. 337. ») Jahresbericht, 1826, S. 80.

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ßicli mit Spekulationen über Atomtheorie befaßten, und auch einige Physiker, die sich mit dieser Frage beschäftigten, glaubten ohne zu großes Risiko annehmen zu dürfen, daß in den Gasen die Atome in gleicher Entfernuug voneinander liegen und daß in den gleichen Volumen zweier verschiedener Gase mithin dieselbe Anzahl von Atomen enthalten ist." Es ist klar, daß hier Dumas Avogadeo, AmpSee und Beezelius meint.

Malaguti in seinen „Legons de Chimie" erwähnt Avo- gadeo nicht.

Die Zeitschrift „II Nuovo Cimento", damals geleitet von Matteucci und Pieia, zeigte den Tod Avogadeos^) mit Worten an, welche dessen edles Gemüt und dessen Bescheidenheit schildern und die wir hier wiedergeben:

„Wir müssen einen neuen Verlust beklagen, der die physikalisch-mathematischen Wissenschaften in Italien jüngst betroffen hat. Am 9. Juli 1856 starb in Turin der Graf Amedeo Avogadeo, weiland Professor der Physik an der könig- lichen Universität von Turin, einer der ehrbarsten Bürger, allgemein wegen der Bescheidenheit und Einfachheit seines Wesens geschätzt. Er schrieb verschiedene Abhandlungen über die spezifische Wärme der Dämpfe und der Atome der zusammengesetzten Körper, über das Gesetz der Komprimier- barkeit der Gase u. s. w., und in der Geschichte der Wissen- schaften werden die Studien Avogadeos über die Atomvolume und ihre Beziehung zur chemischen Affinität, wie die über den Platz, den die Stoffe in der elektrochemischen Reihe ein- nehmen, immer als die ersten Versuche, die in diesem wich- tigen Zweig der Molekularphysik gemacht wurden, erwähnt werden. Avogadeo befaßte sich nach der Entdeckung des Galvanometers als einer der ersten mit elektrochemischen Studien und stellte mit Michelotti einige wichtige Unter- suchungen über die chemische Theorie der Säule an. Schließ- lich gab er ein vierbändiges Werk über die Physik der wäg- baren Körper heraus, das mit all jener Sorgfalt und jenem Umfang des Wissens, welche man an allen seinen Werken

*) Nuovo Cimento 1856, Vol. 3, p. 473.

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bewundert, ausgestattet war. Stets werden diese vier Bände Ton allen Physikern mit Nutzen zu Rate gezogen werden. Der Tod Avogadbos nimmt dem Lande einen guten Bürger, der Wissenschaft einen berühmten Forscher und den Freunden einen Mann von Herzen und unschätzbarem Geiste."

Hier wird, wie man sieht, das berühmte Gesetz nicht einmal mit einer kurzen Bemerkung gestreift.

Gripftn, der, wie es scheint, auch die Teilbarkeit der Molekeln annimmt und einige Ideen Geehaedts über die Säuren und die Hydrate für sich (1834) und für Clakk (1826) beansprucht, nennt Avogadeo nicht ^) Das gleiche kann man von KEKULfe in seinem großen „Lehrb. d. Org. Chem." Bd. 1, 1859—1861 sagen.

Auch in De Candolles schönem Buche: „Histoire des Sciences et des Savants depuis deux si^cles'-, 2. Aufl. 1885, wird man seinen Namen nicht erwähnt finden. Ebensowenig nennt Peebin, der mit dem Halten physikalisch -chemischer Kurse in der Sorbonne betraut wurde, in einem Vortrag über die Molekulartheorie Avogadeo.

So könnte man noch viele andere Fälle anführen. Die Gründe aber, warum die Zeitgenossen Avogadbos bis 1858 und auch noch späterhin seine Molekulartheorie nicht in der gebührenden Weise beachteten, oder weshalb die Theorie unter dem Namen der AMPtEEs bekannt war. sind gar zahl- reicher Art.

So hatte Italien bis 18-10 noch keinen eigentlich großen Chemiker hervorgebracht. In einer Zeit, in der die anderen Länder Männer hatten wie Black, Scheele, Cavendish, Peiest- LEY. Beegmaxn, Lavoiseeb, Peoust, Maeggeaf, Klapeoth, Richteb, Wenzel, Davt, Dalton, Wollaston, Bebthollet, Gat-Lussac, Bebzeliüs u. 8. w., konnte Italien keinen ein- zigen von Bedeutung nennen.*)

») The Badical Theory in Chem., London 1858. Rev. Sc. 1901, T. XII. p. 449.

*) Es ist eine sonderbare Erscheinung, die man in der wiasenschaft- lichen Entwickelung Italiens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vrahmimmt, und auf die ich bei Gel^enheit zurQckkommen werde. Während auf dem Gebiete der Physik Italien Männer von Bedeutung

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Gegen 1840 hatte Malaguti, der seit acht Jahren in Frankreich lebte, seine wichtigsten Untersuchungen noch nicht vollendet. Pieia, Selmi und Sobeeeo standen erst im Anfang ihrer Laufbahn.

Die italienischen Schriftsteller der Chemie aus jener Zeit erwähnen entweder Avogadeo nicht, oder nur nach Amp^ee, und zeigen, daß sie die große Wichtigkeit seiner Arbeiten nicht verstanden haben.

Einer der wenigen italienischen Schriftsteller von 1811 bis 1850, welche Avogadeo nennen, ist See. Püegotti in seinem „Trattato di Chimica" 1841, Vol. 2, p. 383. Hier sagt er, daß Amp^ee und Avogadeo fast gleichzeitig mittels der algebraischen Berechnung ableiteten u. s. w. Nachher be- spricht er mit großer Unbestimmtheit, was die Dichte von Gasen und die Atomgewichte betrifft. Sogar gehört er zu den Chemikern, welche den Namen Atom ganz abzuschaffen wünschen.

Wenn selbst italienische Autoren Avogadeos Arbeiten derartig entstellten, begreift man, warum sie keinen Anklang finden wollten. Der richtige Moment hierfür war noch nicht gekommen.

Avogadeo war so vergessen, daß Heemann Kopp in seiner „Geschichte der Chemie", erschienen in vier Bänden, veröffent- licht 1841 1847, ihn nicht nennt, und ebensowenig nennen ihn Geeding in seiner „Geschichte der Chemie", veröffentlicht 1867, und in der 2. Auflage von 1869, und auch andere nicht.

In seinem Werke „Die Entwickelung der Chemie in der neueren Zeit", München 1873, auf S. 353 bis 354, erwähnt H. Kopp ihn doch und erklärt das Stillschweigen über die Hypothese Avogadeos folgendermaßen:

„Der Inhalt dieser Abhandlung, auf welche wir jetzt als

wie Volta, Galvani, Beccaria, Fontana, Avogadro, Zamboni, Nobili, Melloni, Marianini, Volpicelli, Mossotti, Matteucci, Botto, Belli, Scacchi, Amici, Zantedeschi, Oriani, Plana, Car- lini, Santini u. s. w. hervorbringt, brachte es bis 1840 ungefähr keinen großen Chemiker hervor, obgleich man mit Ehren: Brugnatelli, Sco- poli, Giobert, Saluzzo, Morozzo, Bizio, Morichini, Krämer u. 8. w. erwähnen kann.

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auf eine Grundlage für die Bestimmung der Molekulargewichte, für die Unterscheidung zwischen Molekülen und Atomen ab- gebend, blicken, blieb damals ohne jeglichen Einfluß auf die Gestaltung der Lehre von den Verbindungsverhältnissen der Körper; er wurde kaum beachtet. Das beruhte einigermaßen darauf, daß zu jener Zeit, wo eben erst die Chemiker au- gefangen hatten, sich mit der Zurückführung der Zusammen- setzungsveihältnisse der Verbindungen auf die relativen Ge- wichte der kleinsten Teilchen der Bestandteile zu beschäftigen, die Unterscheidung von zweierlei Arten solcher Teilchen, physikalisch kleinster und chemisch kleinerer, wie später deut- licher als damals unterschieden wurde, diese Lehre eher zu komplizieren, als verständlicher zu machen schien. Aber gewiß beruhte es noch mehr darauf, daß Avogadhos Theorie dargelegt wurde, ohne irgend welche neue Tatsachen zu bringen. Wäre die Aufstellung seiner Theorie mit der Angabe und dem Nachweis von so wichtigem Tatsächlichen, wie es in Gay-Lussacs Volumgesetz den Chemikern geboten wurde, verknüpft gewesen, oder hätte sie nur zu der experimentalen Entscheidung als wichtig betrachteter Fragen Veranlassung gegeben, so wurde seine Mitteilung nicht so gänzlich vernach- lässigt geblieben sein, wie dies der Fall war; als eine rein spekulative Beschäftigung mit einem der Chemie zugehörigen Gegenstande seitens eines Mannes, von welchem auf diesem Gebiete des Wissens keine andern Arbeiten bekannt waren, die zu der Beachtung jeder von ihm ausgesprochenen Ansicht veranlaßt hätten. Avogadros Untersuchung, welche in Frank- reich veröffentlicht wurde, erregte selbst hier so wenig Auf- merksamkeit, daß AMPfeRE einige Jahre später erst, nach der Abfassung einer Abhandlung, in welcher er eine ähnliche Betrachtungsweise entwickelte, von ihr Kenntnis erhielt; und wiederum gewann auch Amp£re, der doch schon als Mathe- matiker sich einen angesehenen Namen gemacht hatte und den Fortschritten der Chemie mit Interesse folgte, dieser Be- trachtungsweise unter den Chemikern zunächst noch nicht Anhänger.'*

Kopp ist gegen Avogadbo zu streng, wenn er sagt, daß Avogadro keine andern Arbeiten, durch die er bekannt ge-

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worden sei, veröffentlicht habe. Dessen Arbeiten über die Atomvolume, die spezifische Wärme u. s. w., obwohl sie nicht frei von experimentellen Fehlern waren, kannten die Chemiker und Physiker. Eegnault zitiert Avogadro verschiedene Male. Über fast alle Arbeiten Avogadeos finden sich in den ersten wissenschaftlichen Zeitschriften seiner Zeit, wie den Annales de Chimie et de Physique, den Gilberts Annalen, den Archives des Sciences Naturelles von Genf u. s. w. Referate. Kopp, der in seiner Geschichte der Chemie in 4 Bänden BAUALfe und andere Chemiker, die so viel Albernheiten geschrieben haben, erwähnt, durfte ohne Zweifel mit viel mehr Recht Avogadro nennen.

Es gab aber auch noch einen andern Grund, der die Hypothese Avogadros nur so langsam zur Annahme gelangen ließ; der Zustand der Unfertigkeit, in dem sich damals, 1810 1840, die Chemie befand, machte diese Hypothese weder dringend noch notwendig. Das Material, bei dem sie sich anwenden ließ, war sehr beschränkt. Von sehr vielen, bei hoher Temperatur flüchtigen Körpern kannte man die Dampfdichte noch nicht. Erst der große Fortschritt der or- ganischen Chemie (1840 1860) machte sie notwendig.

Nachdem Gerhardt beobachtet hatte, daß bei den che- mischen Reaktionen der organischen Stoße, wenn sich Kohlen- säure und Wasser abschied, dies immer im Verhältnis von COg und HgO oder einem Vielfachen davon, resp. NHg und HCl, geschah, und er beobachtet hatte, daß sowohl die rea- gierenden Stofi'e als die Reaktionsprodukte immer dem gleichen Gasvolumen entsprachen, nachdem man weiter durch andere, rein chemische Betrachtungen auf die Teilbarkeit der Mole- keln gekommen war und annahm, daß Chlor im freien Zustand ClCl, Wasserstoff HH, Äthyl C^Hg-CaHg, Alkohol CaH^GH, Äther (CgHJgO ist, kurz nach all diesen Versuchen von Ger- hardt, Laurent, Williamson erkannte man in all ihrem Glänze die AvoGADROsche Hypothese.

Ein weiterer Grund, warum das Gesetz bis 1860 nur wenig unter dem Namen Avogadros bekannt war, ist ferner der: Die Chemiker, welche sich bis 1860 am meisten mit diesem Gegenstand befaßten, waren Franzosen. Diese er-

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wähuten aber die Abhandlung Avogadbos. obwohl sie sie aus der in Frankreich verbreitetsten wissenschaftlichen Zeit- schrift, in der sie veröffentlicht war, kannten, immer nur unter dem Namen ihres durch seine Schriften bereits berühmten Landsmannes Ampere.

Suchten doch einige der bekanntesten Chemiker Frank- reichs, wie Dumas und Wuetz, sogar zu beweisen, daß die Chemie hauptsächlich eine französische Wissenschaft sei. WüBTz z. ß. nennt in seiner schönen Rede:^) „La th6orie des atomes" Avoqadro nicht, sondern immer nur Amp£ke. Er läßt die Verdienste aller französischen Chemiker hervortreten und übergeht die der Fremden fast völlig. Glücklicherweise haben sich jetzt die Zeiten geändert und sind die modernen französischen Chemiker liberale und unparteiische Männer und machen die berühmte Hypothese unter dem Namen Avogadbo, oder wenigstens Avogadbo -AmpSbe, bekannt Dumas und WuBTz konnten sich daran erinnern, daß Frankreich Lavoisieb, Pboust, Bebthollet, Gat-Lussac, Dülong und Petit besessen hatte und gerade deshalb hätten sie auch die Namen der berühmten Ausländer erwähnen müssen.

Eduabd Gbimaux war einer der ersten, vielleicht sogar der erste, der in Frankreich die Wichtigkeit der Abhand- lung Avogadbos kannte und höher als die AMPfJiEs schätzte. Li seinem sehr schönen Werke: „Thöories et notations chimi- ques", 1884, p. 44, schreibt er: „Diese Hypothese wurde von einem italienischen Physiker Avogadbo aufgestellt, von Amp£bb von neuem dargelegt und ist mit Unrecht unter dem Namen Hypothese von Amp£ee bekannt.'* Derselbe Gbimaux führt fast vollständig die Abhandlung Avogadbos zugleich mit jener Gaudixs an, während er die Ampäbes nur kurz andeutet.

Jedoch auch Wubtz schätzte das Verdienst Avogadbos sehi-, wie aus seiner „Faraday Lecture" in der Royal in- stitution 1878 ,,Über den Aufbau der Materie im gasförmigen Zustand" deutlich hervorgeht, und in der er zeigte, wie Avogadbo die Molekel (integrierende Molekel) von dem Atom

") La thdorie des atomes dans la cooception gön^rale du monde. Parifl 1875,

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(elementare Molekel) genau unterscheidet. Diese scharfe Trennung bei Avogadko verstand Berzelics nicht, ^) der das Atom Daltons mit der Molekel Avogadeos verwechselte und

^) Avogadro veröfiFentlichte im Jahre 1809 einen Aufsatz: „Idees sur l'acidit^ et l'alcalinite (J. de Phys. T, 69, p. 142), in dem er, auf Grund von Davy sehen Untersuchungen, richtige Ansichten über Säuren und Alkalien äußerte: Er stellt fest, daß die Körper eine einzige Reihe in Bezug auf den entgegengesetzten elektrischen Zustand bilden. In dieser Reihe sind die Stoffe, die an dem einen äußersten Ende stehen, Säuren gegenüber den Körpern, die näher zum andern Ende hin liegen, welche Basen sind, und dies um so stärker, je weiter entfernt voneinander sie sind. Avogadro kommt auf diese Ideen über den Einfluß der Elektri- zität auf die sauren oder basischen Wirkungen auch in seiner Abhand- lung vom Jahre IHll zurück.

Berzelius veröffentlichte in Schweiggers Journal für Chemie und Physik Bd, 6 und in den Ann. de Chimie (1), 1813, T. 86, p. 146 einen Auf- satz über den Einfluß der Elektrizität auf die Affinität, als Grundlage einer elektrochemischen Chemie, welche nach Avogadro eine große Analogie mit seinen Ideen hat, was letzterer daher in einer kurzen Be- merkung hervorhob: „Reflexions sur la theorie ^lectro-chimique de M. Berzelius" (Ann. de Chimie (1) 1813, T. 88, p. 286). Berzelius ant- wortete nicht, obwohl er doch notwendigerweise die wichtigsten Arbeiten Avogadros kennen mußte, da sie in demselben Journal erschienen, in denen auch er viele seiner Abhandlungen veröffentlichte, nämlich im Journal de Physique de Delamötherie oder in den Ann. de Chim. et de Phys. Er erwähnt in seinen Schriften Avogadro niemals, weder in der im Jahre 1811 veröffentlichten Arbeit: ,, Versuch einer lateinischen Nomenklatur für die Chemie nach elektrisch-chemischen Ansichten", die in demselben Baude (73, p. 253) erschien, in dem Avogadros Abhand- lung abgedruckt wurde und in der er auf Seite 277 seine elektrochemische Theorie bringt, noch in dem „Memoire sur les rapports des principes dans les corps des r^gnes organisds" (p. 464), Ich sagte oben, Ber- zelius erwähne Avogadro niemals in seinen Schriften, wohlvei*standen, im Zusammenhang mit dem molekularen Aufbau der Gase. In andern Fällen erwähnt er ihn dagegen, so z. B. in seinem Jahresbericht für das Jahr 1846, wo er Avogadros Denkschrift über die Atomvolume anführt und sagt: „Avogadro hat hierüber eine sehr interessante Arbeit ver- öfifentlicht." Berzelius führt in den ersten Jahrgängen seiner Berichte Avogadro immer irrtümlicherweise als Avogrado an.

Avogadro ist viel bescheidener und erwähnt immer Berzelius mit Bewunderung. Jedoch die ungerechte und verächtliche Weise, mit der Berzelius, gemeinsam mit Dumas und Liebig, den Laurent und Gerhardt und andere Chemiker behandelt, gibt uns auch eine Erklärung für das Übergehen Avogadros seitens Berzelius'.

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beim Formulieren der Hypothese Avogadbos Molekel durch Atom ersetzte. Er sagt daher falsch: in gleichen Gasvolumen sind gleiche Anzahlen von Atomen enthalten. Auch dies war sicherlich wieder ein Grund, weshalb die Chemiker die Hypo- these Avogadbos nicht richtig werteten. Die Formulierung von Bebzelius wurde lange Zeit zwar erörtert, jedoch von den Chemikern nicht angenommen.

„Fast ebenso schlecht (wie dem Gesetze von Dulokg und Petit), obschon noch weniger verdient, erging es der Hypo- these Avogadbos, gegen deren Berechtigung, außer den früher besprochenen, niemals ein irgend erheblicher Einwurf gemacht wurde, deren Mißgeschick vielmehr wesentlich darin bestand, daß sie von Anfang an in einer uns jetzt sonderbar erschei- nenden Weise mißverstanden, die Molekeln Avogadbos ohne weiteres mit Daltons Atomen identifiziert wurden, obschon es keinem aufmerksamen Leser der Abhandlung Avogadbos entgehen kann, daß diese in seiner Auffassung nur Teile jener sein konnten und sollten."^)

Eine der Ideen, welche die Chemiker von Avogadbo bis Claüsius nur mit größter Mühe begriflfen, war, daß die Mo- lekeln aus einer verschiedenen Anzahl von Atomen bestünden. Alle nahmen an, daß die Molekel nur zwei Atome enthielt, wie Hg, Oo. Clj, Nj, Brj, Sj u. s. w,, und fast als Ausnahme sahen sie es an, daß einige Molekeln einatomig (wie Hg, Cd, Zn) oder vieratomig (wie As, P) oder dreiatomig (wie Ozon) sein konnten; ein Aufbau, den Avogadbo und später Gaudin in ihren Abhandlungen so klar auseinandersetzten, worauf schon oben hingewiesen. Bebzelius begann bereits im Jahre 1813, Atom und Molekel zu verwechseln. In seiner schönen Arbeit: „Über die Zusammensetzung der Phosphorsäure, phos- phorigen Säure und der Salze beider nach den Ansichten der Korpuskulartheorie"*) sagt er: „Ich glaube, daß der größere Teil der Chemiker, die sich nicht blindlings den rein dynamischen Spekulationen gewisser Schulen unserer Zeit an- schließen, die die Materie als das Resultat zweier entgegen-

'J L. Meyer: Die modernen Theorien der Chemie: Schlußwort p. 615. *) Ann. de Chim. (2) 1816, p. 329.

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gesetzter Kräfte auffassen, ich glaube, sage ich, daß die Chemiker, die auf diese Ideen nicht eingeschworen sind, finden werden, daß die Phänomene der chemischen Proportionen sich besser verstehen lassen, wenn man annimmt, daß die Elemente sich von Atom oder Molekel zu einem oder mehreren Atomen oder Molekeln vereinigen. Mit einem Worte, ich bin über- zeugt, daß eine wohlverstandene Korpuskulartheorie, die die Kräfte, von denen die Vereinigung der Molekeln abhängt, nicht vernachlässigt, künftig die Basis der chemischen und physikalischen Theorien sein wird, gleichgültig, ob diese Theorie nun eine wahre Schilderung der Natur der Dinge oder nur ein Vorstellungsmodus, der uns begreifen und verstehen lehrt, was ohne dieselbe unausdrückbar und unbekannt sein würde, ist."

Dann spricht er von Daltons Korpuskulartheorie und er- wähnt die Untersuchungen Thomsons; den Namen Avogadro aber erwähnt er weder hier, noch anderswo.

Weiter in dem gleichen Aufsatz (S. 232) verwechselt er wieder Atom und Molekel, da er sagt: „wenn es richtig ist, die Stoffe als aus einfachen und der Hypothese nach unteil- baren Molekeln zusammengesetzt zu betrachten u. s. w." In dieser ganzen Denkschrift wird das Wort Atom synonym mit Molekel gebraucht.

Dies Vertauschen der Begriffe Molekel und Atom saß bei allen so tief, daß sogar manchmal auch Avogadeo selbst diesen Fehler beging, wie z. B. in seinen Denkschriften über spezifische Wärme und in seiner Mitteilung, die er auf dem Kongresse der italienischen Naturforscher im Jahre 1840 machte (Verhandlungen des Kongresses zu Turin 1841, p. 13), in welcher er sagt, daß die einfachen Gase in gleichen Räumen eine gleiche Anzahl von Atomen enthalten.

Der schwächste Punkt im Auftreten Avogadkos war, daß er, der mehr Physiker als Experimentalchemiker war, seine Hypothese oder sein Gesetz mit den großen Untersuchungen von Beezelius über die Atomgewichte und die Formeln der zusammengesetzten Körper nicht in Einklang zu bringen wußte.

Im Gegenteil, dies gelang zuerst Geehaedt und später besser Cankizzaeo. Alles dies erklärt sich aber, wenn man

IGl

überlegt, daß Avoüajdbo seine Hypothese zu einer Zeit auf- stellte, als, wie ich schon vorhin weiter oben bemerkte, das System der Formeln und Atomgewichte noch in den Kinder- schuhen steckte, und bedenkt, daß das Gesetz Avogadbos zum Molekulargewicht und nicht zum Atomgewicht führt.

Mau beachte ferner, daß Avogadbo nicht die Gelegenheit hatte, einer großen, auswärtigen Akademie anzugehören; er, der diese Auszeichnung mehr als viele andere verdient hätte, besonders zu einer Zeit, in der man zu auswärtigen Mit- gliedern der Akademie der Wissenschaften zu Paris Männer wie Cer\t und Poii ernannte, oder korrespondierende Mitglieder derselben Akademie oder der zu London oder Berlin ein Pater Bianchi, Pater Gako, Pater Della Tobbe, Tboja, Carbübi, Configliacchi u. s. w. wurden, Gelehrte, von denen heute niemand sagen kann, was sie geleistet haben, wenn man sich nicht an ein größeres biographisches Lexikon wendet, und deren Namen in der Geschichte der Wissenschaft gänz- lich vergessen sind. Avogadbo war aber, wie alle die, welche eine gründliche und gute Bildung besitzen, sehr bescheiden. Er ließ nicht einmal seine Denkschrift von 1811 in italienischer Sprache veröffentlichen, obwohl er sie mehrere Male in seiner Physik der wägbaren Körper erwähnt. Äußere Ehrungen oder das. was wii* dafür halten, strebte er nicht an. und nie dachte er daran, den Kollegen oder den Großen aufzuwarten, um in irgend eine Akademie einzutreten oder ein öffentliches Ehren- amt zu erlangen.

Während aber jene Obengenannten jetzt gänzlich un- bekannt sind, glänzt heute der Name Avogadbo auf den Titeln der wichtigsten modernen "Werke über theoretische Chemie, so z. B. bei Nebnst, der sein Buch betitelt: „Theore- tische Chemie vom Standpunkte der AvoGADBOschen Regel und der Thermodynamik". Seine Denkschrift erschien unter den ersten in Ostwalds Sammlung der klassischen Arbeiten.^) Die Zeit gibt jedem sein Recht.

Auch der Umstand, daß Avogadbo sein Gesetz auf die

*) Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften, Nr. 8, Leip- zig 1889.

Kahlbau Ol, Monograpbieen. VII. I>

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festen und flüssigen Körper ausdehnen wollte, trug nicht wenig dazu bei, dasselbe vergessen zu machen. Er schrieb: „Die Dichte eines Körpers, in welchem Aggregatzustand dieser sich auch befinden mag, muß notwendigerweise in einem Verhältnis stehen zu der Masse jeder seiner integrierenden Molekeln und zu der Anzahl dieser Molekeln, die sich in einem gegebenen Volumen des Körpers befinden. Diese Anzahl nun, wenn man die Molekeln gleichmäßig in dem Volumen, das man be- trachtet, verteilt glaubt . . . u. s. w."^) Er wollte "so die Atom- gewichte der nicht flüchtigen Elemente, wie vieler Metalle, ableiten u. s. w., und auf p. 308 erwähnten Werkes findet sich eine nicht sehr genaue Tabelle von Atomgewichten. Diese Ideen brachten naturgemäß seine schöne Hypothese über die molekulare Zusammensetzung der Grase in einen gewissen Mißkredit.

Wohl wendet man sein Gesetz auch auf feste und flüssige Körper an, aber nur wenn dieselben sich in aufgelöstem Zustand befinden, und es bedurfte eines Zeitraumes von 80 Jahren, bevor dies bewiesen werden konnte.

Seine Experimentaluntersuchungen über die spezifische Wärme der einfachen oder zusammengesetzten Körper lassen in Bezug auf Genauigkeit zu wünschen übrig. Dies bemerkt Regnaült in seiner ersten klassischen Denkschrift über die spezifische Wärme. Er fand im allgemeinen zu große Zahlen. Für das Jod z. B. 0,0890 statt 0,0541. Zwar sind einige seiner Bestimmungen, wie z. B. die des Arsens und Kohlen- stoffs, genau; im ganzen genommen konnte jedoch seine Methode zu sicheren Resultaten nicht führen. Alles dies tut dem Verdienst Avogadeos keinen Abbruch, erklärt jedoch zum Teil, warum bei den Chemikern und Physikern sein schöner Gedanke über die Gase die gebührende Beachtung nicht fand.

Dazu kommt noch das gänzliche Fehlen, oder besser die Schwächung des, wie ich es nennen möchte, Gerechtigkeits- sinnes, bei vielen Geschichtsschreibern und Forschern. Auch Gaudin, der selbst zu den Vergessenen gehört und der sich am meisten über die Ungerechtigkeit der Menschen beklagen

*) Physik der wägbaren Körper, T. 1, p. 305.

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dürfte, nennt in seiner Denkschrift von 1833 Avogadbo nicht, wohl aber Amp£re; und sicher kannte er doch die Denkschriften AvoGADBOS aus den Jahren 1811 und 1814, sei es weil die- selben gerade in Frankreich in einer der bekanntesten Zeit- schriften erschienen waren, sei es weil Amp£ee selbst in seinem Briefe an Berthollet Avogapros Namen nennt.

Caxxizzabo, der die hervorragendste Rolle auf dem Kon- gresse in Karlsruhe spielte, trug am meisten dazu bei, daß man AvoGADROs Hypothese in ihrer ganzen Allgemeinheit und rich- tigen Form annahm, so daß sie das Fundamentalgesetz der Chemie wurde. In seiner Broschüre: ,,Sunto di un corso di Filosofia chimica" (1858) würdigte er als erster die Hypothese AvoGADROs in der richtigen Weise, unterschied die Molekel vom Atom und setzte auseinander, daß die Hypothese Avogadros zur Bestimmung der Molekulargewichte führt, woraus sich dann nach- her die Atomgewichte ableiten lassen, wenn die Molekulargewichte vieler Verbindungen eines gegebenen Elementes und ihre Zu- sammensetzung in Prozenten bekannt sind.^)

..Ich glaube, daß die Fortschritte in der Wissenschaft, die in den letzten Jahren gemacht wurden, die Hypothese von AvoGADRO, AMPfiBE .Und DcMAS über den gleichartigen Aufbau der Stoffe im Gaszustande bestätigt haben ; d. b. gleiche Volume einfacher oder zusammengesetzter Körper enthalten eine gleiche Anzahl Molekeln, aber nicht die gleiche Anzahl Atome, da die Molekeln der verschiedenen Stoffe oder die des gleichen Stoffes in seinen verschiedenen Zuständen eine verschiedene Anzahl Atome gleicher oder verschiedener Natur enthalten können."*)

Dieses Thema werden wir noch eingehender erörtern, wenn wir in unserer Geschichte das Gesetz der Atome*) und den Kongreß zu Karlsruhe besprechen werden, wobei wir auch das Verdienst Gerhardts betreffs der Verallgemeinerung der Hypothese Avogadros gebührend hervorheben werden.

') Naova Enciclopedia, VoL 1, p. 21.

*) Der tiefe Eindruck dieser Denkschrift ist in den schönen Worten, mit denen Lothar Meyer seine erste Anmerkung zur deutschen Aus- gabe der Sammlung „Klassiker der exakten Wissenschaften", Nr. 30, TOn Ostwald schließt, zu erkennen.

') Siehe auch Naova Endclop., Vol. 1, p. 22.

n*

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In der wichtigsten Periode des Streites um die Annahme der Hypothese Avogadeos erkennt Clausius, unabhängig von den Chemikern, ohne vielleicht diesen Kampf überhaupt zu kennen und nur aus rein physikalischen Folgerungen, die er aus der mechanischen Wärmetheorie zieht, daß man diese Hypothese unter jeder Bedingung annehmen muß (L. Meyek). PiEiA nennt in einer Abhandlung im Nuovo Cim. 1857, vol. 6, p. 24, in der er die Hauptbeweismittel für die Annahme der Teilbarkeit der Molekeln gibt, Avogadeo nicht, und auch er, wie Geehaedt, nimmt an, daß die Molekeln aller Elemente, Metalle inbegriffen, aus zwei Atomen zusammengesetzt sind; ebenso in seinen ,,Lezioni di Chimica organica'"'.

Man muß aber berücksichtigen, daß die Veröffentlichung, die 1857 begann, 1865 abgeschlossen wurde. Ich habe das Glück gehabt, in den ,,Efi'emeridi della Pubblica Istruzione" vom 17. Juni 1861 eine Zusammenstellung (die von Missaghi herrührt) über einige Vorlesungen zu finden, die Pieia nach seiner Eückkehr von Neapel, wohin er als Beirat des Statt- halters gegangen war, gehalten hat, und aus denen hervorgeht, daß er das Gesetz Avogadeos, wie auch die Vorstellung der ein-, zwei- und mehratomigen Molekeln, angenommen hatte, und in denen man den Einfluß des Werkes Cannizzaeos „Sunto di filosofica chimica" wohl spürt.

L. Meyee schätzte nach 1860, zu einer Zeit, wo Avo- gadeos Werk fast vergessen war, dasselbe ganz besonders hoch und hob auch die Verdienste Cannizzaeos gebührend hervor.

Er sagt: „Bis zum Jahre 1858 etwa glaubte man all- gemein, daß für eine Reihe von Elementen die Dichte im Gaszustande zu einem andern Atomgewicht führe als die spezifische Wärme. Damals aber zeigte Cannizzaeo, daß dieser scheinbare Widerspruch lediglich aus einer unrichtigen Interpretation der längst bekannten Tatsachen entspringt, welche schon Avogadeo richtig gedeutet habe. Erst von da an begannen jene beiden wichtigen Hilfsmittel vollkommen richtig gewürdigt zu werden."^)

') Die modernen Theorien der Chemie. S. 20.

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E. vox Meyer in seiner Geschichte der Chemie (1895) hebt auch kurz die Verdienste Avogädbos hervor; auch er zitiert die Denkschrift von 1811.

Odleng, auch ein Teilnehmer an dem Kongresse in Karls- ruhe, auf dem er eine bemerkenswerte Rede hielt, nennt in seinem vortrefflichen Werk ,.A Manual of Chemistry descriptive and theoretical", London 1861, Avogadbo nicht; er adoptiert die Tabelle der modernen Atomgewichte von CAN^^zzABO, unterscheidet aber nicht klar Molekulargewicht vom Atomge- gewicht, die er ohne Unterschied Proportionalzahlen nennt, so auch in der deutschen Übersetzung aus dem Jahre 1864 und in der französischen vom Jahre 1868.

H. Debüs hat im Jahre 1894 eine Broschüre veröffentlicht, in der er versucht, den Ruhm Lavoiseebs und besonders Avo- GADROS zu vermindern.^) Er will zeigen, daß Dalton bereits im Jahre 1801 annahm, daß gleiche Gasvolume gleiche An- zahl von Partikeln enthalten und besteht darauf, daß die Hypothese von Avogadbo Hypothese von Dalton -Avogadbo genannt werde, weil sie die von Dalton wieder aufnehme. Auch das noch! Auf Seite 48 seiner Broschüre sagt Debus:

„Das Gesetz der gleichen Gasräume wurde zuerst von Dalton angeführt, aber dann wahrscheinlich im Jahre 1807 als unhaltbar fallen gelassen. Vier Jahre später wurde es wieder von Avogadbo vorgeschlagen, ohne jedoch bei den Chemikern Anklang zu finden. Heute ist dasselbe allgemein unter dem Namen Gesetz von Avogadbo bekannt." Debüs warf LoTHAB Meyer, Ostwald und andern Chemikern vor, sie hätten einen Fehler begangen, denn die Hypothese, die man Dalton zuschreiben müsse, schrieben sie Avogadbo zu.

Nichts hat Dalton veröffentlicht, in dem man die Hypo- these, die jetzt den Namen Avogadbos trägt, erkennt.

Debüs behauptet, daß die konstituierenden Molekeln Avo- gadbos nicht unsere Atome bezeichnen. Wenn aber Avogadbo

') Über einige Fandamentalsätze der Chemie, insbesondere das Dalton-Avogadrosche Gesetz. Eine historische Untersuchung zur Er- gänzung der Lehr- und Handbucher von Dr. Heinrich Debus. (Früher Prof. d. Chemie a. d. Königl. Marine-Akademie in Greenwich o. s. w., Cassel 1894). Eine Broschüre von 100 Seiten.

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schreibt, daß das Wasser sich durch die "Wirkung von zwei Molekeln Wasserstoff und einer Molekel Sauerstoff bildet und daß die letztere sich hierbei in zwei Teile teilt, so schreibt er sehr genau, wie wir heute schreiben, 2U^ 4- Og = SHgO und die halbe Molekel ist in diesem Falle gerade das Atom.

Debus will glauben machen, daß Avogadko seine Molekeln den Atomen Daltons^ gleich setzte. Das ist unrichtig; in vielen Fällen, in denen Avogadro Molekel schreibt, meint er die Ele- mentarmolekel, d.h. das Atom; in der Tat, 7,5 ist die Hälfte der Molekel des Sauerstoffs. Die integrierenden Molekeln sind unsere jetzigen Molekeln.

Debus bestreitet ferner in einer Arbeit aus dem Jahre 1896,

betitelt ,,Über das Fundamentalgesetz der Chemie"^) einige

Punkte des von Roscoe und Haeden herausgegebenen Buches

„A new View of the Origin of Daltons Atomic Theory",

London 1896. Nach Debus : 1. Dalton wurde um das

Jahr 1801, durch mechanische Betrachtungen über den Gleich -

M gewichtszustand gemischter Gase geleitet, zur Hypothese = C

geführt, d. h. gleiche Volume verschiedener Gase enthalten unter normalen Bedingungen eine gleiche Anzahl von Molekeln.

2. Es ist höchst wahrscheinlich, daß die Hypothese = C^

zusammen mit Beobachtungen über die Verbindungen des

Stickoxyds und Sauerstoffs, Dalton zur Erfindung seiner

Atomtheorie veranlaßte. 3. Atomistische Ansichten bewogen

M Dalton im Jahre 1805, die Hypothese = C über Bord zu

werfen. 4. Wahrscheinlich entlehnte Avogadeo die jetzt seinen Namen tragende Hypothese von Dalton, und sollte man dieses, immer nach Debus, daher das Gesetz von Dalton- Avogadro nennen.

Es ist wahr, daß infolge seiner eigenen Untersuchungen über die Gase bei Dalton die Idee ihrer ähnlichen Konsti- tution entstand; aber gerade, weil er die physikalischen Mo- lekeln mit seinen unteilbaren Atomen verwechselte, verwarf er sofort diese Idee und bekämpfte dieselbe sogar. Wie kann

') Zeitschr. f. physik. Chem. 1896, Bd. 20, S. 359.

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man nun sagen, das Gesetz von Ayooadbo and die Idee der Teilbarkeit der Molekeln stamme von Dalton her?

Bebzelits war es, der diese Idee wieder aufgriff und annahm, daß gleiche Gasvolume die gleiche Anzahl Atome enthalten. Diese Fassung des Gesetzes ist ungenau und be- wirkte später eine große Verwirrung; sie trug dazu bei, die Anwendung der wahren AvoGADBOschen Hypothese zu ver- zögern.

Die einzige Andeutung, die Dalton über die gleiche Atomzahl in gleichen Gasräumen macht, ist folgende aus seinem Buch „A new System of Chemical Philosophy", 1. Teil (1808), p. 187—188, das von Alembic Club Reprints Nr. 4, p. 6 reproduziert wurde: ^)

,Jch will jetzt meine gegenwärtigen Ansichten über die gemischten Gasarten mitteilen, die sich etwas von denen, welche ich bei der ersten Bekanntmachung meiner Theorie hatte, unterscheiden, indem später angestellte Versuche manches in meiner ersten Vorstellungsart berichtigt haben. Indem ich meine Untersuchungen über die Natur der elastischen Flüssig- keiten fortsetzte, überzeugte ich mich bald, daß es nötig sei, sofern es nur irgend möglich wäre, auszumitteln: ob die Atome, oder kleinsten Teilchen der verschiedenen Gasarten, alle, unter gleichen Umständen der Temperatur und des Druckes der Atmosphäre, von derselben Größe oder demselben Volumen sind. Unter Größe und Volumen eines kleinsten Teilchens verstehe ich hier den Raum, welchen es im Zu- stande einer reinen elastischen Flüssigkeit einnimmt. In diesem Sinne genommen begreife ich unter dem Volumen eines Teilchens das Volumen des vorausgesetzten undurchdringlichen Kernes, verbunden mit der ihn umgebenden, aus VVärmestoflf bestehenden, Repulsionskraft ausübenden, Atmosphäre.

Zu der Zeit, als ich meine Theorie über die gemischten Gasarten entwarf, hatte ich, wie mehrere, sehr verwirrte An- sichten von den kleinsten Teilchen, aus welchen die Gasarten bestehen. Ich nahm an, daß dieselben in den verschiedenen

') Deutsch zitiert aas der Übersetzung von Friedrich Wolff: Ein neues System des chemischen Teiles der Naturwissenschaft, Bd. 1, 8. 209.

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Gasarten dieselbe Größe haben; und daß ein bestimmtes Volumen Sauerstoffgas ebenso viele Teilchen als dasselbe Volumen Wasserstoffgas enthalte, oder, wenn dieses nicht der Fall sein sollte, daß es uns an Datis fehle, aus welchen dieser Gegenstand bestimmt werden könne. Ein, dem auf S. 81 82 befindlichen, völlig ähnliches Raisonnement brachte mich aber zu der Überzeugung, daß die kleinsten Teilchen der verschiedenen Gasarten nicht von derselben Größe sind: und daß nachstehendes, wofern nicht in der Folge Gründe für das Gegenteil aufgefunden werden, als Grundsatz hin- gestellt werden könne, nämlich:

Daß jede Art reiner elastischer Flüssigkeiten aus kugelförmigen Teilchen, welche alle eine gleiche Größe haben, bestehe, daß aber nicht zwei Arten derselben in der Größe ihrer Teilchen übereinkommen, vorausgesetzt, daß der Druck der Atmosphäre und die Tem- peratur dieselben sind."

Hieraus ersieht man, ob Avogadeo die Idee seiner Theorie von D ALTON hernehmen konnte. Dalton glaubte nicht an das Gesetz der Gasvolume, welches von Gay-Lüssac entdeckt war; er bekämpfte es sogar. Im Gegensatz hierzu nahm es Avogadeo als Führer für seine Untersuchungen, zugleich mit dem Gesetze über die Ausdehnung und den Druck der Gase, an. Man beachte ferner, daß Avogadeo den wichtigen Unter- schied zwischen Molekel und Atom machte, was Dalton nie tat Dalton gab der kleinsten Partikel der Körper ohne Unterschied den Namen Atom oder Molekel. Die Idee, daß gleiche Gasvolume unter gleichen Bedingungen die gleiche Anzahl von Molekeln enthalten, welche letztere in zwei oder mehr Atome teilbar sein können, die für sich nicht weiter teilbar sind, rührt ohne Zweifel von Avogadeo her. Debüs bemerkt, daß Avogadeo das Molekulargewicht, und nicht das Atomgewicht, bestimmen will. Dem ist tatsächlich so und hierin besteht der große Unterschied zwischen seiner Vor- stellung und jener Daltons. Avogadeo will eben die relative Dichte der Molekeln bestimmen, die nachher in zwei oder mehr Kleinsteteilchen, genannt Elementarmolekel oder Atome, teilbar sein können. Es war gerade die Annahme, daß man

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die Atomgewichte als Funktion der Dichte bestimmen könnte, welche die Chemiker so lange irre führte.

Dp:bus stützt sich auf die Tatsache, daß Avogadeo Phy- siker und Dalton Chemiker war, und daß daher der erste zur Basis seiner Betrachtungen die Molekel, der zweite das Atom annahm. Dies ist eine ganz unnütze Metaphysik. Es macht wenig aus, daß der eine mehr Chemiker als der andere war. Tatsache ist, daß die größten Experimentalunter- suchungen Daltons sich zugleich auf Chemie und Physik be- ziehen. War nicht auch Gay-Lussac Chemiker und Physiker zugleich? Welche Bedeutung sollen solche Betrachtungen bei der Entscheidung einer Frage dieser Art haben? Keine. Lavoisiee war auch Physiker und Chemiker; in der gleichen Weise auch Avogadeo, der als Physiker doch Mathematik und Chemie gut beherrschte. Tatsache bleibt, daß Avogadeo die Gesetze Gay-Lussacs sehr schätzte, Dalton sie aber nicht annahm.

Debus bemüht sich, die wahre Bedeutung der integrieren- den Molekeln nach Avogaj)BO, die mancher mit den Atomen verwechselte, zu erörtern. Hätte er jedoch, außer der schon außerordentlich klaren Denkschrift von 1811, auch jene von 1814 und 1821 gelesen, so würde er erkannt haben, daß Avo- gadeo die integrierenden Molekeln als jene Molekeln definiert, welche auch bei einfachen Körpern aus partiellen Molekeln zusammengesetzt sein können u. s. w. Partielle Molekeln sind aber die Atome. Das physikalische Atom von Dumas ist identisch mit der Molekel Avogadeos, und das chemische Atom von Dumas eatspricht den partiellen oder Elementar- molekeln AVOGADEOS.

Wenn Debus die Arbeit Avogadeos aufmerksam gelesen hätte, so wäre er nicht auf diese zweite Behauptung verfallen: „Dalton will in erster Linie das Atomgewicht der Elemente bestimmen und mit den Atomen die Molekeln bauen. Die Summe der Atomgewichte ist sein Molekulargewicht.

Avogadeo bestimmt die Molekulargewichte direkt mittels des spezifischen Gewichts der Gase. Er fängt an, wo Dalton aufhört. Von den Bestandteilen der Molekeln, den Atomen, weiß Avogadeo nichts zu sagen. Sie scheinen ihm gleich-

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gültig; er kennt nur die Molekeln und ihre Teilstücke. Über eine Grenze der Teilung, ob es überhaupt eine gibt, macht er keine Angaben." ^)

Man merkt, daß Debus, wie er selbst auf S. 64 seiner Broschüre von 1894 erklärte, nicht einmal die im Jahre 1811 erschienene Originaldenkschrift gelesen hat, und daß er sich einfach der übrigens genauen Übersetzung Ostwalds bediente, weil er das „Journal de Physique" von ÜELAMfiTHEEiE nicht zu Rate ziehen konnte. Daher kennt er die übrigen Denk- schriften, wie auch den „Trattato di Fisica" u. s. w. , nicht.

„Das Verdienst, das Gay-Lussac sehe Gesetz, zumal in der angedeuteten Weise mit der atomistischen Hypothese ver- einigt und in so einfache Fassung gebracht zu haben, gebührt Amedeo Avogadeo; der Satz, daß die Molekulargewichte aller Stoffe im gasförmigen Zustande unter vergleichbaren Um- ständen gleich große Räume erfüllen, wird daher gewöhnlich als AvoGADEOsches Gesetz bezeichnet." ^j

„Dies Gesetz ist nach seinem Entdecker Gesetz von Avo- gadeo genannt." ^)

Übrigens stimmen auch die bedeutendsten englischen Schriftsteller, wie Roscoe, Tilden, Pattison Muie, Thoepe u. s. w. vollständig darin überein, Avogadeo allein die Hypo- these, die seinen Namen trägt, zuzuschreiben.

Pattison Muie (Heroes of science, London 1883) äußert mit Bezug auf Avogadeo folgende Ansicht. In betreff Daltons sagt er zunächst: ,,Die zwei Schwierigkeiten, 1. dem Wort Atom eine genaue Definition, welche zugleich auf die Elemente und deren Verbindungen paßt, zu geben, 2. die xinzahl der Elementaratome in den Atomen einer gegebenen Verbindung fest zu legen und aus dieser die relativen Gewichte der Ele- mentaratome selbst zu bestimmen, sind während vieler Jahre für die Anhänger der Theorie Daltons ein großer Anstoß gewesen.

') Zeitachr. f. physik. Chem. 1896, Bd. 20, S. 374.

*) H o rat mann, Lehrb. d. theoretischen Chemie. Braunschweig 1885, S. 79.

*) 0. E. Meyer, Die kinetische Theorie der Gase. Breslau 1895. 2. Aufl., S. 65.

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Die große Schwierigkeit, die Bedeutung der von Dalton vorgeschlageneu Theorie klar zu verstehen, offenbart sich völlig, wenn man bedenkt, daß drei Jahre nach der Veröffent- lichung des 1. Teiles des „New System" der französische Chemiker Gat-Lussac Tatsachen veröffentlichte, die erst richtig vom italienischen Chemiker Avogadeo erklärt wurden. Diese Tatsachen und Auslegungen genügten zur Erklärung obiger Schwierigkeiten. Und trotzdem hat man erst in den letzten 10 oder 15 Jahren die wahre Bedeutung der von Gay-Lussao gebrachten Tatsachen und die hierzu von Avogadeo gegebene Erklärung allgemein anerkannt."

„Avogadeo nahm an, daß ein Elementargas aus einer großen Menge kleiner Partikeln besteht, deren jede in kleinem Maßstabe alle Eigenschaften des Gases besitzt. Das Gas kann erwärmt, abgekühlt, oder auf irgend eine andere Weise physikalisch verändert werden, und dennoch bleibt jede seiner Partikeln unverändert. Im Augenblick aber, in dem man da» Gas mit einem andern, auf das es chemisch einwirken kann, vermischt, teilen sich seine Partikeln in Kleinsteteile, und da nun die erhaltenen Kleinstenteile in diesem Zustand nicht bestehen können, so schließen sie sich den entsprechenden kleinen Partikeln des andern Gases an und bilden so mit diesen die Partikel eines zusammengesetzten Gases."

„Ein zusammengesetztes Gas stellt sich Avogadeo als aus kleinen Partikeln gebildet vor, deren jede in kleinem Maßstabe die Eigenschaften des Gases zeigt und deren jede unzerlegbar bleibt, solange das Gas nur rein physikalischen Einflüssen ausgesetzt bleibt. Wird aber das Gas chemisch zerlegt, so teilt sich jeder der kleinen Teile. Aber die so entstandenen Kleinstenteile fahren fort, da jedes von ihnen die Partikel einer Elementarsubstanz ist, zu bestehen und können aus den bekannten Eigenschaften des Elementes er- kannt werden."

„Jedem kleinen Teil einer elementaren oder zusammen- gesetzten Substanz, der die Eigenschaften dieser Substanz darstellt und der nicht geteilt werden kann, ohne daß diese Eigenschaften zerstört werden, geben wir nun den Namen Molekel."

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„Die Hypothese Avogadbos gab den Chemikern eine Definition der Molekel; sie gab ihnen aber auch eine des Atoms.'*

„Die große, allgemeine Fassung, die überall unter dem Namen Gesetz von Avogadeo bekannt ist, lautet folgender- maßen: Gleiche Gasräume, gemessen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur, enthalten eine gleiche Anzahl von Molekeln." i)

Dies ist die Ansicht aller unparteiischen Chemiker. Herr Debus muß sich überzeugen, wie sich alle wirklich gerechten Chemiker und Physiker überzeugten, daß man ohne den ge- nauen Unterschied zwischen Atom und Molekel zu dem jetzt geltenden Atomgewicht nicht gekommen wäre. Wir müssen daher Dalton und Avogadeo Dank zollen; doch dürfen wir nicht das, was der eine gesagt, mit dem, was der andere ge- lehrt hat, verwechseln.'^)

Sonstige Arbeiten Avogadros.

Avogadeo begnügte sich nicht damit, die Denkschrift über die Stoffe im Gaszustand zu veröffentlichen, sondern kam drei Jahre später, im Januar 1814,^) auf diese Abhandlung zurück, in einer Arbeit: „Memoire sur les masses relatives des mol6- cules des corps simples, ou densitös pr6sum6es de leurs gaz et sur la Constitution de quelques-uns de leurs compos^s, pour servir de suite ä r,Essai' sur le meme sujet", die HeiTn Delam£theeie im Januar 1814 mitgeteilt wurde. Er beginnt dieselbe mit folgenden Worten:

„In meinem Aufsatz ,Essai d'une maniere de döterminer les masses relatives des mol6cules des corps etc.' schlug ich eine, wie mir scheint, sehr natürliche Hypothese vor, die bisher durch nichts Besseres ersetzt worden ist, um die von Gat-Lussac beobachtete Tatsache zu erklären, daß die Volume

*) Das englische Original stand dem Übersetzer nicht zur Ver- fügung, konnte also mit dem italienischen Text nicht verglichen werden (K.).

^) p]in hier folgender Passus ist auf meine Veranlassung fortge- blieben (K.).

«) J. de Phys., Vol. 76, p. 131.

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der Gase, die sich miteinander verbinden, und die der zu- sammengesetzten Gase, die daraus entstehen, immer in sehr einfachen Verhältnissen zu einander stehen. Meine Hypothese hat folgenden Wortlaut: In gleichen Volumen gasförmiger Stoffe sind bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleichviel Molekeln enthalten, so daß die Dichte der verschiedenartigen Gase das Maß für die Masse der diesen Gasen eigenen Mole- keln ist, und daß die Verhältnisse der Volume bei den Ver- bindungen die Verhältnisse zwischen den Zahlen der Molekeln, die in Wechselwirkung treten und zusammengesetzte Molekeln bilden, darstellen.

Wenn diese Hypothese einmal angenommen ist, so be- stätigt sie zum Teil die Resultate Daltons, Davys und anderer, die durch spezielle Betrachtungen über die Masse der Molekeln der verschiedenen bekannten Stoffe nach ihren Verhältnissen in Verbindungen gewonnen wurden, und liefert uns zugleich all- gemein ein Mittel, diese Resultate zu berichtigen und dadurch die Theorie der konstanten Proportionen zu festigen. Diese Theorie aber ist oder wird die Grundlage der ganzen modernen Chemie und die Quelle ilirer zukünftigen Fortschritte sein. Übrigens gewährt uns der Zusammenhang, der diese Hypothese mit dem Gesetz der konstanten Proportionen und der Volum- verhältnisse beim Sichverbinden verknüpft, einen selbst von der erreichbaien Genauigkeit unabhängigen Vorteil; denn die Vermutungen, die man unmittelbar über die relative Zahl der Molekeln in den Verbindungen und folglich über die Masse dieser Molekeln aufstellen kann, sind ganz willkürliche. Nur die Volume der gasförmigen oder als solcher gedachter Stoffe und die ihnen entsprechenden Gewichte bieten uns bestimmte und natürliche Einheiten, von denen man ausgehen kann, um in seiner ganzen Einfachheit das Lehrgebäude der bestimmten Proportionen darzustellen. Wenn diese Volume nun auch die Molekeln selbst nicht darstellen, so können sie diese jedenfalls bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse ersetzen, um so als Grundlage für die Anwendung der Theorie zu dienen.

Zu diesem Zweck ist es also nötig, durch Tatsachen, oder in Ermanglung von solchen, auf dem Wege von Wahrschein- lichkeitsschlüssen die Dichten zu bestimmen, welche die ver-

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«chiedenen Stoffe in Gasform unter gleichem Druck und gleicher Temperatur, und zwar einer solchen, bei der sie noch gasförmig bleiben können, haben oder haben würden, und so die Volumverhältnisse des Verbindens festzusetzen suchen. Dies hatte ich in meinem Essai schon für die bekanntesten «lementaren und zusammengesetzten Stoffe getan. Jetzt ge- statten mir die Experimente und Analysen , die inzwischen von mehreren Physikern und Chemikern, besonders von Gay- LussAC, Davy, Bebzelius veröffentlicht wurden, mein Prinzip auch auf andere Stoffe, über die noch Zweifel bestanden und ■die ich daher nicht besprochen hatte, auszudehnen. Ich habe geglaubt, daß es interessant wäre, die genauesten Resultate, <lie man gegenwärtig zu dieser Frage besitzt, zu sammeln und so ein Gesamtbild zu entwerfen, während ich bisher nur «ine Skizze in der oben genannten Denkschrift gab. In dieser Absicht entstand also folgende Arbeit.

Der Reihe nach werde ich also die hauptsächlichsten ein- fachen Stoffe, über die wir genügend genaue Angaben haben, besprechen und die Dichte ihrer Gase oder nach unserer Hypothese die relativen Massen ihrer Molekeln bestimmen. Ich werde mich auch mit ihren Verbindungen beschäftigen, insofern «ie dazu dienen, die Dichte der einfachen Gase zu bestimmen oder zu bestätigen. Die Konstitution der komplizierteren Stoffe, wie Salze, pflanzliche und tierische Substanzen u. s. w., werden jedoch Gegenstand einer andern Arbeit sein."

In dieser Denkschrift findet Avogadro eine ziemlich ge- naue Zahl für das Atomgewicht des Schwefels. Wenn die Dichte des Wasserstoffs =1 ist, so ist nach ihm die des Schwefels 31,75 (jetzt = 32), und zwar abgeleitet aus dem spezifischen Gewicht der gasförmigen schwefligen Säure 2,265, nach KiEWAN. Ist das Molekulargewicht des Wasserstoffs gleich 2, so würde das des Schwefels 63,54 sein (statt 64).

Auch in dieser Arbeit konnte er, wie man sieht, nicht klarer sein. Hier, und dann später noch in andern Arbeiten, besteht er auf der Proportionalität zwischen dem Molekular- gewicht und dem Gewichte gleicher Volume (Dichte).

Wegen der großen Wichtigkeit müssen wir, nach unserer Meinung wenigstens, einige Stellen einer dritten Abhandlung

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AvoGADRos in Erinnerung bringen. Dieselbe erschien im Jahre 182P) unter dem Titel: ,,Nouvelles considörations sur la thöorie des proportions dötermin^es dans les combinaisons, et sur la d^termination des masses des mol6cules des corps", vorgetragen am 14. Februar 1821. In dieser Denkschrift zieht er zur Prüfung die Versuche anderer nach dem Jahre 1814 und das Buch von Berzelius: „Essai sur la thöorie des propor- tions chimiques etc.", das 1819 erschienen war, heran. Auf Seite 11 schreibt er:

„Ich habe mich in meinen oben erwähnten Abhandlungen nicht darauf beschrankt, die Volum Verhältnisse und die Dichte der Gase als ein bequemes Mittel zu betrachten, die Willkür zu beseitigen, die ohne dasselbe bei der Bestimmung der Molekulargröße und der Verhältniszahlen in den Verbindungen bleiben würde. Bei der theoretischen Betrachtung dieser Sache, die doch speziell die Physiker interessiert, habe ich außerdem eine Hypothese über den Aufbau der Gase vorgetragen, welche diese Wahl noch mehr berechtigt erscheinen läßt. Sie besteht in der Behauptung, daß alle Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur in gleichen Räumen die gleiche Anzahl integrierender Molekeln enthalten, so daß die Entfernung der Zentren der Molekeln unter diesen Bedingungen bei allen Gasen gleich groß ist. Aus diesem Grund stellen die Dichten der Gase unmittelbar die Masse der integrierenden Molekeln dar, und die Volumverhältnisse in den Verbindungen repräsen- tieren die Zahlenverhältnisse dieser integrierenden Molekeln, die einen zusammengesetzten Körper bilden. Unter inte- grierenden Molekeln verstehe ich solche, die auch bei elemen- taren Stoffen noch aus partiellen Molekeln zusammengesetzt sein können, welche aber im Gaszustand näher aneinander- liegen als die Gesamtmolekeln, und die durch eine besondere Anziehungskraft zusammengehalten werden, welche auf die letzteren nicht wirkt" ^

') Memorie della Reale Accad. delle Scienze di Torino, Vol. 22, p. 1 bis 162.

*) Heute würden wir sagen, daß die Molekeln durch Kohäsion oder Molekularattraktion, die Atome durch chemische Affinität miteinander verbunden sind.

ne- in dieser Denkschrift bemerkt Avogadeo, daß Dalton kein Gewicht auf die Volumgesetze Gay-Lussacs legte, weil er dieselben bald überhaupt, bald ihre Unabhängigkeit von oder ihren Zusammenhang mit dem Gesetz der konstanten Proportionen bezweifelte, Avogadeo weist darauf hin, wie einige Chemiker Molekel, Atom, Proportional- und Deter- minalzahl verwechseln; er zeigt, v^ie Beezelius selbst das Gesetz annahm, es aber fälschlich auf die Atome, d. h. auf die unteilbaren Molekeln, bezog.

Er führt eine Stelle des Buches von Beezelius „Essai sur la thöorie etc." an, wo es p. 52 also heißt: ,,Die Phäno- mene der chemischen Proportionen scheinen zu beweisen, daß jedes Gas eines einfachen Körpers bei gleichem Druck und gleicher Temperatur in gleichen Räumen eine gleiche Anzahl von Atomen enthält, denn im entgegengesetzten Fall würde die Korpuskulartheorie mit der Volumtheorie nicht überein- stimmen können und im Gegenteil zu verschiedenen Resul- taten führen." „Ich habe gesagt," fährt Avogadeo fort, ,,daß ich in meiner Hypothese die integrierenden Molekeln der Gase als aus verschiedenen einfachen Molekeln zusammengesetzt be- trachte. Das ist notwendig, um die Zerlegung der Molekeln zu erklären, die nach dieser Hypothese oft während der Bil- dung der zusammengesetzten Körper stattfindet."

Da aber Beezelius annahm, daß bei der Verbindung gleicher Volume zweier Gase das Volum des zusammen- gesetzten Gases nur halb so viele Molekeln enthält, wie die zwei Volume der es zusammensetzenden Gase, und daß da- her die Molekeln im zusammengesetzten Gas sich in einem größeren Abstand voneinander befinden müssen, als in den Gasen, aus denen das zusammengesetzte Gas entstanden ist, bekämpfte Avogadeo diese Hypothese von Beezelius und sagt weiter:

„Als Gay-Lussac die Einfachheit der Volumverhältnisse bei den sich verbindenden Gasen zeigte, hat er die gleiche Einfachheit der Verhältnisse auf die Volume der zusammen- gesetzten Körper in Bezug auf ihre Komponenten ausgedehnt. Er hat aber für die Natur dieser letzten Verhältnisse keine allgemeine Regel gegeben. Als nun ich die verschiedenen be-

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kannten zusammengesetzten Gase prüfte, glaubte ich in meinen früheren Abhandlungen diesbezüglich eine allgemeine Tatsache wenigstens für die binären Verbindungen festlegen zu können. Es ist dies die folgende: Fast ohne Ausnahme ist das Volum des zusammengesetzten Gases bald das Doppelte des einen, bald des andern Komponenten, d. h. gleich ihrer Summe, wenn das Volum der zwei zusammengesetzten Gase gleich ist. Wir werden im Verlauf dieser Druckschrift sehen, daß diese Regel sich auch in anderen Fällen, als den in meinen früheren Aufsätzen erwähnten, bewahrheitet. Jedoch haben die Chemiker dieser Tatsache nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt, trotzdem sie selbst die speziellen Fälle, worauf sie sich stützte, festgestellt haben. Bebzeliüs sagt, es scheine bei der Verbindung zweier gasförmiger Körper zu gleichen Volumen keine Kondensation einzutreten, wenn aber zwei Volume eines Elementes mit einem Volum eines andern Elementes sich verbinden, so findet eine Kondensation um ein Volum statt , infolgedessen die drei Volume nach der Verbindung nur noch zwei Volume ausmachen.*) Das ist im wesentlichen die Regel, welche ich vorgeschlagen habe, nur in einer etwas weniger allgemeinen Form aus- gedrückt"

„Dans l'hypothese cit6e ci-dessus sur la Constitution des gaz, s'il n'y avait point de division des mol6cules int^grantes primitives des gaz simples, la mol^cule compos6e devant etre la somme de la mol6cule de Tun des gaz et de toutes les mol6cules int^grantes de l'autre, que celle-lä s'adjoint ä eile meme, le volume du gaz compos6 devrait aussi etre le meme que celui des gaz composarits, qui entrent dans le compos6 en moindre proportion, ou dont la mol6cule s'adjoint les autres, puisque le nombre de ces mol6cules serait le meme que celui des molöcules de ce gaz; mais puisque le volume r6sultant est en g6näral double de celui-lä, il s'ensuit que le nombre des mol^cules compos6es est double aussi de celui qui r^sul- terait de cette supposition, c'est-ä-dire que chaque mol6cule compos^e se divise en deux autres mol6cules partielles, qui

*) Essai sur la theorie etc. p. 53 and 2. Aa6. (1835) p. 31—32. Kahlbaum, Monographieeil. Vli. 12

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soient entr'elles dans la meme proportion qui avait lieu pour les molöcules entieres."

,,Nur bei den wenigen Ausnahmen, die ich bereits er- wähnte, findet diese Teilung nicht statt und bestätigt sich die erste Annahme. Von diesem Gesichtspunkte aus habe ich in meinen vorhergehenden Abhandlungen die Sache betrachtet. Beezelius hat, wie es scheint, der Möglichkeit, die Volume der zusammengesetzten Gase auf die Hypothese der Gleich- heit der Molekelanzahl in einem gegebenen Volumen, ver- mittelst der Annahme der Teilung der integrierenden Molekeln, zurückzuführen, keine Beachtung geschenkt. ,.„Es ist klar"", sagt er, „„daß in einem aus zwei Elementen (von gleichem Vo- lumen) zusammengesetzten Gas, bei dem keine Kondensation stattgefunden hat, die Anzahl der zusammengesetzten Atome nach der Vereinigung gleich ist der Hälfte jener der einfachen Atome in gleichem Volumen vor derselben. Dasselbe geschieht bei einem Gas, das aus zwei Volumen des einen Elements und einem Volumen eines anderen Elements sich gebildet hat und bei dessen Bildung eine Zusammenziehung um ein Volum stattgefunden hat."" Beezelius zieht daraus den Schluß, daß in diesem Falle die Entfernung zwischen den Molekeln bei den zusammengesetzten Gasen größer geworden ist, als sie bei den einfachen Gasen war. Dies sucht er sich durch die An- nahme des Wachsens der Stoßkräfte zu erklären; doch scheint dies sehr unbestimmt und dunkel. Er bemerkt aber selbst, daß es schwierig zu verstehen sein werde, warum man immer bei der Betrachtung gasförmiger Substanzen nach ihrer Ver- bindung ihr Volumen als einen einfachen Bruchteil des ursprünglich, von den elementaren Gasen eingenommenen, findet.

Meine Hypothese über die Teilung der Molekel erklärt alles dies höchst einfach, da sie das Sichgleichbleiben der Distanz der Molekeln auf die zusammengesetzten Gase aus- dehnt und, speziell in den angegebenen Fällen, die Verdoppe- lung des Volums, welches von den Molekeln, die durch die Verbindung ursprünglich gebildet waren, eingenommen wird, durch die Verdoppelung der Anzahl der Molekeln ersetzt."

AvoGADEO glaubt nicht an die Hypothese von Peout

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und Meikecke, daß die Atomgewichte der Körper genaue Vielfache des Gewichts des Wasserstoffs seien. Meiner An- sicht nach hat diese Lehre nichts Wahrscheinliches für sich und rühren die Approximativzahlen, welche man erhalten hat, nur von der Kleinheit der Einheit, die man zu Grunde legte, her. Die immer noch weiten Grenzen, welche die Deu- tung auch der genauesten Versuche, die bis anhin zur Be- stimmung der Masse der Molekeln gemacht wurden, noch zuläßt, erlauben, ganze Zahlen als Approximativwerte bei der Berechnung bequemlichkeitshalber anzuwenden."

Im zweiten Teile der Denkschrift wendet Avogadbo die allgemeinen Prinzipien auf die einzelnen Stoffe und ihre bi- nären Verbindungen an. Auf diese Weise bestimmte er das Molekulargewicht von 31 der damals bekannten Elemente. Er findet Zahlen, welche im allgemeinen sehr gut mit den von Bebzelius erhaltenen, übereinstimmen.

Beachtenswert sind, meiner Meinung, folgende Punkte:

Er findet für die Molekel des Wasserstoffs und der des Sauerstoffs das Verhältnis 1 : 16,026.

Für das Gewicht des Kohlenstoffs findet er 12,08, welches fast mit dem heutigen 12 übereinstimmt.

Für den Stickstoff fand er 13,973 und mit bezug auf Ammoniak wiederholt er auf S. 60: „Ein Volumen Stickstoff nimmt^ wie bekannt, drei Volume Wasserstoff auf, um Ammo- niak zu bilden. Das Volumen des neu entstandenen Gases ist doppelt so groß, wie das des Stickstoffs, der in dasselbe eingetreten ist, was auch mit unserer Regel übereinstimmt. Es ist also die Molekel Ammoniak in Wirklichkeit von einer halben Molekel Stickstoff und anderthalben Molekeln Wasser- stoff gebildet."

Auf Seite 50 51 wiederholt er wieder klar: „Die Wasser- molekel entsteht aus der Reaktion von zwei Molekeln Wasser- stoff und einer Molekel Sauerstoff, d. b. die wirkliche Wasser- molekel besteht aus einer halben Molekel Sauerstoff und zwei halben oder einer ganzen Molekel Wasserstoff."

Sehr interessant sind seine Betrachtungen über die Bor- säure. Bebzelius nahm zuerst für das Borsäureanhydrid die

12»

-- 180

Formel BO^. ^) Später entschied er sich für drei Atome Sauerstoff und schrieb sie BO3. ^) Avogadeo dagegen stützte sich auf die Dampfdichte des Borfluorids, dem er die Formel BFlg gab, und nahm schon im Jahre 1821 ^) für die Bor- säure die Formel BgOg an. Beide Formeln gelten noch heute.

Auch erkannte er die Analogie der Zusammensetzung des Phosphortrichlorids PClg mit dem Phosphorigsäure- anhydrid PjOg.

Auf Seite 113 seiner Abhandlung sagt er: „Die Borsäure wird also gebildet aus anderthalb Molekeln Sauerstoff und einer Molekel Bor, d. h. der Sauerstoff verhält sich zum Bor,, wie 3:2.

Noch im Jahre 1817^) glaubte man, daß das Borüuorid aus einem Atom Bor und einem Atom Fluor gebildet würde.

Noch wichtiger sind die Betrachtungen, die Avogadeo über das Atomgewicht des Siliciums und die Formel der Kieselsäure, über die man lange Zeit im unklaren war, an- stellte. Er nahm als erster ohne weiteres die Formel SiOg ^) an, die auch Gatjdin ca. 20 Jahre später aufstellte. Er bespricht die Formeln SiO und SiOg ; letztere gab Bebzelius an ^) und zeigt, daß die wahrscheinlichste Formel SiOg ist. Aus der Dichte der Siliciumfluoriddämpfe leitet er sie ab, nachdem er für Siliciumfluorid die Formel SiFl^ festgestellt hat. Bezüglich letzterer schreibt er auf Seite 106 und 107:

„Es bleibt zur Bestimmung der Dichte des Fluorgases nichts anderes übrig, als unter den Hypothesen, die man über die relative Anzahl der Molekeln oder der Gasvolume des Fluors und des Siliciums im Kieselfluorwasserstoffsäuregas aufstellen kann, eine Wahl zu treffen. Diese Hypothese nun.

*) Nouveau Systeme de Mineralogie. Paris 1819, p. 101 u. 193; Essai sur la thdorie des proportions chimiques 1819, p. 126.

') Essai sur la thdorie des proportions chimiques. 2. Auflage 1835, p. 100 u. 130.

') In der zitierten Abhandlung p. 110 115.

*) Thomson, Systeme de Chimie 11. p. 305.

*) In der zitierten Abhandlung von 1821, p. 121—125 u. im Auf- satz von 1814.

*) Nouveau Systeme de Mineralogie 1819, p. 195 und Essai sur la thdorie etc. 1819, p. 135.

181

die mich hierfür als die wahrscheinlichste dünkt, ist die, daß zur Bildung dieses Gases ein Volum des Siliciumgases vier Volume Fluorgas aufnimmt. Nimmt man dies an, so findet man für die dem Gewicht nach angegebene Zusammensetzung, daß die Dichte des Fluorgases in bezug auf Wasserstoff als Einheit ungefähr 1,125 ist, oder ca. 18 bei der Annahme des Sauerstoffs als Einheit. Sie ist ungefähr die Hälfte von jener des Chlors, so daß sich das Chlor zum Fluor verhält, wie der Schwefel zum Sauerstoff."

„Ich sagte, daß mir diese Annahme die wahrscheinlichste schien; in der Tat ist man gezwungen, auf Grund derselben für die Zusammensetzung der Flußsäure gleiche Volume von Fluor und Wasserstoff anzunehmen, denn bei der Zersetzung des Wassers durch die Einwirkung von wässerigem Ammoniak auf Siliciumfluoridgas , muß ein Volum Silicium zwei Volume Sauerstoff aufnehmen, was das Freiwerden von vier Volumen Wasserstoff bedingt, die mit den vier Volumen Fluorgas in \N'echselwirkung treten müssen. Die Analogie der Flußsäure mit der Salzsäure macht diese Zusammensetzung sehr wahr- scheinlich." ^) Dann fährt er auf Seite 125 fort:

„Ich glaube nun, daß die Hypothese, der ich in meiner letzten Abhandlung 2) folgte, für den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse, noch die wahrscheinlichste ist. Diese Hypothese besagt, daß die Kieselsäure aus einer Molekel Sili- cium und zwei Molekeln Sauerstoff zusammengesetzt ist, und mau erhält für die Molekel (Atom) des Siliciums, wenn man von der Analyse der Kieselerde, wie sie Berzelius annimmt und Versuche von John Davt über Kieselfluorwasserstoffsäure bestätigen, ausgeht, den Wert 31,6 bei Wasserstoff als Einheit. Das wäre fast das Doppelte des Wertes für Sauerstoff, während Bebzelius den dreifachen Wert (nämlich 47,4) angibt"

') Drückt man die^e Zersetzung des Siiiclumflaorids dareh Formeln aus, so schreibt man SiFl« + 2HjO = SiO, + 4 HFL Man muß bedenken, daß Berzeliua damals noch annahm, daß das Fluor ein mit Sauerstoff zusammengesetzter Körper sei, während Avogadro mit Ampere und Davy richtig annimmt, daß es ein Element analog dem Chlor sei. Er findet, daß das Molekulargewicht des Fluors 18 ist, wenn H = 1 ist, folglich 36, wenn H = 2 ist Das genaue Molekulargewicht ist 37, 78.

*) J. de Phys. 1814, T. 78, p. 151—152.

182

Er findet die Analogie in der Zusammensetzung der Kieselsäure mit der des Scliwefligsäureanhydrids, SiOg und SOg. Beezeliüs nahm dagegen noch im Jahre 1835 ^) für Kiesel- säure SiOg und als Atomgewicht des Siliciums 46,26 an, während Avogadeo schon 1821 als Atomgewicht 31,6 fand, eine Zahl, die weit mehr dem gegenwärtig angenommenen Atomgewicht 28,18 sich nähert.

Man muß bedenken, daß zu jener Zeit nur wenige Che- miker, unter diesen Beezeliüs, imstande waren, die Zu- sammensetzung der Kieselsäure zu untersuchen. Thomson in seinem „Systeme de Chimie", 5. Auflage 1817, Bd. 1, S. 293, nahm auch nach Avogadeo (1814) als Formel für Kieselsäure SiOg an, aber das Siliciumfluorid betrachtet er als aus einem Atom Silicium und einem Atom Fluor, d. h. SiFl zusammen- gesetzt. Ich verweile gern bei diesem Punkte, ^) weil hieraus

1) Essai 2. Aufl. 6, p. 103.

*) Man bedenke, daß noch im Jahre 1856 die Formel für Kiesel- säure unbestimmt war und von verschiedenen Verfassern verschieden an- gegeben wurde. In vielen Büchern der Chemie bis 1870 wird die For- mel SiOg gegeben. Nur Avogadro bestand immer auf den Formeln SiOj, SiCl4, SiFli und SiBr4. (Memorie R. Accademia di Torino, Vol. 8, p. 427—428, vorgetragen 1843). In der zweiten Denkschrift über die Atomvolume sagt er klar, daß in der Kieselsäure ein Atom Silicium mit zwei Atomen Sauerstoff, genau so wie in der Kohlensäure ein Atom Kohlenstoff mit zwei Atomen Sauerstoff", verbunden ist. Noch gründlicher erörtert er in seiner vierten Abhandlung über die Atomvolume, vorge- tragen am 2. Juni 1850 (Memorie K. Accademia di Torino, Vol. 12, p. 93), die Formeln dieser Siliciumverbindung, während alle Chemiker jener Zeit nach Berzelius SiOj und SiCig u. s. w. schrieben. So veröffentlichte Pierre im Jahre 1848 (A. Ch. [3], T. 24, p. 286 und C. R, T. 26) eine Arbeit, um diese Formeln SiCIg und SiOg als zutreffend zu beweisen, während er bis dahin die Formeln SiCl, und SiO angenommen hatte. Avogadro bekämpfte außerdem ein Argument Kopps, welches die Berzelius sehen Formeln verteidigt, und schreibt:

„H. Kopp glaubte in einem Aufsatz, der in den Liebig Ann. 1848, Bd. 67, S. 356 erschien und von dem man einen Auszug in der Biblioth. universelle, April 1849, findet, einen neuen Beweis dafür entdeckt zu haben, daß die Formel des Chlorsiliciums SiClg und nicht SiCl^ sein muß. Er bemerkt, daß das Siliciumbromid, dessen Zusammensetzung analog der des Chlorids ist, bei ca. 153° siedet, während das Silicium- chlorid bei 59° siedet, Zahlen, deren Differenz 94° beträgt, d. h. ca. das Dreifache von 32, oder das Dreifache der Differenz, die nach Kopp durch

183

zweifelsohne hervorgeht, daß Avogadeo als Erster die Formeln SiFl^ und SiCl^ für Siliciumfluorid und Siliciumchlorid und SiO, für Kieselsäure schrieb; Formeln, welche heute als richtig erkannt worden sind. Die Zusammensetzung der Kieselsäure wurde von vielen berühmten Chemikern, Gaudin, Bebzeliüs, Dumas, Regnault, H. Rose, Mabignac u. s. w. untersucht, und bis heute glaubte man allgemein, daß man die Formel SiO, und SiFl^GAUDiN(1833) und Kühn (1837) verdanke. Avogadeo stellte ferner interessante Beobachtungen über die Beziehungen zwischen Chlor und dem Sauerstoff (S. 127) und über andere Elemente an.

Man erkennt, daß, während Bebzeliüs noch 1820 das Chlor, den Stickstoff, das Fluor als zusammengesetzte, sauer- stoffhaltige Körper betrachtet, Avogadbo, in Übereinstimmung mit den Versuchen Davts und anderer Chemiker sie als Elemente ansah.

Genaue Ansichten^) äußert er über die volumetrische Zusammensetzung des Cyangases und der Cyanwasserstoffsäure. Gat-Lussac nahm an, daß das Cyangiis aus zwei Volumen gas- förmigen Kohlenstoffs und einem Volumen Stickstoff bestehe, die zu einem Volumen kondensiert seien, und daß die Cyanwasserstoff- säure aus einem Volumen Kohlenstoff, einem halben Volumen Stickstoff und einem halben Volumen Wasserstoflfgas zusammen- gesetzt sei. Avogadeo nahm jedoch an, daß bei dem Cyan- gas ein Volumen gasförmigen Kohlenstoffs und ein Volumen Stickstoff zu einem Volumen kondensiert sind und in der Cyanwasserstoffsäure wiederum ein Volumen gasförmigen Kohlenstoffs, ein Volumen Stickstoff und ein Volumen Wasser- stoff kondensiert zu zwei Volumen, d. h., wie angenommen wird,

die Sabstitution eines Äquivalents oder Doppelatoms Chlor durch ein Äquivalent Brom in den Verbindungen des ersteren mit anderen Sub- stanzen verursacht würde; d. h. für unseren Fall, daß drei Äquivalente Chlor durch drei Äquivalente Brom ersetzt werden. Aber Kopps Be- merkungen haben vielleicht keine genügende allgemeine Geltung in dieser Beziehung, um diesen Schluß daraus zu ziehen und überdies ist nicht bewiesen, daß die Ersetzung jedes folgenden Äquivalents dieselbe Er- höhung des Siedepunktes geben müsse, wie die, welche die ersten Äqui- valente erzeugen." Letztere Bemerkung ist auch sehr richtig. ') 1. c. p. 82—84.

184

zu CNH, zusammentreten. Betrachtet man die Verbindung von einem Volumen Cyangas mit einem Volumen Wasserstoff, 80 hat man zwei Volume Blausäuregas. ^) Diese Volum- verhältnisse, wie sie Avogadeo annahm, adoptierte auch Beezelius.

Wir können einen größeren Teil dieser Denkschrift, die sehr lang, ca. 162 Seiten in 4*^, ist, nicht wiedergeben oder zusammenfassen, doch auch aus dem Wenigen, was wir daraus übersetzt haben, kann man die große Wichtigkeit dieser Arbeit AvoGADEOS erkennen. Wenn einmal, was nur zu wünschen ist, auf Veranlassung einer großen wissenschaftlichen Gesell- schaft, in einer besonderen Ausgabe die wichtigsten Denk- schriften AvoGADEOs über molekulare Zusammensetzung der Gase veröffentlicht werden sollten, müßte unter den ersten die eben besprochene, mit seinen Abhandlungen von 1811 und 1814 berücksichtigt werden. Diese drei Arbeiten folgen genau einander; die eine ist die Fortsetzung der andern.

Im gleichen Jahre, 1821, veröffentlicht jedoch Avogadeo noch eine Arbeit, die man als vierte bezeichnen kann, mit dem Titel: „Memoire sur la maniere de ramener les compos^s organiques aux lois ordinaires des proportions döterminöes" (vorgetragen am 9. Dezember 1821^), die ebenfalls, meiner Ansicht nach, eine besonders ehrenvolle Erwähnung verdient. In ihr wendet er seine Hypothese auf die organischen Körper an. Folgendes sind, wie ich glaube, die Hauptpunkte:

1. Er findet das Volum Verhältnis von Kohlenstoff zu Wasserstoff im Terpentinöl wie 1 : 1,6 oder, wie wir heute schreiben, Cj^ : Hjg.

2. Das Verhältnis zwischen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff ist beim Alkohol gleich 2 Vol. Kohlenstoff, 6 Vol. Wasserstoff und 1 Vol. Sauerstoff, und das Volumen der

*) Drückt man dies durch moderne Formeln aus, so erhält man:

2(CN)j + IIj = 2HCN 1 Mol 1 Mol 2 Mol

CG + NN = (CN), 1 Mol 1 Mol 1 Mol

2) Mem. R. Acc. di Torino, V. 26, p. 440 u. 506.

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dampfförmigen Verbindung ist gleich jenem des gasförmigen Kohlenstoffs, den sie enthält, oder das Doppelte von jenem des Sauerstoffs. Der Alkohol, unter Anwendung der heute geltenden Symbole, die Avogadbo allerdings noch nicht be- nutzte, würde demnach geschrieben werden C2HgO. Man achte wohl, daß AvoGADEü diese Formeln später in seinen Aufsätzen über die Atomvolume anwandte.

3. Elr gibt verschiedene Gründe gegen die Hypothese Saüssures, daß der Alkohol ein Hydrat des Äthylens CjH^.HjO sei, an.

4. Der Äther (den er gern Sauerstofiather, statt des wenig passenden Namens Schwefeliither. nennen würde) enthält 4 Vo- lume Kohlenstoff, 10 Volume Wasserstoff und 1 Volumen Sauerstoff, und sein Volumen im dampfförmigen Zustand ist gleich jenem des Wasserdampfes, der sich aus dem vorhan- denen Sauerstoff bilden könnte. In Zeichen ausgedrückt würde dies C^Hj^O sein. Kr hält es für unwahrscheinhch, daß der Äther ein Hydrat (CjH^jj.HjO sei, und dies um so mehr, weil es dann ein leichtes sein müßte, die Umwandlung des Alkohols in Äther zu erklären.

5. Der Hydrochloräther (oder Chloräther) von Robiquet und CoLDf enthält 2 Volume gasförmigen Kohlenstoffs, 5 Vo- lume Wasserstoff und 1 Volumen Chlor, und das Volumen der Verbindung ist immer das doppelte von dem desjenigen Komponenten, welcher mit dem kleineren Volumen in Reak- tion tritt, nach der gewöhnlichen Regel der binären Verbin- dungen, d. h. in diesem Fall doppelt, als das des Chlors; daher in Symbolen CjHgCl. „Deshalb," so sagt er, „wird die Zusammensetzung dieses Äthers analog jener des ge- wöhnlichen Äthers sein, nur mit dem Unterschied, daß das Chlor den Sauerstoff ersetzt, und daß Kohlenstoff und Wasser- stoff im Verhältnis zum Chlor in einer Quantität darin ent- halten sind, die nur die Hälfte von jener ist, in der sie mit dem Sauerstoff im Äther verbunden sind. Ihr gegenseitiges Verhältnis bleibt unverändert. Die Analogie wird noch voll- ständiger, wenn man erwägt, daß das Chlor im allgemeinen in entsprechende Verbindungen mit einem doppelt so großen

186

Volumen, als der Sauerstoff^) eintritt, wie ich dies in der vorigen Abhandlung zeigte." ^)

Gleich nachher sagte er: „Und was die Äther ^) genau charakterisieren würde, wäre das Volumverhältnis von 2 zu 5 zwischen gasförmigem Kohlenstoff und dem Wasserstoff, in welchem beide, mit einer dritten Substanz, die die Basis sein würde, verbunden sind," d. h., was der Sauerstoff im Äther ist, ist Chlor und Jod im Aether chloratus oder jodatus.

„Nach dieser Art der Betrachtung kann das Ol, das durch Verbindung von Chlor und ölbildendem Gas entsteht, nicht für eine Ätherart gehalten werden."

Er wendet sodann diese Idee auch auf andere, viel kom- pliziertere Substanzen an, wie Zucker, Gummi, Eiweiß u. s. w., erhält aber nur wenig klare Resultate.

Aus den Analysen Pbouts von Harnstoff rechnet er die Verhältnisse CH^NgO genau aus.

Diese Denkschrift ist, meiner Meinung nach, um so wich- tiger, weil man zu jener Zeit noch mit Thomson und anderen Chemikern annahm, daß der Alkohol aus 2 Atomen Kohlen- stoff, 3 Atomen Wasserstoff und 1 Atom Sauerstoff^) bestehe, der Äther aus 4 Atomen Kohlenstoff, 5 Atomen Wasserstoff und 1 Atom Sauerstoff, und der Chloräther aus 4 Atomen Kohlenstoff, 5 Atomen Wasserstoff und 1 Atom Chlor ge- bildet sei. Das wäre mit Zeichen:

C2H3O Alkohol, C4H5O Äther, C4H5CI Chloräther, C^HgJ Jodäther.

^) In anderen Worten, wie wir heute sagen: 2 Volume Chlor (Clj) ersetzen 1 Volum Sauerstoff (0), d. h.

CjHjCl CjHjv

und >0.

CH^Cl C,h/

") 1. c. p. 455.

^) Man bedenke wohl, daß man damals nur die vom gewöhnlichen Alkohol abgeleiteten Äther kannte.

*) Systeme de Chimie. Ausgabe 1817, T. 2, p. 367.

187

Die von Atooadso infolge der Anwendung seines Ge^ setzes aufgestellten Verhältnisse sind viel klarer und moderner. Sie könnten folgendermaßen zusammengefaßt werden:

CjHgO Alkohol,

C^Hj^O Äther,

CjHjCi Chloräther,

CjHjJ Jodäther.

AvoGADRO macht besonders auf das Verhältnis von 2C und 5H aufmerksam; dies CjHg, welches in alle Äther ein- tritt, ist, im Grunde genommen, das Äthyl von Bebzeuus und LiEBiG.

Behzelius in seinem Essai, 1. Aufl. 1819, gibt die Formeln für Alkohol und Äther nicht, bringt sie jedoch später in seinem Trait6 de Chimie, 2. Aufl. von 1828, T. 6 und in der 2. Aufl. des Essai 1835, übereinstimmend mit Avogadbo. Noch im Jahre 1834 gaben Gat-Lussac, Dumas, Thenard ^) die Formeln:

C,H,.HjO Alkohol,

(C4H4)2.H,0 Äther oder

C3H8.2HJO Alkohol,

CgHg.HaO Äther.

Avogadro setzt in klarer Weise sein Gesetz in seinem umfangreichen Werke „Fisica dei corpi ponderabili ossia Trattato della costituzione generale dei corpi" in 4 Bänden (Turin 1836—1841) auseinander. Im 2. Band, S. 842 im Kapitel betitelt: „Relazione sulle densitä dei fluidi aerifurmi colla loro costituzione", entwickelt er ausführlich seine Hypothese und sagt von ihr, daß Ampere sie in seiner Denkschrift über die Formen der Kiistalle angenommen hat

Nachdem er die Flüssigkeiten abgehandelt hat, heißt es: ,,W^as nun die gasformigen Substanzen angeht, so haben wir im Gegenteil allen Grund, anzunehmen, daß nur einer der beiden Umstände (Masse und Abstand der Molekelzentren) die verschiedenen Dichten bedingt, welche sie bei gleicher Tem-

») Tratlato di Chimica, trad. ital. 1840, Vol. 8, p. 549.

188

peratur und gleichem Druck aufweisen, d, b. daß die Dichten bedingt sind von der Masse der integrierenden Molekel selber, während der Abstand ihrer Zentren in diesem Zustand bei allen Gasen gleich bleibt. Oder mit anderen Worten: Es ist die Anzahl von Molekeln eines jeden Gases in gegebenen Räumen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur stets gleich, daher ist die Dichte der verschiedenen Gase proportional der Masse der Molekeln und wird durch diese Masse genau dargestellt." Auf Seite 868 drückt er sich folgendermaßen aus: „Die von mir vorgeschlagene Hypothese über die Konstitution der Gase, die AmpJire aufnahm, wonach diese bei gleichem Druck und gleicher Temperatur in gleichen Räumen eine gleiche Anzahl integrierender Molekeln enthalten, ferner die Hypothese über die Teilbarkeit dieser Atome oder Verbin- dungen mehrerer Molekeln bei der Bildung der zusammen- gesetzten Gase, ist von vielen Physikern und Chemikern, hauptsächlich von Franzosen angenommen und diese Annahme auch mehr oder minder deutlich ausgesprochen worden. Von Dalton und den englischen Physikern dagegen wurde sie im allgemeinen nicht beliebt. Einerseits griff sie Peoust auf, andererseits bekämpfte sie Henry in einer im Phil. Mag. vom Juli 1834 eingerückten Notiz; doch richten sich seine Ein- wendungen nur gegen einige nebensächliche Betrachtungen, die zu Gunsten dieser Hypothese vorgebracht wurden. Er hielt dieselben für unzureichend, aber sie berühren das Haupt- argument, worauf die Hypothese begründet ist, gar nicht. Das will sagen, die Einwürfe treffen die Annahme nicht, daß ein bestimmtes Verhältnis zwischen der Dichte der Gase und der ihrer Atome besteht, wie es sich aus den Verbindungen ergibt und welches die Theorie der Gasvolume mit der eigentlichen, oben angeführten Atomtheorie verknüpft.

Nicht einmal Beezelius hat, wie bereits erwähnt, dieses Prinzip der Beständigkeit der Anzahl der integrierenden Mo- lekeln angenommen, obwohl er selbst von der Volumtheorie bei der Darstellung des Aufbaues der Stoffe aus Atomen Ge- brauch machte. Er bemerkt besonders in seinem oben er- wähnten Jahresbericht, daß die Versuche von Dumas nur zeigen, daß die Gase und Dämpfe nur Multipla und Sub-

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multipla einer und derselben ganzen Zahl von Atomen ent- halten können und daß es verfrüht wäre, zu vermuten, woraus sich diese Verhältnisse erklären lassen. Ich sehe jedoch nicht ein, warum es zur Erklärung derselben unpassend sein sollte^ die Idee anzunehmen, die sich von selbst und einzig darbietet, nämlich, daß die Dichte die Masse der integrierenden Molekeln der Gase darstellt, wobei diese Molekeln entweder aus ein- fachen Atomen oder aus solchen, die zu einer mehr oder weniger großen Zahl derselben, infolge der, beim Übergang von einem in den andern Zustand stattfindenden, Teilungen oder Vereinigungen zusammentraten, gebildet sind."

AvoGADRo erwähnt und faßt die Arbeiten derer, die seine mehr oder weniger geänderte Theorie anwenden, wie es Dumas,. MiTSCHEBLiCH Und besonders Gaudin de S.viktes tun, zu- sammen; die Ausdehnung, die Gaudin ihr durch die Annahme der ein-, zwei-, drei- oder mehratomigen Molekeln gibt, billigt er jedoch nicht.

Auch in seiner Denkschrift über das Atomvolumen (1843 u. s. w.) erwähnt er immer seine Hypothese.

Noch im Jahre 1849 besteht Avogadeo in seiner Notiz: „Sur la n6cessit6 de distinguer les mol6cules intögrantes des Corps de leurs Äquivalents chimiques dans la dötermination de leurs volumes atomiques" (Archives des Sciences phys. et. natur. de Geneve 1849, T. 11, p. 285) auf dem Unterschied zwischen Atom und Molekel.

„Ich habe," schreibt er. „seit langer Zeit hervorgehoben, daß es nötig ist, anzunehmen, daß gleiche Volume eines Gases bei gleichem Druck und gleicher Temperatur eine gleiche Anzahl integrierender Molekeln enthalten, wie sie in diesen Stoffen im Gaszustande enthalten sind, oder, was dasselbe ist, daß diese Molekeln gleiche Abstände voneinander haben, oder, noch anders ausgedrückt, daß diese Molekeln unter solchen Bedingungen gleiche Volume einnehmen, so daß die Dichte der verschiedenen Gase der Masse ihrer Molekeln proportional ist. ^) AmpJire nahm danach dies Prinzip an , ohne welches- man sich nur schwer die Tatsachen erklären kann, die die

') Journal de Physiqac Delam^tberie , Juli 1811 u. Februar 1814.

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von Gay-Lussac begründete Volumtheorie gasförmiger Ver- bindungen voraussetzt. Man kann auch sagen, daß dies Prinzip heutzutage wenigstens stillschweigend von allen Che- mikern, die diese Theorie anwenden, angenommen wurde."

Dann fährt er fort, über die Teilbarkeit der Molekel, die •einige Chemiker auch chemisches Atom nennen, zu sprechen. „Diese Teilung der chemischen Atome ist überdies auch in- folge einfacher, chemischer Betrachtungen von verschiedenen bewährten Chemikern, wie Laueent, Cahoues, Geehardt «. 8. w. angenommen worden."

Auch in Band 4 des erwähnten Werkes kehrt Avogadeo auf seine Hypothese zurück und sagt an der Stelle, wo er die Molekularzusammensetzung der Flüssigkeiten bespricht, auf Seite 523: „Betrachtet man ferner die Sache theoretisch und nimmt an, wie wir es bisher allgemein getan, daß bei allen Gasen bei gleichem Druck und gleicher Temperatur die Distanz <ier Mittelpunkte der integrierenden Molekeln gleich groß ist, so daß die Dichte des Gases proportional der Masse dieser Molekeln ist, u. s. w. u. s. w."

Avogadeo, der sich nicht speziell mit der Experimental- chemie befaßte, hielt sich doch auf dem Laufenden über die wichtigsten Theorien dieser Wissenschaft. In seinem bereits erwähnten Buche findet sich z. B. die Kerntheorie von Laueent ,(Bd. 2, S. 889) kurz zusammengefaßt und besprochen.

An verschiedenen Stellen seines Werkes erwähnt er seine Denkschrift von 1811 mit dem ständigen Zusatz „adoptiert von AMPiiEE".

Hierin besteht das Verdienst Avogadeos. Er hat nicht nur das Gesetz oder die Hypothese im Jahre 1811 veröffent- licht, sondern er betont auch die volle Wichtigkeit derselben im Jahre 1814 noch vor AmpJiee und nachher in seinen Denk- schriften von 1821. In seinem Werk „Trattato di fisica", in dem er die Arbeiten Laueents und Geehaedts anführt, freut er sich darüber, daß seine Hypothese angenommen sei. Auch 1843 und 1849 kommt er darauf zurück; wie auch in seinen Denkschriften über die Atomvolume wenige Jahre vor seinem Tod. Jedoch diese Ideen von ihm wurden aus den oben er- wähnten Gründen nur wenig geschätzt; sie wurden fast nur

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nebenher in seinen anderen, zwar umfangreichen, aber nicht so bedeutenden Arbeiten angewandt.

Eine vortreflfliehe Bestätigung erhielt das Gesetz oder die Hypothese Avogadbos durch van't Hoff, der es 1886 auf die verdünnten Lösungen anwandte und zeigte, daß sich die- selben wie Gase verhalten. Er gab ihm 1886 folgende Form: Isotone Lösungen enthalten in gleichen Räumen bei gleicher Temperatur eine gleiche Anzahl von Molekeln des aufgelösten Körpers, und diese Anzahl ist genau gleich jener, welche im gleichen Volumen eines idealen Gases enthalten ist, das die gleiche Temperatur und einen Druck hat, der gleich dem osmotischen Druck der Lösung ist.

Man erkennt sofort, welche Bedeutung die Verallgemeine- rung des AvoGADEOschen Gesetzes hat, und in- kurzer Zeit trug sie bei praktischen Anwendungen viele Früchte.

Das Gesetz Avogadbos ist eine notwendige Folge der kinetischen Gastheorie. (CiiAUSius, Maxwell.)

Außer den vier vorerwähnten Arbeiten, die die Molekular- theorie der Gase behandeln, hat Avogadbo noch nachstehende Abhandlungen geschrieben :

1. Essai analitique Bur r^lectricit^ (1803, gemeinsam mit seinem Bruder Felix).

2. Consid^rations sur la nature des substances connues sous le nom de sels m^talliques et sur l'ordre de combinaisons auquel il parait le plus convenable de les rapporter (1804, gemeinsam mit seinem Bruder Felix). Diese zwei Aufsätze werden als Manuskripte im Archiv der Köuigl. Aka- demie der Wissenschaften zu Turin aufbewahrt. Aus ihnen ist nur ein kurzer Auszug im Band 14 der Abbandlungen der Königl. Akad. d. Wiss. zu Turin auf S. 80 u. 118 veröffentlicht.

3. Cousiderations sur l'^tat dans lequel doit se trouver une couche d'un Corps non - conducteur de l'^lectricit^, lorsqu'elle est interposde entre deux surfaces doudes d'^lectricit^ de diffSrente espice. (Joum. de PhyB. 1806, t 63, p. 450.)

4. Seconde memoire sur r^lectricite (ebenda 1807, t 65, p. 130).

5. Iddes sur l'acidit^ et Talcalinit^ (ebenda 1809, t 69, p. 142).

6. R^flexions sur la th^orie electro-chimique de M. Berzelius (Ann. d. Chimie 1813, t 87, p. 286).

7. Memoria sul calore specifico dei gas composti paragonato a quello dei loro gas componenti (Bibl. Ital. vol. 4 [1816], p. 478 und 5, p. 78).

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8. Osservazioni sulla legge di dilatazione dell' acqua pel calore (Brugnatelli, Giorn. 1818, vol. 1, p. 351).

9. Sopra la relazione che esiste tra i calorici specific! e i poteri refrangenti delle sostanze gassose (Mem. Soc. Ital. Moden a 1818, vol. 18, p. 154, eingesandt im Jahre 1817).

10. Sulla determinazione delle quantitä di calorico che si svilup- pano nelle combinazioni per mezzo dei poteri refrangenti dei componenti e dei composti (ebenda 1818, vol. 18, p. 174; überreicht 1817).

11. Osservazioni sulla forza elastica dei vapore d'aequa a diverse temperature (Brugnatelli, Giorn. 1819, vol. 2, p. 187).

12. Memoria sulle leggi della dilatazione dei diversi liquidi pel calore (ebenda 1819, vol. 2, p. 416).

13. Memoria sopra lo stabilimento d'una relazione tra la densiti e la dilatabilitä dei liquidi e la densitä dei vapori che essi formano (ebenda 1819, vol. 2, p. 443).

14. Memoria auUa legge della dilatazione dei mercurio per il calore (ebenda 1820, vol. 3, p. 24).

15. Nuove considerazioni sulle affinitä dei corpi pel calorico, cal- colate per mezzo dei loro calori specifici e dei loro poteri refrangenti allo stato gassoso (Mem. Modena a. a. O. 1823, vol. 19, p. 885 vorgetragen 1822.)

16. Nouvelle consid^ration et calculs relatife ä, la chaleur spöcifique du gaz (ebenda).

17. Sur la construction d'un voltimötre multiplicateur, et sur son application ä la dötermination de l'ordre des metaux relativement k leur ^lectricit^ par coutact (Mem. Acc. Tor. 1823, vol. 27, p. 43).

18 19. Sur l'affinitö des corps pour le calorique, et sur les rapports d'affinit6 qui en resultent entre eux, et sur son application k la d^ter- mination de l'ordre des m6taux relativement k leur electricitö par contact (1822); zwei getrennte Arbeiten (Memorie Accad. Torino 1824, vol. 28, p. 1 und 29, p. 79.)

20. Osservazioni sopra un articolo dei Bullettino delle Scienze dei sig. B. di F^russac, relativo alle Memorie suU' affinitä dei corpi pel calorico e sui rapporti di affinitä, che ne risultano tra loro (Brugnatelli^ Giorn. 1825, vol. 8, p. 432).

21. Mömoire sur la density des corps solides et liquides, compar6e avec la grosseur de leurs mol6cules et avec leurs nombres affinitaires (zwei getrennte Arbeiten) (Mem. Accad. Torino 1826, t. 30, p. 80 und 1827, t. 31, p. 1).

22. Comparaison des observations de M. Dulong sur les pouvoirs r^fringens des corps gazeux avec les formules de relation entre ces pou- voirs et les affinit^s pour le calorique döduit des chaleurs sp^cifiqucs (ebenda [1826] 1829, t. 33, p. 49).

23. Remarques sur la loi de la force elastique de l'air par rapport k sa density dans les cas de compression sans perte de calorique et sur

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Celle de la chaleur specifique de l'air par rapport k la tempärature et k la prpssion (ebenda [1828' 1829, t 33, p. 237).

.'4. Memoire sar la force ^lastique de la vapeur de mercure 4 diffö- rentes temperatares (ebenda 1S31, t. 36).

25. Memoire sur les pouvoirs neutralisants des diffdrents corps simples, deduits de leurs proportions en poids dans les compos^ neutres qui en sont form6s (ebenda 1830, t. 34, p. 146).

26. M^moires sur les chaleurs sp^cifiques des corps solides et liquides A. Ch. 1833 [2], t. 55, p. 80).

27. Memoire sur la force ^lastique de la vapeur du mercure k difF^rentes temperatures (Mem. Accad. Torino [1831] 1833, t. 36, p. 215).

28. Nouvelles recherches sur la chaleur sp^cifique des corpa solides et liquides (A. Ch. [2], 1834, t. 57, p. 113X

29. Nouvelles recherches sur le pouvoir neutralisant de quelques corps simples (Mem. Acc. Tor. [1835] 1836, t. 39, p. 57 n. Ann. de Chim. Sir. 2, t. 61, p. 419).

30. Expiriences sur quelques points douteux relatifs k l'action ca- pillaire (Mem. Accad. Tor. [1837] 1838, vol. 40, p. 191).

31. Memoire sur les rapports entre le pouvoir conducteur des liquides pour les courants ilectriques et la decomposition chimique qu'ils en ^prouvent (ebenda 1839, t. 1, p. 179; zusammen mit Botto).

32. Diversi gradi della £acoltä elettro-negativa ed elettro-positiva dei corpi semplici (Atti Congr. Scient Ital. 1840, p. 64 und Ann. di fisica e di cbimica di Müjocchi 1842, t. 1, p. 157).

33. Note sur la chaleur spöcifique de diflfirents corps, principalement k l'etat gazeux (Bibl. Univ. 1840, t. 29, p. 142).

34. Note sur la nature de la chargi ölectrique (Arcb. de T^lectr. 1842, t. 2, p. 102).

35. Maniera di misurare Tamiditä. dell' atmosfera (Ann. fis. chim. di Majocchi 1843, t 9, p. 59).

36. Saggio di teoria matematica della distribuzione della elettri- citi sulla superficie dei corpi conduttori, nell' ipotesi dell' azione in- duttiva ecc. (1842) (Mem. Soc. Ital. Modena 1844, vol. 23, p. 156; ein- gereicht im Jahre 1842).

37 38. Proposizione di un nuovo sistema di nomenclatura cbimica. Diese Arbeit ist in 2 Teilen erschienen. Der erste Abschnitt (1843) er- schien in Mem. Soc Ital. 1844, vol. 23, p. 260 und der zweite (1847) ebenda 1850 vol. 24, p. 166).

39. Sur les volumes atomiques et sur leur relation avec le rang que les corps occupent dans la serie ilectro-chimique (Mem. Accad. To- rino 1846, t. 8, p. 129; vorgetragen den 17. Dezember 1843).

40. Memoire sur les volumes atomiques des corps composis (eben- da 1846 vol. 8, p. 293; vorgetragen am 13. April 1845).

Knhll.anni, Mono^ninblAen. VIT. 13

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41. Troisi^me memoire sur lea volumes atomiques. Determination des nombres affinitaires des diflferents corps 616mentaires par la seule consid^ration de leur volume atomique et de celui de leurs composes (ebenda 1851, t. 11, p. 231; vorgetragen am 25. Februar 1849).

42. Quatri^me memoire sur les volumes atomiques. Determination des volumes atomiques des corps liquides ä leur temperature d'ebullition (ebenda 1852, t. 12, p. 39; vorgetragen am 2. Juni 1850).

43. Memoire sur les consequences qu'on peut döduire des exp^riences de M. ßegnault sur la loi de compressibilitö des gaz (ebenda 1853, t. 18, p. 171).

Außerdem existieren noch zahlreiche Referate, die er gemeinsam mit Botto und andern Kollegen über Arbeiten, die der Akademie von andern Autoren vorgelegt worden waren, verfaßt hat.

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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

QD Barzelius, Jons Jakob

22 Jakob Berzelius

B5A315 1903

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